Franz Hinkelammert

Was ist hier Orthodoxie? Ich glaube, heute ist sie am besten definiert durch die durchaus vorläufige Definition, die Marx gibt durch den Hinweis auf den Thermidor.  Marx benutzt diesen Begriff zur Bezeichnung eines Prozesses innerhalb der Französischen Revolution. Der Thermidor ist ein Umbruch, der stattgefunden hat zuerst durch den Aufstieg des Directoriums und dann  Napoleons. Die ursprüngliche französische Rervolution war eine Volksrevolution, ab Napoleon wird sie zu einer eindeutig bürgerlichen Revolution. Ihre Eindeutigkeit bekommt sie durch den Code Napoleon, das bürgerliche Gesetzbuch, das zum Vorbild vieler  späteren bürgerlichen Gesetzbücher (codigos civiles) wird.

Trotzki spricht dann in einem abgeleiteten Sinne vom Thermidor der russischen Revolution, der mit Stalin verbunden ist und sich auf die Planungsmaschinerie der Sowjetunion stützt. Danach schrieb Crane Brinton sein Buch The anatomy of revolution (Vintage Books, New York, 1965), in dem er die 4 grossen Revolutionen der Moderne analysiert (die englische, die der US-amerikanische, die französische und die russische Revolution.) Er deckt Gemeinsamkeiten auf, die er dann als Thermidor dieser Revolutionen bestimmt. In bezug auf die englische Revolution handelt es sich um die Figur Cromwells und das neue bürgerliche Denken, wie es von John Lock definiert wird. Auch hier handelt es sich darum, dass eine Volksrevolution in eine bürgerliche Revolution umgewandelt wird. Locke stellt hierfür das Denken zur Verfügung. In seinem zentralen Buch definiert er die Volksrevolution völlig neu. Er gibt dieser Revolution jetzt als Basis das verabsolutisierte Privateigentum und eine ganz allgemeine, allerdings noch nicht rassistische Legitimität der Zwangsarbeit durch Sklaverei. Die danach kommenden Revolutionen wiederholen in einem gewissen Grade diese Positionen. Jeweils ein verabsolutisiertes Eigentumssystem und die Legitimation der Zwangsarbeit, sei es durch Saklaverei oder durch Lagerzwangsarbeit.

Es handelt sich hier jeweils um die Schaffung von Orthodoxien, die die Ideen der Volksrevolution so verändern und umdefinieren, wie es  die Legitimierung und Durchsetzung der neuen politischen Macht verlangt oder zu verlangen scheint. Dieses Legitimationsdenken, das diese neue Macht dann definiert, ist das orthodoxe Denken. In all diesen Fällen steht diese neue Macht (neue herrschende Klasse) gegen das Volk, das die Revolution gemacht hat.

Gehen wir von diesen Vorstellungen von Brinton aus, liegt es nahe, dieses gesamte Konzept auch auf die Entstehung des Christentums auszudehnen. Dies ist möglich, weil die Problematik des Thermidors das Ergebnis der Tatsache ist, dass diese erwähnten Revolutionen auf der Basis einer allgemeinen menschlichen, aber konkreten Gleichheit beruhen und davon ausgehen. Diese Gleichheit aber findet ihren Ausdruck zum ersten Mal in der christlichen Botschaft.(Gal 3,28)[1] Es handelt sich um einen praktischen Universalismus.

Der notwendige Ausgang von dieser konkreten Gleichheit her zwingt dann auch notwendigerweise, sofern die Gleichheit gesellschaftlich verallgemeinert werden soll, diese Gleichheit zu institutionalisieren. Im Christentum wurde dies durch einen Konflikt gegenwärtig gemacht. Die Bevölkerung konnte  in ihrer Mehrheit christianisiert werden, aber es ergab sich keine Möglichkeit, den römischen Staat zu christianisieren. Folglich ergab sich der Konflikt  mit dem Staat. Was wir mit Christianisierung des Staats vom 4. Jahrhundert an bezeichnen können, ist nicht die Christianisierung des Imperiums, sondern die Imperialisierung des Christentums. Es ist der Thermidor des Christentums.

Der konkrete Universalismus im frühen Christentum.

Ich möchte an Hand von einigen Beispielen zeigen, was dieser konkrete Unisversalismus ist.

1. Die Schuldentheologie:

 Ich gehe vom Beispiel der Schuldenzahlung aus. Jesus sagt dazu im Vater unser:

“Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben.”

Diese Art Schuldenvergebung hat natürlich nur Sinn, wenn es sich um unbezahlbare Schulden handelt, so dass der Schuldner durch die Zahlungsverpflichtung ruiniert wird. Im Altertum schliesst dies den Verkauf in die Sklaverei ein, ist aber heute  sehr häufig ganz so extrem wie es damals war. Jesus sagt dies mit Hilfe eines Gleichnisses:

“Deshalb ist es mit dem Himmelreich wie mit einem König, der Abrechnung halten wollte mit seinen Knechten. Da er nun anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der zehntausend Talente schuldig war. Da er nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn zu verkaufen samt seiner Frau und seinen Kindern und seiner ganzen Habe und (so) die Zahlung zu leisten. Da fiel ihm der Knecht zu Füssen und flehte ihn an: “Habe Geduld mit mir, ich will dir ja alles bezahlen”. Da erbarmte sich der Herr jenes Knechtes, liess ihn frei und erliess ihm die Schuld. Kaum war aber jener Knecht draussen, da traf er einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war. Den packte er, würgte ihn und sagte: “Bezahle, was du schuldig bist.” Da fiel der Mitknecht ihm zu Füssen und bat ihn: “ Habe Geduld mit mir, ich will es dir ja bezahlen.” Aber der wollte nicht, sondern ging hin und liess ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt hätte. Als nun seine Mitknechte sahen, was da vor sich ging, empörten sie sich darüber, gingen hin und berichteten ihrem Herrn alles, was geschehen war. Da liess der Herr ihn zu sich rufen und sprach zu ihm: “Du böser Knecht, jene ganze Schuld habe ich Dir erlassen, weil Du mich gebeten hast. Hättest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmen müssen, so wie ich mich deiner erbarmt habe?” Und voll Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er ihm die ganze Schuld bezahlt hätte. So wird auch mein himmlischer Vater mit euch verfahren, wenn nicht jeder von euch seinem Bruder von Herzen verzeiht.” Mat 18,23-35.

Im Vater unser handelt es sich also um eine Schuldenzahlung, die keine Zahlung ist. Es ist eine Antizahlung. Der Mensch hat Schulden bei Gott, während  andere Menschen Schulden bei ihm haben. Gott aber will keine positive Zahlung der Schulden und der Mensch könnte sie auch nicht bezahlen, Es gibt überhaupt keine Währung, in der bezahlt werden könnte. Die Bezahlung ist eine ganz andere. Der Mensch zahlt Gott, indem er die Schulden seines Mitmenschen erlässt. Er zahlt seine Schulden bei Gott, indem er die Zahlung seines Schuldners diesem erlässt. Gott erlässt die Schulden, weil auch der Mensch die Schulden erlässt. Die Zahlung ist keine Bezahlung, sondern eine Entsprechung.

Dieser Schuldennachlass des menschlichen Gläubigers seinem menschlichen Schuldner gegenüber ist der Nachlass einer Gesetzesverletzung. Gemäss dem Gesetze, das überall nach dem Übergang zur Geldrechnung gilt und überall aus dem Gebot: Du sollst nicht stehlen, abgeleitet wird, sind die Schulden eine gesetzliche Verpflichtung und die Autorität steht samt Polizei, Richtern und Henkern auf der Seite des menschlichen Gläubigers. Was das Vater unser fordert, ist diese Gesetzesverletzung von seiten des Gläubigers hinzunehmen. Gott fordert es. Nur so kann der Mensch seine Schulden bei Gott “bezahlen”. Im Judentum, wo auch das Gesetz: Du sollst nicht stehlen gilt, heisst dies: das Gesetz Gottes muss verletzt werden, wenn die Zahlung unmöglich ist und dies ist Gottes Wille. Wird es nicht verletzt, macht sich der menschliche Gläubiger schuldig vor Gott, denn Gott kann seine Schulden nicht erlassen, solange er nicht die Schulden seines Schuldners erlässt, und spricht ihn daher schuldig.

Dies ist eine Schuldentheologie von seiten Jesu, die durchaus in der Logik der jüdischen Geschichte liegt und etwa in der institutionellen Festsetzung von Sabbatjahren und Jubeljahren festgeschrieben ist. Nur jetzt ist jedes Jahr Sabbatjahr.

2. Die Lohnzahlung.

Jesus gibt ein Gleichnis, das die Lohnzahlung selbst problematisiert:

Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg zu dingen. Er vereinbarte mit den Arbeitern einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Und als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere müssig auf dem Markt stehen und sagte zu denen: “Geht auch ihr in meinen Weinberg, und was recht ist, werde ich euch geben. Und sie gingen hin. Um die sechste und neunte Stunde ging er noch einmal aus und tat ebenso. Und als er um die elfte Stunde ausging, fand er nochmals andere dastehen uind sagte zu ihnen: “Was steht ihr hier den ganzen Tag müssig?” Sie antworteten ihm: “Weil niemand uns gedungen hat.” Da sprach er zu ihnen: “Geht auch ihr in den Weinberg.” Als es nun Abend geworden war, sagte der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: “Ruf die Arbeiter und zahle ihnen den Lohn aus, fange bei den letzten an bis zum ersten.” Und es kamen die von der elften Stunde und erhielten je einen Denar. Als nun die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr bekommen. Und auch sie erhielten jeder einen Denar. Und da sie ihn erhielten, murrten sie gegen den Hausherrn und sagten: “Diese letzten da haben eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last des Tages getragen haben und die Hitze. Er aber erwiderte einem von ihnen und sprach: “Mein Lieber, ich tu dir kein Unrecht. Hast du nicht mit mir einen Denar vereinbart? Nimm das Deine und geh. Ich will aber diesem Letzten geben wie dir. Oder darf ich mit dem Meinen nicht tun was sich will? Oder ist dein Auge böse weil ich gut bin?” So werden die letzten Erste sein und die Ersten letzte. Mat 20, 1-16

Das entscheidende ist: der Haussherr verspricht den nachkommenden Arbeitern und sagt: “was recht ist, werde ich euch geben.” Er verspricht also etwas das gerecht ist. Die Antwort am Ende geht darauf gar nicht ein. Dennoch muss unsere Frage sein, unter welchem Gesichtspunkt ist es gerecht ist, was der Hausherr tut. Dieser Gesichtspunkt, unter dem denau dies gerecht ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang. Die Arbeiter, die später kommen, haben nicht gearbeitet, weil es keine Arbeit gab. Gehen wir von der Voraussetzung aus, dass der Lohn von einem Denar sich an der Grenze der Subsistenz bewegt, können sie bei einem der Arbeitsquantität entsprechenden Lohn nicht leben. Aber sie müssen oder sollen leben können. Folglich müssen alle, aus Gerechtigkeitsgründen, den gleichen Lohn bekommen wie die ersten Arbeiter. Unter diesem Gesichtspunkt ist das, was der Hausherr tut, tatsächlich gerecht. Aber es ist auch verständlich, dass einer der ersten Arbeiter diese Zahlung als ungerecht empfindet. Er will bezahlt werden für das, was er gearbeitet hat und auch alle andern sollen so bezahlt werden. Es ist die Gerechtigkeit des Marktes, unter der er urteilt, während der Hausherr unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit für das menschenwürdige Leben des Arbeiters bezahlt. Es handelt sich um zwei Gleichheiten. Auf der einen Seite die Gleichheit vor dem Markt, in dem jeder das bekommt, was er beigetragen hat. Auf der andern Seite die Gleichheit des menschenwürdigen Lebens, der gemäss alle ihre Bedürfnisse decken müssen und daher, sofern der Lohn nahe dem Existenzminimum liegt, alle den gleichen Lohn bekommen müssen unabhängig davon wieviel sie gearbeitet haben, damit Gerechtigkeit herrscht. Marx formulierte diese konkrete Gerechtigkeit des menschlichen Lebens durch seine Gerechtigkeitsdefinition, die er aus der Tradition der damaligen Arbeiterklasse übernimmt: Jeder nach seinen Fähigkeiten, einem jeden nach seinen Bedürfnissen.

Wir brauchen jetzt nicht zu diskutieren, ob der Hausherr , wenn er diese Gerechtigkeit übt, überhaupt auf dem Markt bestehen kann. In diesem Falle ergibt sich aus dieser konkreten Gerechtigkeitsvorstellung eben eine Kritik am Markt und seiner Gerechtigkeit. Dies wäre dann wieder eine Gesetzeskritik, nämlich die Kritik an der unbedingten Vertragsfreiheit im zwischenmenschlichen Verhältnis als einem Gesetz der Ungerechtigkeit oder, wie Paulus dann sagt, als einem Gesetz der Sünde, während für Paulus der Herr gemäss dem Gesetz der Vernunft und daher dem Gesetz Gottes zahlt.

Die Gesetzeskritik des Paulus

Paulus geht von einem allgemeinen Gesetzesbegriff aus. Es handelt sich bei ihm um zwei Gesetzes. Auf der einen Seite das jüdische Gesetz der Tora, auf der andern das Gesetz des römischen Rechts.

So sagt er:

Wenn nämlich die Heiden, die kein Gesetz haben, von Natur aus die Vorschriften des Gesetzes erfüllen, so sind sie, die kein Gesetz haben, sich selbst Gesetz. Röm 2.14

Wenn er davon spricht, dass die Heiden kein Gesetz haben, so ist das Gesetz auf das er sich bezieht die Tora. Wenn sie aber von Natur aus die Vorschriften erfüllen und sind sie deshalb sich selbst Gesetz, hängen sie also von keinem Sinai ab. Das Gesetz ist daher nicht etwa ausschliesslich Tora. Den Fall, den Paulus im Auge hat, ist natürlich das römische Recht. Wenn er dann im Römerbrief das Gesetz zitiert, zitiert er immer die Gebote von 6 bis 10. Sieht man von 10 ab, so steht fest, dass diese Normen in allen Gesetzgebungen existieren, daher auch in der römischen. Beim 10. Gebot ist es anders. Es ist überhaupt keine formale Norm wie die andern.  Aber dennoch, gibt es  Normen ähnlicher Art auch in anderen Gesetzen, so wie das, was Aristoteles die Chrematistik nennt und als unnatürlich verurteilt.

Über dieses Gesetz, ganz generell, kommt Paulus zu folgendem Urteil:

Der Stachel des Todes aber ist die Sünde,  die Kraft der Sünde aber das Gesetz. 1 Kor 15, 56

Da das Wort Sünde sehr abgenutzt ist, ziehe ich folgende Übersetzung vor:

Der Stachel des Todes ist das Verbrechen, die Kraft des Verbrechens aber ist das Gesetz.

Nicht alle Sünde ist Verbrechen, aber alles Verbrechen ist Sünde. Und in der Diskussion dessen, was Jesus und Paulus sagen, handelt es sich nicht einfach um Sünden, sondern um Verbrechen. Wir verstehen dann auch, wenn in unserer Zeit auf dies Problem Bezug genommen wird.

So sagt Brecht in der Dreigroschenoper:

“Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung eine Bank?”[2]

Dies ist eine völlig allgemeine Aussage über jedes Gesetz, sei es das römische, das jüdische oder sonst eines. Hier geht es um die Sünde.  Sabbat und Schuldenerlass sind notwendig einbezogen, auch wenn sie nicht explizit erwähnt werden..

Aber diese Aussage: “Die Kraft des Verbrechens (Sünde)  ist das Gesetz” gilt für jedes Gesetz, auch für das Gesetz Gottes, also die Tora. Dies ist der Skandal des Gesetzes, jeden Gesetzes.

Ich will ein Beispiel geben. Paulus sagt:

“Nein, wir verkünden Gottes geheimnisvolle, verborgen gehaltener Weisheit, die Gott vor aller Zeit zu unserer Verherrlichung vorausbestimmt hat – keiner von den Herrschern dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.” 1Kor 2,7-8

Dies scheint mir für Paulus der eigentliche Skandal des Gesetzes zu sein. Die Herrscher der Welt haben Jesus verurteilt und gekreuzigt. Diese Herrscher der Welt sind zweifellos gerade die römischen und jüdischen Autoritäten. Aber nicht nur die Autoritäten. Diese erfüllen das Gesetz, indem sie Jesus verurteilen. Die römischen das römische Recht, die jüdischen das jüdische Recht. Sie haben das Recht auf ihrer Seite. Auch das Gesetz Gottes verurteilt Jesus zu recht. Das ist der Kern des Skandals. Aber diese Autoritäten, die das Gesetz erfüllten, als sie Jesus verurteilten und hinrichteten,  haben die Weisheit Gottes nicht erkannt und deshalb verurteilen sie ihn. Und dies ist das Problem für Paulus.

Das was dem Todesurteil gegen Jesus entgegensteht ist nicht etwa das Gesetz Gottes, das durch dieses Todesurteil überhaupt nicht verletzt wird, sondern die Weisheit Gottes, die von den Herrschern nicht erkannt wurde. Die Definition der Weisheit Gottes, die Paulus gibt, findet sich in 1 Kor 1,27-29  Diese Weisheit zu erkennen, darum geht es. Übrigens ist das Zentrum dieser Weisheit die Aussage, dass die Plebeyer und die Verachteten die Auserwählten Gottes sind. Diese Weisheit nicht zu akzeptieren führt gemäss Paulus zum Tode Jesu durch diese Autoritäten.

Hier geht es auch um die Sünde, die Paulus besonders anging, denn er hatte an ihr teilgenommen und die Christen verfolgt.

Diese die Sünde ist nicht etwa eine Abstraktion. Es ist das konkreteste, das Paulus kennt.  Es geht darum, was der Wille Gottes ist:

“Passt euch nicht dieser Weltzeit an, sondern gestaltet euch um durch die Erneuerung des Geistes, damit ihr prüft, was der Wille Gottes, das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene ist.”  Röm 12,2

Der Wille Gottes ist nirgendwo geschrieben, auch nicht in der Tora. Auch dann nicht, wenn die Tora das Gesetz Gottes ist. Man muss ihn finden, indem man prüft, was der Wille Gottes, das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene ist. Das Kriterium ist die Weisheit Gottes, nicht das Gesetz. Man muss den Willen Gottes in der Wirklichkeit suchen und finden. Weder in der Bibel noch im Gesetz steht er geschrieben, um ihn dann zu verwirklichen. Sucht man ihn da, wird das Gesetz zur Kraft der Sünde. Auch wenn es das Gesetz Gottes ist. Dies ist der jüdischen Tradition durchaus nicht fremd. Da liegt auch der Wille Gottes nicht im Text, sondern im interpretierten Text.

Hierin kommt die besondere Vorstellung zum Ausdruck, die Paulus vom Gesetz hat. Er sagt:

“Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist, gefangen hält.” Röm 7,22  

Es ist jetzt ein Gesetz, das die Wahrheit in der Ungerechtigkeit gefangen hält. Damit gibt es zwei Gesetze, das Gesetz der Vernunft, das auch das Gesetz Gottes ist, und dem das Subjekt mit der Vernunft dient, und das Gesetz der Sünde, das das Gesetz dem Begehren und der Ungerechtigkeit unterwirft:

“So diene aber auch ich selbst mit der Vernunft dem Gesetze Gottes, mit dem Fleische aber dem Gesetz der Sünde.” Röm 7,25

Das Erstaunliche ist, dass bei Paulus beide Gesetze den gleichen Wortlaut haben. Ich werde versuchen, dies an Hand eines Zitats des Kirchenvaters Johannes Chrysostomus, das der jetzige Papst Franciscus in seinem Dokument Evangelii Gaudium bringt;

“Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen bedeutet, diese zu bestehlen und ihnen das Leben zu entziehen. Die Güter, die wir besitzen, gehören nicht uns, sondern ihnen.” Evangelii Gaudium Nr.58

Natürlich, diejenigen, von denen Chrysostomuys sagt, dass sie gestohlen haben, können vor Gericht gehen und jedes Gericht wird ihnen bestätigen, dass sie nicht gestohlen haben. Aber Chrysostomus sagt, dass sie gestohlen haben. Er begründet es, indem er sagt, dass die Güter, die wir besitzen, nicht uns gehören, sondern ihnen. Ich nehme an, dass dies hier bedeutet, dass sie darauf Besitzrechte haben. Indem man diese nicht zugesteht, bestiehlt man sie. Was Chrysostomus hier als Diebstahl bezeichnet, ist das, was in der Kapitalismuskritik des 19. Jahrhunderts als Ausbeutung bezeichnet wird und zum Ausgangspunkt der marxschen Mehrwertlehre wird. 

Es ist klar. Die Norm: Du sollst nicht stehlen, hat hier zwei entgegengesetzte Bedeutungen, obwohl der Wortlaut derselbe ist. Eine ist die Bedeutung des Marktes, in dem Güter getauscht werden. Nicht stehlen heisst hier, Verträge abzuschliessen und zu halten. Die andere Bedeutung ist die Bedeutung dessen, was Paulus die Weisheit Gottes nennt, (1 Kor  1,28) und das, was daraus folgt, nämlich das Leben aller ist das Recht aller. Man kann das leicht in das Spiel der Verrücktheiten einordnen, das Paulus in den ersten Kapiteln des 1. Korintherbriefs spielt. Von einer Gesetzesinterpretation her gesehen scheint jeweils die andere verrückt zu sein. Für Paulus – und für Chrysostomus – ist allerdings das Gesetz der Vernunft, das er auch Gesetz Gottes nennt, das von Chrysostomus geforderte. Das Gesetz der Ungerechtigkeit, das Paulus das Gesetz der Sünde nennt, ist hingegen das Marktgesetz. Das ist genau umgekehrt wie in unserer heute geltenden Weltsicht. Vom Gesetz Gottes her gesehen, ist das Marktgesetz verrückt. Aber vom Marktgesetz her gesehen, ist das Gesetz der Vernunft, das Paulus auch Gesetz Gottes nennt, verrückt.

Chrisostomus bewegt sich sehr deutlich in den Spuren von Paulus, d.h. in den Vorstellungen, in die das Kapitel 7 des Römerbriefs einmündet. Aber es gibt zweifellos schon in der Zeit  des alten Testamentes ganz ähnliche Vorstellungen. So etwa in Jesus Sirach:

“Ein Mörder seines Mitmenschen ist, wer ihm den Unterhalt wegnimmt, und Blut vergiesst, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält.”  Jesus Sirach 34,22

Diese Stelle setzt bereits die Verdoppelung des Gesetzes, wie sie Paulus herausstellt, voraus. Hier wird allerdings von Mord gesprochen, nicht von Diebstahl. Aber es geht um die gleiche Verdoppelung des Gesetzes.

Chrysostomus hatte ein bemerkenswertes Schicksal. Er hatte eine Zukunftsvorstellung, die dem gleich scheint, was Heinrich Heine im 19. Jahrhundert ausdrückte: Wir wollen auf der Erde schon das Himmelreich  errichten. Chrysostomus sagt:

„Man betrachte, welche Ehre Gott uns angetan hat, indem er uns mit einer solchen Aufgabe betraute! Ich, sagt er gleichsam, habe Himmel und Erde erschaffen; ich gebe auch Dir Schöpferkraft: mache die Erde zum Himmel! Du kannst es ja!“[3]

Ich fand in Wikipedia folgende Lebensbeschreibung des Chrysostomus:

Er wurde Prediger an der Bischofskirche. Durch sein zündendes Wort erreicht er eine seelsorgerische Tiefenwirkung, die ihm den Ehrennamen Chrysostomos (Goldmund) einbracht. Nach dem Tod des Bischofs Nektarios von Konstantinopel wurde er 398, für ihn selbst überraschend, sein Nachfolger. Als undiplomatischer Mann geriet er in schwere Kämpfe mit dem intrigenreichen Hof und mit manchem Amtskollegen. Er entwickelte aber eine eifrige Seelsorgetätigkeit. Den zahlreichen Goten in der Hauptstadt gab er einen eigenen Klerus, der in ihrer Sprache predigte und dazu ein eigenes Gotteshaus erhielt. Er veranlaßte den Bau von Hospizen und Spitälern für die Armen und Kranken. Er kümmerte sich um die Mission in Thrakien und in Phönikien. Die Vornehmen ermahnte er ob ihrer Pflichten und macht sie damit zu seinen Gegnern, in deren Folge die Kaiserin Eudokia und eine Bischöfe gegen ihn hetzten. Auf der sogenannten Eichensynode wurde Johannes 403 abgesetzt und verbannt. Die Vertreibung wurde kurzfristig rückgängig gemacht, da die Kaiserin eine Fehlgeburt erlitten und sie das als Strafe für die Verbannung aufgefasst hatte. Dann aber wurde er erneut verbannt, diesmal nach Kukusus an der armenischen Grenze. Hier lebete er drei Jahre und stärkte durch seine Briefe die ihm treu bebliebene Gemeinde. Der Kaiser ließ ihn deshalb in strengeren Gewahrsam nehmen und nach Pityus ans schwarze Meer bringen. Auf dem Weg dorthin starb er am 14. September 407. Wahrscheinlich war sein Tod beabsichtigt, da man um seinen gesundheitlichen Zustand wusste.

Hiernach  scheint Chrysostomus ein Märtyrer zu sein, der das Opfer eines christlichen Kaisers war. Sieht man die beiden Zitate, die ich gebracht habe, kann man das verstehen. Aber man wird ebenso die Parallele zum Mord des Erzbischofs Romero in San Salvador sehen, der auch von christlichen Ultras ermordet wurde für ganz ähnliche Positionen. Etwas ähnliches geschah mit Martin Luther King.  Es ist Christenverfolgung durch Christen. Jeweils ist es der Thermidor des Christentums, der sich ausdrückt.

 

Chrysostomus lebt zur selben Zeit wie Augustinus (er stirbt im Jahre 407). Dies ist die Zeit, in der die Orthodoxie des Thermidors des Christentums definitiv durch Augustinus ausformuliert wird. Damit wird das kritische Denken, wie es von Paulus herkommt und in Chrysostomus gegenwärtig ist, eliminiert oder als Häresie eingestuft. Dennoch taucht es ständig wieder auf.

Thermidore dieser Art erleben wir ständig aufs Neue und nicht nur auf der weltgeschichtlichen Ebene. Die Zeit der Päpste  Johannes Paul II und Benedikt XVI ist der Thermidor des zweiten vatikanischen Konzils.

Diese Verdopplung des Gesetzes bei Paulus, die von Chrysostomus aufgenommen wird, führt Paulus zu folgender Reflektion:

“Bleibt niemand etwas schuldig, es sei denn die gegenseitige Liebe. Denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. Die Gebote: “Du sollst nicht ehebrechen! Du sollst nicht töten! Du sollst nicht stehlen!  Du sollst nicht begehren!” Und was es sonst noch an Geboten geben mag, werden ja in diesem einen Wort zusammengefasst: “Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!” Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu. So ist die Liebe die Vollendung des Gesetzes.” Röm 13, 8-10

Er nennt dies jetzt die Vollendung des Gesetzes. Letztlich ist es die einzig mögliche Antwort auf die Verdopplung des Gesetzes. Es schliesst die blinde Erfüllung des Gesetzes aus. Jede Gesetzeserfüllung steht jetzt unter einer Bedingung: sie muss vereinbar sein mit den faktischen Notwendigkeiten der Nächstenliebe. Ist sie nicht vereinbar, darf das Gesetz nicht erfüllt werden. Es würde aufhören, ein Gesetz für das Leben zu sein und würde den Tod bringen. Vorher, im Falle der Kreuzigung Jesu durch die Autoritäten, hatte er als diese Bedingung die göttliche Weisheit genannt, wie sie in 1 Kor  1, 27-28 genannt wird. Aber letztlich sind beide Kriterien identisch.

Aber auch hier haben wir aufs neue eine Verdopplung der Vollendung des Gesetzes. Augustinus sagt ganz so wie Paulus, indem er Paulus zitiert: “Denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt.” Aber bei Augustinus bedeutet dieser Satz genau das Gegenteil von dem was er bei Paulus bedeutet. Er sagt jetzt: Indem man das Gesetz blind erfüllt, liebt man seinen Nächsten. Das ist das Gegenteil von dem, was Paulus sagt.

Diese Analyse des 7. Kapitels des Römerbriefes unter dem Gesichtspunkt der Verdopplung des Gesetzes ist keineswegs üblich. Dies Analyse von Paulus  antwortet auf ein Problem der Orientierungslosigkeit. Es führt dann ein Kriterium des Gesetzes ein, das letzten Endes darauf hinausläuft, dass das Gesetz dem menschlichen Leben dienen muss. Es ist selbstverständlich ein Kriterium, das aus der Tora stammt. Üblicherweise wird das Kapitel unter dem Gesichtspunkt des Sündenbewusstseins und der Schwierigkeiten vor allem psychologischer Art in der Erfüllung von bestimmten Gesetzen, bei denen meistens dann sexuelle Vorschriften ein besondere Bedeutung bekommen, interpretiert. Die Schwierigkeiten scheinen dann das zu sein, was Wolfgang Biermann in einem Lied besingt: Was uns verboten ist, das macht uns gerade scharf. Diese Interpretation wird man auch bei Slavoj Zizek finden, sodass die ganze Analyse des Paulus und insbesondere die Analyse des 7. Kapitels des Römerbriefes zu einem Kapitel und Vorgänger der heutigen Psychoanalyse sowohl Freuds als auch Lacans wird.

Eine ähnliche Verdopplung finden wir bei Paulus, wenn er den Universalismus definiert:

“Da gibt es nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Weib. Denn ihr alle seid einer im Messias (Christus) Jesus.” Gal 3,28

Entscheidend ist, dass dieser Universalismus alle zu einem macht, aber im Messias. Er ist daher ein konkreter Universalismus. Hier wird jetzt die Sklaverei und das Patriarchat als illegitim erkannt, aber ebenso das Herrschaftsverhältnis zwischen Juden und Griechen. Bei Paulus allerdings nimmt diese Illegitimität den Charakter eher von regulativen Ideen an. Daher ist etwa die Sklaverei illegitim, aber gleichzeitig gültig wie ebenfalls das Patriarchat. Ich nehme an, dass Paulus, was die Sklaverei anbetrifft, die Erinnerung bewahrt an den Spartakus-Aufstand  und die totale Vernichtung aller Sklaven, die sich daran beteiligt hatten. Er sieht keine Möglichkeit zu einer Revolution. Er rebelliert, aber er sieht keine Möglichkeit zum Aufstand. Daher  schafft er die Vorstellung einer Illegitimität,  wobei aber das Illegitime weiterhin als solches gültig bleibt und als solches auch respektiert werden muss. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist Paulus einfach Realist. Als regulative Idee aber ist dieser Universalismus des Paulus immer auch gegenwärtig in unserer Geschichte, obwohl diese Position  normalerweise als Häresie oder als häresieverdächtig gilt.

Wenn Paulus darauf besteht, dass diese Gleichheit eine Gleichheit im Messias ist, schliesst er die genau gegenteilige Vorstellung einer abstrakten Gleichheit aus. Die abstrakte Gleichheit ist die bei uns herrschende Gleichheit. Es ist die Gleichheit vor dem Geld, nicht im Messias. Unter dem Gesichtspunkt dessen, der Geld hat, gibt es nicht die Gefahr der Sklaverei, der Unterdrückung der Frau. Er oder sie ist alles gleichzeitig. In diesem Zusammenhang zitiert Marx Shakespear:

“Soviel hiervon, macht schwarz weiss, hässlich schön;

Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.

…Ihr Götter! Warum dies? Warum dies, Götter;

Ha! Dies lockt Euch den Priester vom Altar;

Reisst Halbgenes’nen weg das Schlummerkissen;

Ja dieser rote Sklave löst und bindet

Geweihte Bande;

Segnet den Verfluchten;

Er macht den Aussatz lieblich; ehrt den Dieb,

Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluss

Im Rat der Senatoren; dieser führt

Der überjähr’gen Witwe Freier zu;

…Verdammt Metall.

Gemeine Hure du der Menschen”.[4]

Dies ist die abstrakte Universalität im Gelde, die als Idolatrie des Marktes aus der Marktethik als formaler Ethik eine weitgehende Ausbeutungsethik macht.

Die Gegenwart des Paulus in der Geschichte der Neuzeit.

Wie bin ich nun darauf gekommen, auf die Mögichkeit dieser Sicht zu stossen? Das erste Mal war es in Chile, wo ich lebte, als der Militärputsch von 1973 stattfand. Pinochet und seine Maffia sprachen ganz zentral davon, dass man das Gesetz wieder durchzusetzen habe. Mir wurde sehr schnell klar, dass dies den massenhaften Mord bedeutete, der übrigens auch mich selbst bedrohte. Obwohl ich Paulus noch kaum kannte, war mir klar, dass jetzt das Gesetz die Kraft des Verbrechens war. Das war bei allen folgenden Militarputschen in Lateinamerika ebenso. Im  Jahr 2009 in Honduras. Der vom Putsch eingesezte Präsident erklärte, dass endlich wieder der Präsident unter einem Arm die Bibel, unter dem anderen die Verfassung zu tragen haber. Damit wurden die Menschen zum Freiwild, und das Gesetz (übrigens in diesem Fall auch die Bibel) gab dem Verbrechen die Kraft.

Nicht nur in den Putschen. Ganz ebenso funktioniert der Weltwährungsfonds. Was er auch tut, tut er immer im Namen des Gesetzes, das die Kraft seiner Verbrechen ist. Und wenn es um ein Kirchenasyl geht, kommt sofort irgendein Politiker (vor allem ein christlicher) der erklärt, dass es keine rechtsfreien Räume gibt. Das Mittelalter sagte immer noch: summa lex maxima iniustitia. Das ist nicht mehr unser gegenwärtiges Denken. Gewinnen wir es nicht zurück, kommen wir in einen Zustand, in dem jede Form von Totalitarismus – und zwar als Totalitarismus des Marktes – möglich wird. Totaler Rechtsstaat ist Totalitarismus und mit jedem historischen Totalitarismus vergleichbar.

Andererseits haben wir es heute wieder einmal mit einem abgründigen Schuldeneinzug zu tun. Das oberste Gericht der USA erklärte, dass die Schulden Argentiniens, die auf eine für Argentinien akzeptable Weise gelöst waren, eingezogen werden können und ohne Aufschub gezahlt werden müssen. Damit liegt wieder einmal der Ruin eines ganzen Landes an, aus dem sich dann ein neuer Völkermord ergeben kann. Aber kein Gesetz wird gebrochen, sondern wieder einmal wird das Gesetz zur Kraft des Verbrechens.

Nach dem Militärputsch von Pinochet fing ich an, die Gesetzeskritik von Paulus zu bearbeiten. Für mich war offensichtlich, dass hier eine wichtige Quelle für die Interpretation liegen könnte, obwohl ich von Paulus nicht viel wusste. [5] Dabei öffneten sich Horizonte für mich. Ich hatte schon vorher einige Vorstellungen davon entwickelt, dass die Marxsche Kritik des Wertgesetzes in ihren Grundvorstellungen ganz eng mit der paulinischen Gesetzeskritik zusammenhängt.

Jetzt aber fand ich einen anderen, weiteren Zugang zu Paulus. Er findet sich bei Nietzsche. Ich zitiere nur einen Text:

"Paulus, der Fleisch-, der Genie-gewordene Tschandala-Haß gegen Rom, gegen die 'Welt', der Jude, der ewige Jude par excellence.... Was er erriet, das war, wie man mit Hilfe der kleinen sektiererischen Christen-Bewegung abseits des Judentums einen 'Weltbrand' entzünden könne, wie man mit dem Symbol 'Gott am Kreuze' alles Unten-Liegende, alles Heimlich-Aufrührerische, die ganze Erbschaft anarchistischer Umtriebe im Reich, zu einer ungeheuren Macht aufsummieren könne. 'Das Heil kommt von den Juden.' - "[6]

Wenn man die hämischen Übertreibungen Nietzsches in Rechnung stellt, so ist die Vorstellung von Paulus, die er verbreitet, durchaus richtig. Er sieht den Zusammenhang zwischen der Kritik des Gesetzes von Paulus und den revolutionären Bewegungen der Antike, aber auch des 19. Jahrhunderts, seien sie anarchistisch oder marxistisch. Deshalb glaubt er durchaus, dass er Paulus bekämpfen muss, wenn er den “Weltbrand” löschen will, den Paulus entzündet hat. Nietzsche kennt Paulus so gut wie Marx ihn kennt. Aber er nimmt ihn als gewissermassen kosmischen Gegner, - dies aber immer auch als “Jude” Paulus - von dessen Untergang das Heil der Menschen, wie Nietzsche es versteht, abhängt.

Auf diese Weise wurde Paulus für mich zu einer sehr gegenwärtigen Figur in unserer Zeit. Als solchen habe ich ihn zu analysieren versucht. Wenn ich mich nicht täusche, ist auch Walter Benjamin zu seiner Annäherung an Paulus, auf die ja gerade Agamben hinweist, durch seine Nietzschelektüre gekommen.

Es gibt noch einen anderen wichtigen Punkt. Paulus spricht sich gegen die Beschneidung aus. Aber er zieht daraus eine Konsequenz, die ich in der Paulusliteratur fast nicht entdecke. Er sagt nämlich ganz zu Beginn des 1. Korintherbriefs:

“Der Messias hat mich ja nicht ausgesandt, zu taufen…” 1 Kor 1,17

So wie er vorher im Galaterbrief gesagt hatte: Ich bin nicht gekommen um zu beschneiden, sagt er jetzt: Ich bin nicht gekommen um zu taufen.

Er fügt dann hinzu, warum er gekommen ist. Er sagt dann:

“Der Messias hat mich ja nicht ausgesandt, um zu taufen, sondern die Heilsbotschaft zu verkünden.”

Als die Christen Amerika eroberten, kamen sie ganz ausschliesslich, um zu taufen. Das Ergebnis war einer der ganz grossen Völkermorde unserer Geschichte.

Im 20. Jahrhundert versuchte man dann in Lateinamerika, vor allem diese Heilsbotschaft zu verkünden. Dies geschah mit der Befreiungstheologie. Sie wurde ganz furchtbar verfolgt. Es gab tausende von Märtyrern und eine weitgehende Feindschaft grosser christlicher Kirchen wie auch der grossen Demokratien unserer Welt gegen diese Art Theologie. Diese waren sich bewusst, dass ihre Macht darauf beruhte, dass man gekommen war und bleiben will einfach um nur zu taufen.

Was diese Heilsbotschaft begründete, sagt Paulus kurz darauf, wenn er von der Weisheit Gottes spricht. Er sagt:

“Die Auserwählten Gottes sind die Plebeyer und die Verachteten.” 1 Kor 1, 28

Es gibt kein auserwähltes Volk mehr. Es gibt aber Auserwählte Gottes, die aber kein Volk mehr sind. Die Getauften sind ebensowenig das neue auserwählte Volk. Die Auserwählten sind die Plebeyer und die Verachteten aller Länder und Kulturen. Die Befreiungstheologie sprach vor allem von den Armen. Diese Auserwählten leben in allen Vöilkern und gehören zu ihren jeweiligen Völkern. Nicht einmal die USA sind ein auserwähltes Volk.

In einem paradoxen Sinne allerdings besteht Paulus darauf, dass das jüdische Volk weiterhin ein auserwähltes Volk ist.  Es ist die Wurzel dessen, was das Ergebnis seiner Geschichte ist: nämlich, dass die Auserwählten Gottes kein Volk sind, sondern die Plebeyer und Verachteten aller Völker. Dieses in der Geschichte gegenwärtig zu machen, ist nach Paulus die Auserwählung des jüdischen Volkes.(Nach Paulus in Röm 9-11)

Man kann das Verhältnis zum Gesetz bei Paulus nicht darauf reduzieren, was man Werkgerechtigkeit zu nennen pflegt. Das mag gehen, solange man bei der Interpretation des Galaterbriefs bleibt. Nimmt man aber vor allem auch den 1. Korintherbrief und den Römerbrief in Betracht, geht dies meiner Ansicht nach nicht. Im Mittelpunkt der paulinischen Gesetzeskritik steht nicht die Werkgerechtigkeit, sondern die Erfüllung des Gesetzes schlechthin, das als Norm gesehen wird. Im Römerbrief macht Paulus ganz klar, dass es sich um diese Normen handelt. Er sagt es in Röm 13,9. Es handelt sich um die zweite Hälfte der zehn Gebote.

Das Gesetz als Gefängnis des Körpers.

Es kann daher nicht wundern, dass Paulus das Gesetz als das Gefängnis des Körpers interpretiert. Er wendet damit eine zentrale Vorstellung Platons um. Platon hatte gesagt: Der Körper ist das Gefängnis der Seele. Diese Vorstellung muss Paulus kennen, denn sie ist in der entstehenden Gnosis völlig zentral, aber weit radikaler ausgeführt. Wir könnten uns sogar vorstellen, dass es sich bei Paulus schon um eine Antwort an diese Gnosis handelt: das Gefängnis ist nicht der Körper, sondern das Gesetz und dieses Gesetz wird von der Seele diktiert. Es handelt sich um eine definitive Kritik des Platonismus  von seiten von Paulus.

Im Römerbrie sagt Paulus:

“Ich lebte einst ohne Gesetz: als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf. Ich starb, und es zeigte sich, dass das Gebot, das zum Leben führen sollte, zum Tode gereichte. Denn die Sünde, die durch das Gesetz einen Anlass empfangen hatte, hat mich getäuscht und mich eben durch das Gesetz getötet.” Röm 7, 9-11

Diese Argumente in Röm 6-8 werden gewöhnlich im psychonalytischen Sinne interpretiert, etwa bei Lacan und Zizek. Aber die Argumente des Paulus gehen davon nicht aus. Sie implizieren auch die Kritik an der Schuldenzahlung und der Bildung der Marktpreise und damit an der Lebensbedrohung, die sich aus der Erfüllung der Gesetze ergibt.

Für Paulus ist die Vorstellung des Gesetzes als Gefängnis des Körpers völlig zentral, denn er interpretiert den Messias als den Befreier des Körpers dem Gesetz gegenüber. So sagt Paulus:

“Ehe der Glaube kam, waren wir im Gefängnis des Gesetzes, festgehalten bis zu der Zeit, da der Glaube offenbar werden sollte.” Gal 3,23

In der Auffassung von Paulus hat der Messias den Menschen aus diesem Gefängnis befreit, indem er ihn in die messianische Gemeinschaft einführte und, wie dies daraus dann folgt, in die Gemeinschaft der konkreten Gerechtigkeit, mit deren Analyse wir gegonnen habe. So sagt Paulus im Römerbreif:

“Jetzt sind wir vom Gesetz frei geworden, dadurch, dass wir dem starben, worin wir gefangen  gehalten wurden, so dass wir nun im neuen Wesen des Geistes und nicht mehr im im Wesen des Buchstabens dienen.” Röm 7,6

Worin wir gefangen gehalten wurden, ist eben das Gesetz. Die Vollendung dieser Freiheit ist bei Paulus der wahre Inhalt des Reiches Gottes:

“Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung bis zur Stunde seufzt und in Wehen liegt. Und nicht nur das, auch wir seufzen in uns selbst in der Erwartung der Befreiung unseres Körpers. Röm 8, 22-23

Hier wird jetzt die ganze Erlösung zur Erlösung des Körpers aus dem Gefängnis des Gesetzes. Das menschliche Subjekt muss souverän gegenüber dem Gesetz sein. Das Kriterium dieser Souveränität ist die Nächstenliebe insofern sie die Bestätigung des Leben als solchem ist, das heiss, eines jeden und aller.

Der Thermidor des Christentums.

Der Thermidor des Christentums ergibt sich im 4. Jahrhundert, in dem sich der Kaiser Konstantin zum Christentum bekennt und danach Augustinus die christliche Botschaft weitgehend uminterpretiert. Damit beginnt die Konstantinische Ära, die möglicherweise in unserer Zeit zu Ende gehen könnte.

Ausgangspunkt unserer Reflektion kann die jetzt absolute Legitimierung der Sklaverei bei Augustin sein. Er konzipiert folgendes Gespräch:

"Frage: Darum sage mir, ob der Sklave, der seinen Herrn ums Leben bringt aus Furcht, von ihm schwer gepeinigt zu werden, nicht auch zu jenen gezählt werden muß, die, obwohl sie töten, doch nicht den Namen eines Mörders verdienen…..

Antwort: Wie wäre es, wenn du überlegtest, ob nicht der Sklave gerade zum Zwecke der Befriedigung seiner Lüste (concupiscencia) die Furcht vor dem Herrn loswerden will, bevor du dich zu der Annahme versteigst, ein solches Verbrechen müsse ungestraft bleiben?”[7] 

Hier ist das Wort von der Befriedigung der Lüste genau das Gegenteil von dem, was Paulus die Befreiung des Körpers nennt. Augustin tut so als ob die Befriedigung der Lüste als solche ein Verbrechen oder eine Sünde wäre. Selbst die Forderung nach Abschaffung der Sklaverei wird illegitimiert. Bei Paulus aber geht es gerade darum, in aller Freiheit des Körpers die “Lüste” befriedigen zu können, obwohl Paulus dies nicht mit diesen Worten ausdrücken würde.

Augustin dehnt diese Verurteilung der “Befriedigung der Lüste” auf das gesamte menschliche Leben aus. Fordert der Mensch hingegen seine Freiheit, so ist dies Koncupiszenz. In seinen Bekenntnissen schreibt er sogar dem Baby, das nach Milch schreit, Konkupiszenz zu.

Augustin gegenüber dem Sklaven wirft diesem Konkupiszenz vor. Nietzsche wirft ihm Ressentiment und Neid vor. Cicero aber, in seinen Anticatilinarias, wirft den Aufständischen Bauern, die ihr Land verloren haben, vor, sie hätten es verprasst aus lauter “libido”. Alle diese Vertreter der Eigentumsinteressen unterscheiden sich in vielem. Aber in einem unterscheiden sie sich nicht. Sie sehen die Opfer im gleichen Licht. Ob Ressentiment, Konkupiszenz oder Libido, das macht nicht den geringsten Unterschied.

Im III. und IV. Jahrhundert trat das Christentum in seine Allianz mit dem Imperium ein. Mit einem Himmel, der ein Gastmahl ist, zu dem alle geladen sind und zu dem ein Gnadenjahr des Herrn (einschliesslich eines allgemeinen Schuldennachlasses) ausgerufen wird, kann man zwar de Bevölkerung, aber nicht den Kaiser und seinen Hof bekehren. Als Folge davon schafft Augustinus diesen Himmel ab. Über die vorhergehenden Christen – vor allem von Lyon – sagt er:

“Aber wenn man sagt, die dann Auferstehenden würden ihre Muße mit maßlosen leiblichen Tafelfreuden hinbringen und solche Fülle von Speisen und Trank genießen, daß von keinem Maßhalten mehr die Rede wäre, ja ein mehr als unglaubliches Schwelgen anfinge, so können doch nur fleischlich gesinnte Menschen derartiges glauben. Die geistlich Gesinnten pflegen die, welche dieser Meinung huldigen, mit einem griechischen Wort Chiliasten zu nennen. Auf lateinisch würden diese Tausendjährler Milliarier heißen.”[8]

Dieser Himmel der Chiliasten ist “fleischlich”. Später sagt man, er ist materialistisch. Aber es ist der Himmel derer, die von Jesus gehört haben, dass das Reich Gottes ein Gastmahl ist. Es ist ein Gastmahl des Überflusses. Ebenso war ja auch die Hochzeit von Kanaan ein grosses Fest des Überflusses. Als es keinen Wein mehr gab, verwandelte Jesus, gemäss dem Evangelisten Johannes, hunderte von Litern Wasser in den allerbesten Wein. Es fehlte nichts mehr. Darauf folgt dann im nächsten Kapitel des Evangeliums eine genau umgekehrte Welt: die Welt des Tempels, den Jesus dann mit Gewalt säubert und den Vorwurf ausspricht, man habe aus dem Tempel ein Kaufhaus gemacht. Ein Kaufhaus lebt von der Knappheit. Auch wenn es unvermeidlich ist, so kann es nie die Antizipation des Reiches Gottes sein, wie es die Hochzeit von Kanaan war.

Vom neuen Himmel, den jetzt Augustinus konzipiert, heisst es:

"Wo der Geist nur will, der Leib wird allbald dort sein..."[9]

"Also muß die Seele, um selig zu werden, nicht etwa alle Leiblichkeit fliehen, sondern einen unvergänglichen Leib empfangen."[10]

"... werden dann wohl, wenn das Vollkommene gekommen ist und der vergängliche Leib nicht mehr die Seele beschwert, aber der unvergängliche kein Hindernis mehr darstellt, die Heiligen, um zu schauen, was da zu schauen ist, noch leiblicher Augen bedürfen,...?"[11]

Der wirkliche Körper ist hier das Gefängnis des Gesetzes. Als idealer abstrakter Körper ist er der absolut perfekte Sklave der Seele und ihres Willens, der für ihn Gesetz ist. Damit ist das Gesetz befreit, was das Ende der Freiheit des Menschen sein muss.

Während im Neuplatonismus, Gnostizismus und Manichäismus dieser Zeit der Körper der Ort des Bösen ist, und folglich das Gefängnis der Seele ist, sodass die Erlösung fordert, den Körper zu verlassen, entsteht hier eine Vorstellung der Körperlichkeit, die den Körper unterwirft und ihn instrumentalisiert  in Funktion des Geistes, des Willens und des Gesetzes. Aus dem körperlichen Leben ergeben sich keine Rechte, sondern der Körper ist völlig dem Willen zu unterwerfen. Er soll der perfekte Diener des Geistes, gewissermassen sein legitimer Sklave sein.

Augustinus sagt dies auf folgende Weise:

"Aber Porphyrius sagt doch, wendet man ein, die Seele müsse, um selig zu werden, alle Leiblichkeit fliehen. Dann nützt es also nichts, daß wir nach unserer Lehre einen unvergänglichen Leib haben werden, wenn die Seele nur durch Flucht vor aller Leiblichkeit selig werden kann."[12]

"Also muß die Seele, um selig zu werden, nicht etwa alle Leiblichkeit fliehen, sondern einen unvergänglichen Leib empfangen."[13]

Dieses Christentum ist nicht antikörperlich, sondern will den Menschen in seiner Körperlichkeit zum perfekten Diener des Willens machen. Der Mensch als körperliches Wesen wird flexibilisiert, der Wille als Gesetz kann sich absolut setzen. Der Himmel ist die totale Flexibilisierung des Menschen einem Willen gegenüber, der das absolute Gesetz präsentiert, das der Geist ist. Der Körper soll aufhören, das Gefängnis des Gesetzes zu sein. Nicht das Gesetz ist das Problem, sondern das Problem ist der Körper. Allenfalls kann man einigen Schwächen dieses alten Adam, der der Körper ist, Zugeständnisse machen. Aber der Körper wird verdammt dazu, absolut leistungsfähig zu sein. Es handelt sich um eine antikörperliche Körperlichkeit, dazu bestimmt, aus dem Körper als Gefängnis der Seele und des Gesetzes den absoluten Sklaven des Gesetzes zu machen.

Sagt man jetzt “wie im Himmel, also auch auf Erden”, so geschieht eben das, was vom III. und IV. Jahrhundert an tatsächlich geschieht. Es entwickelt sich ein Asketismus im Namen der Körperlichkeit, aber gegen einen Körper, dessen Sinnlichkeit und Bedürfnisse Rechte gibt. Sinnlichkeit und Bedürfnisse sind nicht mehr der Ausgangspunkt des Lebens, sondern Hindernisse auf dem Weg zu dieser “geistlichen” Körperlichkeit eines unvergänglichen Leibes, die das wahre Leben ist.

Es handelt sich hier um das Gegenteil dessen, was Paulus sagt, für den das Gesetz das Gefängnis des Körpers ist, demgegenüber es um die Befreiung des Körpers geht. Jetzt bei Augustinus, ist es umgekehrt: der Körper ist das Gefängnis des Gesetzes. Es ist kein zurück zu Plato, für den der Körper das Gefängnis der Seele ist. Jetzt ist er das Gefängnis des Gesetzes, daher des Willens. Dies enthält einen Dynamismus der Transformierung des wirklich existierenden Körpers und der Suche eines abstrakten Körpers der nichts weiter sein darf als der Schatten des Gesetzes. In diesem Schönheitskult verschwindet ganz vollständig die Schönheit der Mona Lisa, die niemals einen Schönheitswettbewerb gewinnen wird, obwohl sie schöner ist als alle Kandidatinnen unserer Schönheitsbürokratien.

Augustinus ist Manichäer gewesen bevor er sich zum Christentum bekehrte. Er transformiert jetzt den Manichäismus um ihn ans Christentum anzupassen. Die Vorstellung, die er von der wirklichen Körperlichkeit hat, bleibt die gleiche wie im Manichäismus (oder in der Gnosis oder im Neuplatonismus) Aber der andere Pol wird umgewandelt und ins Innere des menschlichen Lebens verlegt als eine idealisierte und abstrakte Körperlichkeit. Der Dualismus aber bleibt der Gleiche. Damit aber hat er sich in eine Quelle aktiver Agresssion gegen das körperliche Leben verwandelt. Es handelt sich jetzt um einen Dualismus von abstraktem und konkretem Körper, in dem der konkrete Körper das Böse vergegenwärtigt so wie im vorherigen Dualismus des Manichäismus auch der konkrete Körper das zu fliehende Gefängnis war. Augustinus setzt an seine Stelle jetzt den abstrakten Körper. Dies verwandelt ganz radikal das vorhergehende Christentum. James Bond gibt diese völlig abstrakte Körperlichkeit auf moderne Art wieder, ebenso wie es die herrschende Vorstellung von einer Schönheitskönigin ist, die das Ergebnis eines extremen körperlichen Aszetismus ist.

Es gibt eine Symbolisierung dieses Übergangs zum neuen Himmel des Augustinus. Es handelt sich um zwei zentrale Versuchungen, nämlich die Versuchung Jesu und die Versuchung des heiligen Antonius im III. Jahrhundert. Jesus wird vom Satan versucht, der ihm die Herrschaft über die ganze Erde anbietet. Jesus weist die Versuchung ab. Die Versuchung des heiligen Antonius ist ganz umgekehrt. Der Teufel erscheint ihm in der Gestalt einer nackten Frau. Auch er widersteht. Es ist die Versuchung durch die körperliche Sinnlichkeit. Von da an gilt das ganze Mittelalter hindurch die Frau als Eingangspforte zur Hölle. Mit ihr wird die Sinnlichkeit und die körperliche Bedürftigkeit als Quelle von Rechten verurteilt. Aber wenn Antonius der Versuchung widersteht, so geht die Versuchung immer weiter und hört nie auf. Obwohl er widersteht, ist er zum Schuldbewusstsein verurteilt. Jesus widersteht seiner Versuchung, ohne dass dies zu einem ewigen Schuldbewusstsein führt. Er will nicht diese Herrschaft, die der Teufel ihm anbietet, und fertig. Was als Schuldbewusstsein entsteht, ist das Bewusstsein der Verantwortung für den anderen. Daher mündet es in die Option für die Armen ein. Das Schuldbewusstsein des Antonius ist als solches nichts christliches. Aber es ist notwendig, um den Thermidor des Christentums zu verfestigen und das vorhergehende Christentum unter Häresieverdacht zu stellen. Es schliesst die Option füt die Armen aus, denn es ist eine Option des Menschen für sich selbst und der Herrschaft über sich selbst, die dann dazu dient, andere beherrschen zu können. Daher kann das Liebesgebot jetzt ausgdrückt werden als: Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst. Nach dieser Liebe für sich selbst kann alles andere folgen. Aber sich selbst zu lieben ist das erste.

Dieser Asketismus hat zu wahrer sozialer Massenhysterie geführt, wie dies etwa in den Geisslerbewegungen des späteren Mittelalters zum Ausdruck kam, denen die Hysterie der Hexenverfolgungen folgt.

Diese Antisinnlichkeit der augustinischen Körperlichkeit ist eine der Hauptquellen der später sich entwickelten Moderne und des Kapitalismus selbst. Sie ist eine Art Kulturrevolution, die die Moderne vorbereitet.  Sie ist die der reinen Zweckorientierung adäquate Form der Körperlichkeit. Die Frau wird dann zur Fabrik und daher in eine Produktionsstätte von Kindern umgewandelt.

Der Himmel des Augustinus ist noch heute der Himmel der Herren unserer Chefetagen, wenn sie die Flexibilisierung des Menschen als körperlichem Wesen fordern, damit sich das Gesetz der Globalisierungsstrategie, dieser gespenstische Geist des heutigen Kapitalismus, sich absolut und ohne jede Flexibilität durchsetzen kann. Dies gilt auch, wenn dieser Himmel vielfach in säkularen Formen vertreten wird. Das Ideal der Globalisierungsstrategie ist der absolut der Kapitalakkumulation als seinem Gesetz unterworfene Kôrper, d.h. der Mensch als Humankapital.

Dass der heilige Antonius seiner Versuchung widerstanden hat, führte dazu, dass man die ganze Welt eroberte und der Versuchung Jesu nicht mehr widerstand. Der Versuchung Jesu nicht zu widerstehen, wurde zum Prinzip des neuen Himmels des Augustinus.

Dieser jenseitige Himmel aber braucht eine jenseitige Hölle, die ihn ergänzt. In diese Hölle gehören alle, die diesen Kampf gegen die Sinnlichkeit und Bedürftigkeit des Körpers verweigern. In dem entgegengesetzten Sinne, in dem dieser Himmel antizipiert wird, wird daher auch gegenüber diesen Verweigerern die Hölle auf Erden antizipiert. Dies geschah vielleicht in einer der schlimmsten Formen in den Hexenverfolgungen. In der Hölle gab es dann Überfluss an allem Höllischen.

Anselm von Canterbury:  Die angebliche Ungerechtigkeit des Schuldenerlasses

Der Tod Jesu ist von der Seite der Autoritäten – Pilatus und den Hohepriestern – her gesehen eine Opferung. Er ist es aber nicht von Paulus her gesehen. Da ist es ein Skandal.  Dieser Skandal ist der Skandal des Gesetzes. Der Unschuldige wird ermordet, aber seine Ermordung erfüllt das Gesetz. Das Gesetz hat den Unschuldigen schuldig gesprochen. Dies aber ist nicht etwas Einmaliges, sondern es gehört zum Gesetz, wenn seine Erfüllung angeblich gerecht macht. Es wird zur Kraft des Verbrechens. Es handelt sich im Verständnis dieser Zeit um ein Lösegeld und als solche um eine illegitime Zahlung an den Teufel, der dieses Geheimnis des Skandals des Gesetzes verhüllte.[14] Durch den Tod Jesu wurde dieses Geheimnis offenbar. Es wurde offenbar dadurch, dass offenbar wurde, dass das Gesetz, als Erfüllungsgesetz behandelt, die Kraft des Verbrechens ist. Es wurde also der Skandal des Gesetzes offenbar. In der Befreiungstheologie wird dieser Skandal des Gesetzes mit dem Namen “strukturelle Sünde” benannt.

Diese Deutung des Todes Jesu im Sinne eines illegitimen Lösegelds, das an den Teufel bezahlt wird, der als der Erpresser ist, gilt die gesamte Patristik hindurch, verliert aber allmählich den Zusammenhang mit der Gesetzestheologie des Paulus. Je mehr dieser Zusammenhang verloren geht, desto stärker setzt sich eine opferfreundliche Interpretation durch, die das Opfer als solches für fruchtbringend hält. In der Theologie des Paulus ist eine solche These nicht zu finden. Bei ihm offenbart die Opferung Jesu vielmehr, was das Gesetz in Wahrheit ist. In der Patristik besitzt der Teufel die Macht, das Blut Jesu als Lösegeld für diese Offenbarung zu verlangen. Sobald aber die Gesetzestheologie aus dem Blick gerät, bleibt nur noch das Opfer übrig. Sie gerät aber aus dem Blick, da das Christentum imperialisiert wird und das Imperium wohl kaum diese Gesetzeskritik übernehmen wird. Es versteht sich durch ein anderes Symbol: in hoc signo vinces.

In diesem Kontext war der Gedanke unbegreiflich, dass Gott als Gläubiger auftreten könnte, der unbezahlbare Schulden eintreibt. Zu den wenigen Ausnahmen von dieser Regel zählt Aulén Tertullian. Aber die Vorstellung, dass Jesus durch seinen Tod ein Lösegeld an den Teufel bezahlt, war bei weitem vorherrschend. Der Dämon verlangt ein Lösegeld, ohne das er den Menschen nicht in die Freiheit entlässt. Deshalb zahlt Jesus. Der Mensch steht Gott gegenüber nur insofern in einer Schuld, als er ihm die verloren gegangene Freiheit schuldet, für die der Dämon das Lösegeld verlangt. Der Mensch muss dem Dämon dieses Lösegeld zahlen, um erneut frei zu sein für die Beziehung zu Gott. An Gott selbst jedoch ist kein Lösegeld zu zahlen.

«Origenes diskutiert die Frage, wem der Lösepreis zu zahlen ist, und äußert sich entschieden dagegen, dass er an Gott zu entrichten sei.»[15] «Bei Chrysostomos wird der Dämon mit dem Tyrannen verglichen, der all seine Schuldner ins Gefängnis wirft»[16]. Der Dämon also ist es, der die Schulden niemals erlässt.

Bei Anselm von Canterbury hingegen taucht ein Gott auf, der erbarmungslos die Schulden eintreibt. Die Vorstellung des Anselm weist im Vergleich zur patristischen Auffassung eine Serie von Umkehrungen auf. In der Patristik nimmt der Dämon die Bezahlung entgegen, bei Anselm Gott. In der Patristik ist der Mensch durch die Schulden an den Dämon gekettet, bei Anselm ist er mit seinen Schulden an Gott gekettet. Gott und der Dämon tauschen die Plätze miteinander, die Verhältnisse kehren sich um. Nach Anselm hat Gott die Macht inne und der Dämon streitet mit Gott um die Macht. Die Sünde des Menschen besteht darin, Gott die legitime Macht entzogen zu haben. In der Patristik dagegen ist der Mensch der Macht des Dämons unterworfen; Gott aber verlangt nicht diese Macht, die der Dämon inne hat, sondern die Befreiung des Menschen, damit er von aller Unterwerfung unter irgendwelche Mächte befreit werde. Gott ist keine Machtinstanz, sondern eine von jeglicher Macht befreiende Kraft. Er befreit auch von der Macht Gottes. Dagegen wird Gott bei Anselm zur obersten Machtinstanz. Gott und der Dämon vertauschen auf einmal ihre Plätze. Gott und der Dämon nehmen umgekehrte Positionen ein. Während im ersten christlichen Jahrtausend der Dämon die Schulden eintreibt, ist es im zweiten Gott. Während man im ersten Jahrtausend von einem illegitimen Eintreiben des Lösegeldes spricht, gilt im zweiten Jahrtausend eine Schuld, deren Zahlung legitim ist.

Während in der christlichen Botschaft jener ein gerechter Mensch ist, der Schulden erlässt, ist für Anselm jener ein gerechter Mensch, der alle seine Schulden abträgt. Folglich ist auch jener ein gerechter Mensch, der Schulden niemals erlässt und alle Schulden einzieht. Die Gerechtigkeit besteht jetzt darin, dass gezahlt und eingetrieben wird, was man schuldet:

“Wenn der Mensch ungerecht heißt, der dem Menschen nicht zurückgibt, was er schuldig ist, so ist noch mehr ungerecht, wer Gott nicht zurückgibt, was er schuldig ist.”[17]

“Ungerecht ist also der Mensch, der Gott nicht erstattet, was er schuldig ist.”[18]

Die Veränderung ist unübersehbar. Zuvor galt als gerechter Mensch, wer die Schulden erließ, die andere bei ihm hatten. Diese Perspektive gilt für Anselm nicht mehr. Geziemt es sich überhaupt, dass Gott die Schulden erlässt? Anselm stellt präzise die Frage nach der Botschaft des Vaterunsers: «[...] ob es Gott geziemt, durch bloßes Erbarmen, ohne alle Abzahlung der ihm genommenen Ehre, die Sünde nachzulassen»[19]bzw. «ob es Gott geziemt, die Sünde durch bloßes Erbarmen, ohne alle Abzahlung der Schuld, nachzulassen»[20].

Anselm schließt eine solche Möglichkeit aus, und zwar weil dies die Gerechtigkeit durch Gesetzeserfüllung verlangt: «Wenn aber die Sünde weder abgezahlt noch bestraft wird, unterliegt sie keinem Gesetz.»[21]

Ungerecht wäre es, das Gesetz nicht zu erfüllen. Denn das bedeutete, die Ungerechtigkeit zu belohnen. Der Gerechte, der bezahlt hat, gewänne nichts, während der Ungerechte, der noch zahlen muss, umsonst davonkäme:

“Somit ist also die Ungerechtigkeit freier, wenn sie durch bloßes Erbarmen nachgelassen wird, als die Gerechtigkeit; was sehr ungeziemend erscheint. Soweit sogar erstreckt sich diese Ungereimtheit, dass sie die Ungerechtigkeit Gott ähnlich macht; denn wie Gott niemandes Gesetz unterliegt, so auch die Ungerechtigkeit.”[22]

Weil es sich hier um eine zentrale Sorge seiner Theologie handelt, wiederholt Anselm dieses Urteil verschiedentlich:

“Nichts ist in der Ordnung der Welt weniger zu ertragen, als dass das Geschöpf dem Schöpfer die schuldige Ehre nimmt und nicht abzahlt, was es nimmt.”[23]

“Nichts wahrt also Gott gerechter als die Ehre seiner Würde.”[24]

Gesetz, Ordnung, Würde und Erfüllung normativer Forderungen stellen die Bezugspunkte dar. Im Namen von Gesetz und Ordnung gilt Schuldenerlass als ausgeschlossen:

“Halte also für ganz gewiss, dass ohne Genugtuung, das ist ohne freiwillige Abzahlung der Schuld, weder Gott die Sünde ungestraft lassen noch der Sünder zur Seligkeit [...] gelangen kann.”[25]

Hier treffen wir auf eine Mystik der Gesetzeserfüllung. Die Gerechtigkeit selbst verbietet es, Schulden zu erlassen bzw. es mit Pflichten nicht so genau zu nehmen. In diesem Kontext verwandelt sich die Vaterunser-Bitte um Schuldvergebung in eine Aufforderung an Gott und Mensch, Ungerechtigkeit zu begehen. Auch die Lösung, die Jesus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 18,23-35) anbietet, wird jetzt als Aufruf zur Ungerechtigkeit gewertet. Anselm spricht die Sprache der Macht, die Sprache des christlichen Imperiums, das sich zu seiner Zeit vollständig durchgesetzt hatte. Aber er geht darüber noch hinaus. Er spricht bereits die Sprache de Kapitalismus, obwohl es den Kapitalismus überhaupt noch nicht gibt. Die Botschaft Jesu und die Gesetzestheologie des Paulus verbannt er in die dämonische Ecke

Folgt daher die Frage:

“Wie also wird der Mensch gerettet werden, wenn er weder selbst einlöst, was er schuldig ist, noch gerettet werden darf, wenn er nicht einlöst? Oder mit welcher Kühnheit werden wir behaupten, Gott, der an Barmherzigkeit reich ist über alles menschliche Begreifen hinaus, könne diese Barmherzigkeit nicht anwenden?”[26]

Anselm entwirft seine Alternative folgendermaßen:

“[...] wie der Mensch Gott für die Sünde schuldig ist, was er einerseits nicht einlösen kann, und wie er andererseits, wenn er es nicht einlöst, nicht gerettet werden kann [...]

. [...] wie Gott den Menschen aus Barmherzigkeit rettet, obwohl er ihm die Sünde nur nachlässt, wenn er eingelöst hat, was er ihretwegen schuldig ist.”[27]

Anselm findet die Lösung des Problems der Barmherzigkeit in der Behauptung, dass Christus durch seinen Tod die notwendige Schuldentilgung bei Gott vornimmt. Christus bezahlt durch das Opfer seines Blutes die Schulden. Christus ist zugleich Gott und sündenfreier Mensch.                             

“A. Glaubst du, ein so großes, so liebenswertes Gut könne genügen, um einzulösen, was für die Sünden der ganzen Welt geschuldet wird?


B. Im Gegenteil, noch ins Unendliche mehr vermag es. [...]

A. Wenn also das Leben hingeben gleich ist mit: den Tod annehmen: wie die Hingabe dieses Lebens alle Sünden der Menschen überwiegt, so auch die Annahme des Todes.”[28] 

Weil Christus Gott und Mensch zugleich ist, kann er die Schulden einlösen, die für jeden normalen Menschen unbezahlbar bleiben. Aber er kann die Schulden nur durch seinen Tod, durch sein Blut tilgen. Unbezahlbare Schulden werden mit Blut bezahlt. Gott selbst fordert dieses Opfer, damit seiner Gerechtigkeit Genüge getan wird. Und er selbst bringt dieses Opfer.

Hier präsentiert Anselm uns Christus als den Gottmenschen, der in die Welt kommt, um den Opfertod zu sterben für die unbezahlbare Schuld, in welcher die Menschen bei Gott seinem Vater stehen. Das Leben und die Lehre Jesu verschwinden vollkommen. Jesus kam nicht mehr in die Welt, um zu leben, sondern um zu sterben. Sein Tod ist der einzige Sinn seines Lebens. Gott Vater kann in seiner Liebe gar nicht anders, als die Menschheit dadurch zu erlösen, dass er die unbezahlbare Schuld der Menschen eintreibt. Sein Sohn muss als Gott-Mensch diese Schuld durch sein Blut bezahlen, weil unbezahlbare Schulden mit Blut zu tilgen sind. Gott-Vater trägt ihm auf, zu sterben und auf diese Weise den Weg für die Vergebung der Sündenstrafen bei den Menschen freizumachen.

“Christus wollte freiwillig sich zum Menschen machen, damit er mit demselben unabänderlichen Willen stürbe.”[29]

Der Sinn des Lebens Jesu besteht darin, zu sterben, um dadurch die Schuld zu bezahlen:

“[Christus konnte nicht nicht sterben] weil er wirklich sterben sollte, und er deshalb wirklich sterben sollte, weil er das selber freiwillig und unabänderlich wollte: so folgt, dass er aus keiner anderen Ursache nicht nicht sterben konnte, als weil er mit unabänderlichem Willen sterben wollte.”[30]

Christus hat also die Zahlung geleistet. Doch diese Zahlung ist so etwas wie ein Guthaben im Himmel. Die Zahlung eliminiert die Schuld, in der die Menschen bei Gott stehen, nicht automatisch. Um von ihren Schulden loszukommen, haben sie vielmehr selbst zu zahlen, indem sie auf dieses Guthaben zurückgreifen. Christus stellt den Menschen das durch sein Blut erworbene und als wirksames Zahlungsmittel dienende Guthaben zur Verfügung. Christus bezahlt also nicht direkt, sondern erwirbt ein Guthaben, das er zur Verfügung stellt. Das heißt, nach dem Tod Christi stecken die Menschen immer noch in Schulden. Nur sind es jetzt keine unbezahlbaren Schulden mehr.

Sie können und sollen also zahlen. Wenn sie es nicht tun, werden sie wieder für ihre Sünden bestraft, und zwar mit einer ewigen Strafe. Wer dagegen auf das von Christus erworbene Guthaben zurückgreift, um seine Schulden zu begleichen, wird gerettet. Doch darauf zurückgreifen kann nur, wer sich Verdienste erwirbt. Auch Christus gibt nichts umsonst. Die Verdienste, die sich die Menschen vor Gott erwerben, eröffnen ihnen den Zugang zu dem von Jesus durch sein Blutopfer errungenen Guthaben. In diesem Schatz steht ihnen ein unendlich wertvolles Zahlungsmittel zur Verfügung, das Gott zufriedenstellt. Verdienste können sich die Menschen Christus gegenüber erwerben, wenn sie ihm nachfolgen. Das ist die imitatio Christi. Erwirbt der Mensch aber diese Verdienste nicht, dann ist Christus nicht für ihn gestorben.

In dieser Perspektive werden selbst die Gesetzestheologie des Paulus und die Predigt Jesu zur Blasphemie. Beide fordern ein Subjekt, das um des Lebens willen dem Gesetz gegenüber souverän und urteilsfähig bleibt. Das zu tun, heißt nun, schlimmste Sünde zu begehen. Es gibt Sünden, die bestehen in der Übertretung von Gesetzen. Aber die schlimmste Sünde geschieht dann, wenn der Mensch sich selbst über das Gesetz stellt. Auch in der Theologie von Jesus und Paulus gibt es Sünden wegen Gesetzesübertretungen und eine schlimmste Sünde. Die schlimmste Sünde nach Jesus und Paulus begeht, wer glaubt, Gerechtigkeit durch blinde Befolgung des Gesetzes zu verwirklichen. Nach der Theologie des Anselm begeht die schlimmste Sünde, wer den Menschen dem Gesetz gegenüber als souverän ansieht und folglich glaubt, die schlimmste Sünde werde durch Gesetzesbefolgung begangen. Die Positionen stehen in scharfem Gegensatz zueinander. Was der einen Tradition entsprechend schlimmste Sünde ist, entspricht in der anderen der Forderung Gottes selbst und umgekehrt.

Bernhard von Clairvaux fügt ein weiteres Element bei, wenn er bereits eine gefälschte Vaterunser-Übersetzung einführt, wie sie gegenwärtig in der gesamten Christenheit per Dekret verbreitet wird. Bernhard sagt:

“Vergib denen, die gegen dich gesündigt haben, und auch dir wird vergeben werden, was du selbst gesündigt hast, während du mit ruhigem Gewissen zum Vater beten und sprechen kannst: «Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.»” (Mt 6,12)[31]

Er kann zwar nicht, wie man das heute betreibt, die Übersetzung selbst verändern, weil er lateinisch schreibt und dazu die Vulgata-Übersetzung verwendet. Aber die Lust dazu geht ihm offenbar nicht ab. Deswegen deutet er zumindest an, dass der Inhalt ein anderer ist, als der Buchstabe sagt: «Vergib denen, die gegen dich gesündigt haben, und auch dir wird vergeben werden, was du selbst gesündigt hast.» Er lässt die Übersetzung der Vulgata einfach frei im Raum schweben. Die Übersetzung der Lutherbibel hat dann die ursprüngliche Bedeutung wieder herausgestellt. Auch daran zeigt sich die Tatsache, dass Luther die Theologie des Anselmus abgelehnt hat, während Bernard von Clairvaux sie zur Grundlage seines eigenen Denkens machte.

So sieht Bernhard dann die leuchtende Stadt auf dem Berge folgendermassen:

“Fern sei es aber auch, dass er die, die dem ewigen Feuer mitsamt dem Teufel und seinen Engeln zugewiesen werden müssen, beklagt und beweint in jener Stadt [...], deren Tore der Herr mehr liebt als alle Zelte Jakobs. Wenn man sich in diesen Zelten auch zuweilen freut über den Sieg, ist man doch der Mühsal des Kampfes ausgesetzt und gerät oft in Lebensgefahr. In jener Heimat aber wird nichts Widerstrebendes und keine Traurigkeit mehr zugelassen, so wie von ihr gesungen wird: «Wie Frohlockende sind alle, die in dir wohnen» (Ps. ,); und wieder «Ewige Freude wird ihnen zuteil.» ( Jes ,) Wie soll man dort noch an das Erbarmen denken, wo man nur mehr der gerechten Taten Gottes gedenkt? Und dort, wo kein Raum mehr sein wird für das Unglück und keine Zeit für das Erbarmen, wird es schließlich auch das Gefühl der Barmherzigkeit nicht mehr geben können.[32]

Die Integration des Gesetzes in den Markt: die Nächstenliebe als bürokratische Norm.

Wir hatten bisher zwei bedeutende  Gesetzesabsolutierungen zitiert. Die erste stammt von Augustin, der den Körper als absolut beherrscht durch das Gesetz der Seele darstellt.  Die zweite stammt von Anselm von Canterbury, der die Gerechtigkeit als extreme Gesetzeserfüllung interpretiert. Er tut es an Hand  der Diskussion der Schuldenzahlung. Schulden können nicht vergeben werden, da dies eine Ungerechtigkeit, nämlich eine Gesetzesverletzung, bedeuten würde. Nicht bezahlbare Schulden aber werden durch Blut und Tod bezahlt. Aber beide Referenzen beziehen sich auf den Himmel. Im Himmel und vor Gott ist es so. Aber es werden keine expliziten Schlüsse für die Erde gezogen. Anselm selbst  ist, was die irdischen Dinge anbetrifft, weiterhin Anhänger des mittelalterlichen Zinsverbotes.

Mit der Moderne aber kommen sie auf die Erde. Mir scheint das Zentrum hierfür die Vergöttlichung des Marktes zu sein, die sich ergibt, indem der Markt als “unsichtbare Hand” und als selbstreguliertes System aufgefasst wird. Diese Entwicklung des Marktes als eine vergöttlichte Kraft zieht sich durch das ganze Mittelalter hin und geht von der Göttlichkeit der Autorität, damit aber des Königs, aus. Der Markt wird zum Gott, sobald der König zum Markt wird. Der Markt ist jetzt “von Gottes Gnaden”.

Agamben geht in seinem Buch Il Regno e la Gloria[33] von dem Satz des Paulus über die “Verwalter der Geheimnisse Gottes” in 1 Kor 4,1 aus. Aber er unterlässt es, das paulinische Verständnis der Verwaltung des Geheimnisse zu analysieren. Mein Interesse an seinem Buch hat einen anderen Grund. Agamben zeigt auf, wie bis zum 2. Jahrhundert in Anschluss an Paulus von der Verwaltung des Geheimnisses gesprochen wird, dieses Wort dann aber in sein Gegenteil verkehrt wird: Vom 3. und 4. Jahrhundert an wird vom Geheimnis der Verwaltung gesprochen. Das Geheimnis der Verwaltung aber ist die Autorität, die an der Verherrlichung Gottes partizipiert. Indem Gott verherrlicht wird, wird auch die Autorität, also die Obrigkeit, verherrlicht. Dies sind zunächst der König und die Liturgie der Macht, die in Einheit mit der Liturgie der Verherrlichung Gottes gefeiert werden. Im 17. und 18. Jahrhundert tritt an die Stelle des Königs das Gesetz, das letztlich das Gesetz des Marktes wird. Es ist somit das Wertgesetz. Schließlich wird die «unsichtbare Hand» des Marktes und seine Selbstreguliertung als das Geheimnis der Verwaltung zelebriert. Diese Ableitung von Agamben ist faszinierend.[34] Andererseits aber zeigt sie, wie sich auch hier der Thermidor gegenwärtig macht. Alles schlägt ins Gegenteil um.

Adam Smith findet die klassische Formulierung dieses Ergebnisses:

"Allerdings ist es in der Regel weder sein Streben, das allgemeine Wohl zu fördern, noch weiß er auch, wie sehr er dasselbe befördert. Indem er den einheimischen Gewerbefleiß dem fremden vorzieht, hat er nur seine eigene Sicherheit vor Augen, und indem er diesen Gewerbefleiß so leitet, daß sein Produkt den größten Wert erhalte, beabsichtigt er lediglich seinen eigenen Gewinn und wird in diesen wie in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, daß er einen Zweck befördern muß, den er sich in keiner Weise vorgesetzt hatte. Auch ist es nicht eben ein Unglück für die Nation, dass er diesen Zweck nicht hatte. Verfolgt er sein eigenes Interesse, so befördert er das der Nation weit wirksamer, als wenn er dieses wirklich zu befördern die Absicht hätte."[35] 

Dies ist jetzt der Markt: eine magische Maschine. Er verwandelt Selbstliebe in Nächstenliebe, Egoismus in Altruismus, den Kalkül des Eigeninteresses in Gemeinwohldenken. Als Funktionsmechanismus ist damit der Markt sowohl das Geheimnis des menschlichen Zusammenlebens wie auch seine Lösung. Diese Maschine produziert am Band lauter Nächstenliebe. Das ist auch das neoliberale Märchen.

Diese Denkart beginnt mit der Moderne. Francisco de Vitoria hat bereits im 16. Jahrhundert Vorstellungen in dieser Richtung, nach ihm besonders Hobbes und dann John Locke. John Locke kennt zweifellos bereits die Schriften von Francisco de Vitoria. Anfang des 18. Jahrhunderts gibt Mandeville Formulierungen, die der Formulierung von Adam Smith sehr nahe kommen. In seiner Bienenfabel (1714) sagt er: Private Laster – öffentliche Tugenden. Was man im Markt tut, ist immer wohlgetan. Adam Smith entwickelt dies dann weiter zur unsichtbaren Hand und Autoregulierung des Marktes. Dies wurde dann im Manchester-Kapitalismus weitergeführt, der weitgehend das 19. Jahrhundert beherrschte und kam mit unerhörter Macht mit dem Neoliberalismus der Globalisierungsstrategie zurück. Ein Autor wie Hayek spricht daher auch davon, dass dieser Markt ein Wunder ist, das man nicht intervenieren darf, damit es weiterhin seine Wunder wirken kann.[36]

Adam Smith lässt in seiner Interpretation der unsichtbaren Hand durchaus Öffnungen für einen gewissen Interventionismus in den Markt. Der heutige völlig ideologisierte Antiinterventionismus neoliberaler Prägung ist erst nach dem II. Weltkrieg als Reaktion auf den systematischen Interventionismus, der nach Kriegsende den westeuropäischen Wiederaufbau möglich machte. Man argumentuert aber nicht direkt gegen dieses Projekt des Wiederaufbaus, sondern argumentiert gegen den Interventionismus, auf dem der sowjetische Sozialismus sich gründete. Allerdings geht es nur um Interventionen zugunsten des Menschen, die jetzt im Zuge des sogenannten Neoliberalismus als absolut verboten gelten. Interventionene und auch Subventionenen zugunsten des Kapitals und der Unternehmungen hingegen werden grenzenlos legitimiert.

Obwohl diese ganze Kampagne gegen den Interventionismus  zugunsten des Menschen gerichtet war, sprach man kaum über diesen westlichen Interventionismus, der das genaue Gegenteil des neoliberalen Projekts war und der den Kapitalismus der Nachkriegszeit charakterisierte.. Für die Kampagne wäre dies auch nicht gut gewesen, denn dieser Interventionismus hatte sehr eindeutigen und grossen Erfolg.

Der totale Markt, dessen Theorie das neoliberale Denken, dessen Zentrale die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Chicago war, entwickelt hatte, stellte sich immer mehr heraus als die der in den 70er Jahren entwickelten Globalisierungsstrategie entsprechende Ideologie. Daher fand sie eine immer stärkere Stütze in den privaten Bürokratienen der transnationalen Unternehmungen und den grossen Konsortien. Damit aber war ihr der Beifall aller wichtigen Kommunikationsmittel und Wirtschaftsfakultäten in der ganzen Welt sicher, die weitgehend von diesen Unternehmungen beherrscht werden.. Ein irgendwie ernsthaftes wirtschaftstheoretisches Denken über die Bedeutung dieses Übergangs zur Politik des totalen Marktes war nur noch vereinzelt möglich und konnte nur noch von der politischen Opposition kommen.

Damit war dann die Legitimitätsbasis für die neue Indeologie des totalen Marktes gegeben. Die Regierungen von Margret Thatcher in England und vor allem von Ronald Reagan ab dem Jahre 1980 leiteten dann die neue Politik ein. Der Militärputsch in Chile von 1973 mit seiner totalen Unterwerfung der Wirtschaft unter die neoliberalen Forderungen war eine Art Laboratorium für das spätere. Es war praktisch nicht mehr möglich, noch eine objektive Diskussion in der breiten Öffentlichkeit über den Markt und die notwendigen systematischen Interventionen in den Markt zu führen. Erst heute kehrt in gewissem Umfang eine solche Freiheit zurück einfach deswegen, weil diese Globalisierungspolitik geradezu katastrophale Konsequenzen für die Welt hat und heute selbst das Überleben der Menschheit gefährdet.

Diese Entwicklung des totalen Marktes  führte  zu einer neuen Form der Argumentation, die in einer fast völligen Tautologisierung der Argumente bestand. Dies ging insbesondere vom IWF aus, besonders von Camdessus, seinem Direktor seit 1987 – 2000. Diese Argumentation ist ein Versuch, jede Diskussion zu unterbinden einfach dadurch, dass man alle Argumente inmunisiert.

Ein sehr einfaches Beispiel kann dies zeigen. Im Jahr 1988 veröffentlichte der IWF folgende Behauptung:

“Die Wirkung der steuerlichen Massnahmen,  zum Beispiel der auf Einkommenssteuer bezogenen Massnahmen, welche die Steuerbeträge für die unteren Einkommenssgruppen erhöhen, sie aber für die höchsten Einkommensgruppen senken, begünstigt die armen Schichten.”[37]

Solch einen Unsinn kann man natürlich nur sagen, wenn man die Macht über die Kommunikationsmittel und die Wirtschaftsfakultäten hat. Man kann dann beliebig manipulieren, denn divergierende Meinungen können nur ganz begrenzt  verbreitet werden.

Camdessus als Direktor des IWF begibt sich dann sogar auf den Boden der Theologie und kopierte zentrale Teile der Befreiungstheologie, vor allem die Option für die Armen. So stellt er die Macht dieser Welt der Macht des Reiches Gottes  und dessen König gegenüber, von dem er sagt, dass dieser König sich mit den Armen identifiziert.

Die eine stützt sich auf die Macht, die andere auf den Dienst am Nächsten; die eine, gestützt auf die Macht, legt Wert auf Eigentum und Anhäufen von Besitz, die andere auf das Teilen; die eine verehrt den Fürst und seine Barone, die andere den Ausgegrenzten und Schwachen; die eine zieht Grenzen, die andere heißt willkommen; die eine stützt sich auf das Spektakuläre und die Medien, die andere zieht das Keimen des Senfkorns im Verborgenen vor. Am anderen Ende und inmitten all dieser Unterschiede steht der eine Unterschied, der alle anderen in sich vereint: Der König identifiziert sich mit dem ARMEN!“[38]

Aber dieser König, der sich mit den Armen identifiziert, tut dies dadurch, dass er jetzt diese Armen ermahnt. Er spricht jetzt von der Gefahr des Populismus. In der Sprache des IWF faßt dieser Terminus all jene politischen Positionen und Handlungsweisen zusammen, die nicht die Positionen des IWF hinsichtlich der Strukturanpassungen übernehmen. Heftig wehrt sich Camdessus gegen

„... alle Arten von Volksverführung, die schon jetzt am Werke sind und von denen wir wissen, wohin sie führen, nämlich zur Hyperinflation und damit - noch ehe der Markt sein Versprechen gehalten hat - zum regelrechten Zusammenbruch der Wirtschaft, zur Zunahme von Elend und zur Rückkehr der „totalitären“ Regime; sagen wir eher, zum Ende der Freiheiten.“[39]

Sein Ergebnis ist, dass die Option für die Armen realistisch sein muss und daher mit der Option des IWF und seine Anpassungsmassnahmen übereinstimmen muss. Für Camdessus bedeutet dies, dass das Reich Gottes auf dieser Erde nur angenähert werden kann und dass die einzige realistische Annäherung darin besteht, die Linie des IWF zu übernehmen, die ganz vollständig die Linie des neoliberalen Antiinterventionismus ist. Jeder Versuch, mehr zu tun, wäre der Weg in die Katastrophe. Die Vorstellung von Camdessus ist geradezu apokalyptisch.[40]

In einem gleichen Sinne zitiert Hugo Assmann Roberto Campos:

„Genau betrachtet kann niemand direkt für die Armen optieren. Es muß viemehr eine Option für diejenigen getroffen werden, die investieren können und die dadurch Arbeitsplätze für die Armen schaffen.“[41] Assmann, Hugo: Economía y religión. DEI, San José 1994, S. 101.

Es kommt immer wieder: die realistische Option für die Armen ist die Option für die Reichen. Das ist heute die Harmonie der unsichtbaren Hand. Damit wird dem Kapital die absolute Macht gegeben gegenüber einer völlig entmachteten Bevölkerung. Die Demokratie wird zu einer einfachen Verpackung eines immer totalitärer werdenden Systems, das zu seinem Zentrum den totalen Markt hat.[42]

Als der jetzige Papst Franciscus sein Schreiben Evangelii Gaudium, in dem er zu den heute notwenigen Interventionen in den Markt aufrief, schrieb Robert Grözinger in der FAZ vom 30.12.2013:

“Das Grundproblem mit Aussagen wie denen des Pontifex ist, dass keine konkreten Ursachen für die genannten strukturellen Probleme der Weltwirtschaft dargelegt werden, sondern sie sich in einer vagen Klage gegen allzu freie Märkte erschöpfen, die aber Unkenntnis offenbaren. Es ist nämlich keinesfalls die „Wirtschaft“, die tötet, wenn, wie der Papst beklagt, „es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht.

Der Schuldige, wenn man denn einen Schuldigen pauschal nennen will, ist vielmehr der Staat. Jener Staat, der zum Beispiel in Argentinien, dem Heimatland des Papstes, durch interventionistische und Eigentumsrechte willkürlich bedrohende Politik Investoren verschreckt und die Wirtschaft so in Stagnation und Niedergang führt. Ein Staat, der Mindestlöhne festlegt und damit Schwache aus dem produktiven Erwerbsleben ausschließt und sie abhängig von einer Wohlfahrt macht, die er ebenfalls reguliert und beherrscht. Der Höchstmieten festlegt und damit den Wohnungsmarkt einschränkt. Ein Staat, der Unternehmen reglementiert und besteuert, bis sie auswandern oder schließen und damit empfindliche Wohlfahrtsverluste für die bisherigen Arbeitnehmer und deren Gemeinden verursacht. Der andere, unproduktive Unternehmen subventioniert, so dass Ressourcen unproduktiv verwendet werden und der Kapitalstock einer Nation dahinschrumpft.”

Es ist interessant, dass einer der bekanntesten Spekulanten des Weltfinanzmarktes auf diesen Unsinn eine bemerkenswerte Antwort wusste.  Es handelt sich um George Soros. In einem Spiegelinterview (Spiegel online) vom 5.3.2014 sagte er:

“Frage: Was erwarteten Sie eigentlich für Europa, als der Zeite Weltkrieg endlich zu Ende ging? Konnten Sie überhaupt daran glauben, dass der Kontinent jemals Frieden finden würde?

Soros: Unser großes Glück nach dem Ende des Krieges war der Marshall-Plan. Ohne ihn ist die Europäische Union überhaupt nicht denkbar, er war ihr Geburtshelfer. Der Plan war wahrscheinlich das erfolgreichste Entwicklungshilfeprojekt der Weltgeschichte. Und er zeigte, zu welch guten Taten die Vereinigten Staaten fähig waren, die damals weltweit so dominant waren wie heute Deutschland in Europa. Amerika konzentrierte sich auf den Wiederaufbau des Kontinents, auf dem es gerade noch erbittert Krieg geführt hatte. Das ist der große Unterschied zum heutigen Verhalten Deutschlands: Amerika war bereit, die Sünden der Vergangenheit vielleicht nicht zu vergessen, aber zu vergeben. Deutschland hingegen scheint es bloß um Sanktionen und Strafe zu gehen, ohne dass das Land dem Rest Europas eine ähnlich positive Vision bietet, wie sie damals die Amerikaner auch den Deutschen boten.”

Es war tatsächlich ein höchst erfolgreiches Entwicklungsprojekt. Analysiert man es aber, kommt man zu dem Ergebnis, dass dieses Projekt ganz genau das Gegenteil davon durchsetzte, was die heutige Ideologie des Neoliberalismus sagt. George Soros ist sich dessen ganz offensichtlich bewusst. Sucht man eine Falsifizierung fast aller dieser Thesen, so findet man sie in diesem “erfolgreichsten Entwicklungsprojekt der Weltgeschiche”.

Dieses Entwicklungsprojekt, das ein Pojekt des Wiederaufbaus war, begann mit einem weitgehenden Erlass aller Auslandsschulden, die entweder anulliert wurden oder für die man ein langfristiges Moratorium erklärte. Darüberhinaus kamen die eigentlichen Marshall-PlanKredite, die zu äusserst günstigen Bedingungen gegeben wurde. Die höheren Einkommen und das Kapital und der Grundbesitz wurden ausserordentlich viel höher besteuert als dies jetzt der Fall ist. Gleichzeitig wurde der Sozialstaat entwickelt wie noch nie: öffentliches Gesundheitssystem, Erziehungssystem, Rentenversicherung. Eine Europäische Zahlungsgemeinschaft verhinderte die einseitige Herausbildung von Defizit- oder Überschusssituationen im Aussenhandel.

Hinzu kam, dass dass  keine Genehmigungen für privates Ferhsehen oder Rundfunk erteilt wurden. Der Grund war, dass man für alle Zukunft einen solchen Missbrach dieser meinungsbildenden Mittel verhindern wollte, wie es die Nazis mit der UFA getan hatten.

Allerdings romantisiert Soros die damalige Haltung der USA. In Wirklichkeit  war dieser sehr weitgehende und äusserst rationale Interventionismus der Nachkriegszeit die Bedingung dafür, den kalten Krieg gewinnen zu können. Der Kapitalismus gebrauchte ein menschliches Antlitz, wenn er den kalten Krieg gewinnen wollte. Man versteht dann, was Soros der heutigen Bundesrepublik vorwirft. Aber diese könnte sich nur menschlich verhalten, wenn dies dazu dienen würde, irgendeinen Krieg zu gewinnen. Das scheint Soros nicht zu verstehen. Aber unsere westliche, so sehr christliche Gesellschaft kann nur menschlich sein, wenn sie dies als ein Mittel und Bedingung dafür ansieht, zukünftige Unmenschlichkeiten zu begehen. Einfach so eben gut zu sein, gilt als völlig irrational. Es wäre aber gerade das Notwendige. Aber das Unentbehrliche gilt als nutzlos (wie Francis Picabia dies nannte).

Aber der Neoliberalismus ist die Unterwerfung des Menschen unter ein blindes Gesetz, das in jedem Fall die Oberhand behält. Es geht dabei insbesondere um das Marktgesetz. Es hat zwei Ebenen. Auf der einen Seite die Ebene der Marktethik, die solche zentralen Normen wie das Du sollst nicht stehlen oder Du sollst nicht betrügen umfasst. Aud dieser Ebene umfasst die Marktethik so gut wie alle Normen, die aus dem kategorischen Imperativ von Kant abgeleitet werden können. Aber die Marktgesetze haben noch eine andere Ebene. Dies ist die Ebene der Ablaufgesetze des Marktes, wie z. B. dass mit der Verknappung der Güter die Preise steigen. Was der Neoliberalismus erklärt, ist die absolute Geltung  beider Arten von Gesetzen Das schliesst alle Interventionen in den Markt aus, soweit sie von den Lebensmöglichkeiten der Markttreilnehmer aus argumentieren. Sonstige Interventionen werden sogar gefördert. Es handelt sich um die Interventionen und Subventionen zugunsten der privaten Bürokratien unserer Grossunternehmungen.

Aus diesen Entwicklungen folgt dann die heutige in den dominanten Wirtschaftswissenschaften sich durchsetzende abolute Eliminierung des Menschen als Subjekt. Diese ist so zynisch wie es die ganze Theorie ist. Man reduziert den Menschen darauf, Humankapital zu sein. Das heisst, seine ganze Welt und sich selbst als Humankapital zu kalkulieren und das Subjekt zur reduzieren auf einen Kalkulator und seine Geldtasche. Sie wurde begründet von Gary Becker, der dafür den Wirtschaftsnobelpreis 1992 bekam. Ich bin überzeugt, dass damit das antihumane Denken seine extremste mögliche Form erreicht hat und damit der Entwicklung des Totalitarismus des Marktes jede mögliche Grenze genommen wurde. Ein noch extremeres Denken gegen den Menschen scheint mir nicht mehr möglich zu sein. Das aber bedeutet, dass jetzt alles möglich ist.

Hatte man zu Anfang den Nichtinterventionismus des Marktes  einfach verteidigt dadurch, dass eben die Wissenschaften keine Werturteile abgeben dürfen und daher jede mögliche Inhumanität einfach verschweigen konnten, kommt jetzt das Argument, das jedes Argument inmunisiert: was immer auch der Kapitalismus an Brutalität entwickelt, immer gilt, dass durch Intervention des Marktes alles noch viel schlimmer wird. Die Brutalität kann unbegrenzt weitermachen.

Durch die Inmunisierung der Argumente entsteht damit ein so totaler Dogmatismus, wie es ihn bisher noch nicht gegeben hat. Dieser hat aber den Schein einer Argumentation. Damit ist die gesamte christliche Tradition einfach erledigt, wenn  man diese Scheinargumentation annimmt. Die Welt ist die beste aller möglichen Welten, und für die Opfer kann man nichts tun, denn der Versuch, es zu tun, verschlimmert nur ihre Lage. Die es trotzdem versuchen wollen, sind gefährliche Utopisten.

Die Reformation und der Konflikt mit der Orthodoxie

Was wir bisher  hier entwickelt haben, ist nicht die Geschichte des Christentums. Es handelt sich vielmehr um die Entwicklung der Grundkategorien von denen aus das Christentum in der Geschichte interpretiert oder auch angewendet wird. Das, was wir dabei als Orthodoxie fanden, ist nicht von Anfang an im Christentum sichtbar, sondern entsteht in seiner Geschichte und ihrer Interpretation und Anwendung. Es geht um die Kategorien des Sehens, also dessen, was als wahr oder falsch, als gut oder böse wahrgenommen wird. Der Thermidor definiert diejenige Sichtweise, von der aus das, was sich in der Logik der Macht ergibt, als das Wahre und das Gute erscheint. Es ist das, was Paulus die Weisheit der Welt nennt.

Dieser Thermidor ergibt sich von der Auseinandersetzung mit den Gedanken aus, in deren Namen ein Volk rebelliert. Niemals wird es rebellieren im Namen dessen was der darauf folgende Thermidor als die “wahre” Ursache der Rebellion oder der Revolution vorbringt. Es handelt sich immer um eine Rebellion, die die Grundlagen der Macht  kritisiert und auch bekämpft. Die Rebellion wendet sich gegen eine Macht, die in ihrer Wurzel in ihrer Legitimität bestritten wird. Insofern ist sie immer demokratisch, während die Aufgabe des Thermidors ist, diese demokratische Wurzel zu entfernen oder zu inmunisieren und die alte Macht in neuem Gewand wieder erstehen zu lassen.

Im Beginn der Revolution ist die Demokratie niemals bereits definiert. Die Revolution selbst mündet in die Notwendigkeit die Institutionen der zu errichtenden Demokratie zu definieren. Dies ist immer der Moment, in dem neue Machtblöcke ihre Interessen der Revolution aufzwingen können. Sie werden zur alten Macht im neuen Gewande.

Im christlichen Thermidor des, vor allem, 4. Jahrhunderts wird diese Auseinandersetzung schon dadurch sehr klar, dass der Kaiser Konstantin eine durchaus führende Position in dem Konzil von Nizäa einnimmt, die diese Institutionalisierung der christlichen Kirche als imperiale Kirche durchsetzen.

Konstantin trägt als römischer Kaiser den Titel “Sohn Gottes”. Auf dem Konzil von Nicäa behält er diesen Titel, teilt ihn aber jetzt mit Jesus Christus als Himmelskönig. Paulus hatte im Römerbrief von Jesus als dem Sohn Gottes gesprochen, in dem alle Söhne oder auch Töchter Gottes sind. Damit erklärt Paulus die Illegitimität der Macht des Kaisers. Im Sinne der Legitimität gesprochen, setzt er den Kaiser ab. Deshalb sagt Jakob Taubes hierüber, Paulus habe damit sein Todesurteil unterschrieben. In symbolischer Sprache habe Paulus den Kaiser abgesetzt.

Jetzt wird Jesus Christus zum himmlischen König. Er ist jetzt eingeborener Sohn Gottes. Gott hat nur einen Sohn. Wenn man auch weiterhin von anderen als Söhnen Gottes – oder Kinder Gottes – spricht, so sind sie dies nur in einem analogen Sinn. Damit aber hat der Titel Sohn Gottes jeden kritischen Inhalt verloren. Es ist eher umgekehrt. Jesus als Jesus Christus hat einen zentralen Kaisertitel bekommen. Und es ist der Kaiser selbst, der ihn ihm zuspricht. Damit ist das Christentum imperialisiert. Was dabei eliminiert wurde, ist, dass indem Jesus Sohn Gottes ist, alle Menschen Sohn Gottes und folglich Söhne und Töchter Gottes sind. Dies ist die Relativierung aller Autoritäten, aber auch aller Gesetze. Kein Mensch ist mehr für den Sabbat da.

Diese Art zu denken ist den ersten Jahrhunderten vertraut. Die Taufe erklärt den Täufling, sei es Junge oder Mädchen, “König, Priester und Prophet”.  Jeder ist König, folglich ist keiner der König, jeder ist Priester, folglich ist keiner der Priester. Dasselbe folgt für den Sohn Gottes. Alle sind Sohn Gottes (oder Tochter Gottes), niemand ist eingeborener Sohn Gottes. Es wird eine grundlegende Gleichheit aller Menschen postuliert, die für alles spezifische Sein des Menschen ebenfalls gilt. Wenn auch dann Ungleichheiten durchaus anerkannt werden, so immer unter der Voraussetzung dieser grundlegenden Gleichheit.

Der Thermidor wischt diese grundlegende Gleichheit fort.

Das Credo con Nicäa (325) gilt bis heute, obwohl es keineswegs unbestritten ist. Damit soll es symbolisieren, dass der Glaube in seinem Wesen unverändert ist. Es ist das konstantinische Erbe und umschreibt das entsprechende Zeitalter. In dieser Position blieb noch sehr klar der Papst Benedikt XVI, etwa in seiner bekannten Regensburger Rede vom 12.9.2006, in der er betont, dass das“kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört”. Dieses griechische Erbe ist die Basis der Orthodoxie, aber keinesfalls des Christentums. Es ist vor allem nicht die Basis von Paulus. Paulus geht natürlich von griechischen Denken, definiert sich aber sofort gegten die Kontinuität dieses Denkens. Dieses Denken von Paulus wird verschüttet und kommt erst in der Moderne zurück.

Geht man von dieser Orthodoxie aus, so kann sie keineswegs die Geschichte des Christentums in diesem gesamten Zeitraum wiedergeben. Die erste Position, die des Reiches Gottes, deren Gegenteil der Thermidor seit dem 4. Jahrhundert wiedergibt, verschwindet keineswegs einfach sondern bleibt weiterhin präsent. Aber sie wird jetzt als Häresie gesehen und ist zumindest häresieverdächtig.

Dies mündet dann in einen Zusammenstoss ein. Es handelt sich um die Reformation, die diese Orthodoxie des Thermidor konfrontierte. Diese Konfrontation konnte nicht einfach kirchlich sein, weil des Christentum des Mittelalter eben nicht nur kirchlich ist, sondern die gesamte Kultur und Zivilisation durchdrungen hatte und ihr die Stabilität verlieh. Es geht dabei um Bewegungen im 15. und 16. Jahrhundert, die die gesamte Orthodoxie beiseite lassen, aber sich immer noch innerhalb des Christentums verstehen. Es geht hier als erstes um die die Bewegungen des radikalen Protestantismus, wie es in Deutschland die aufständischen Bauern unter Thomas Müntzer und ebenso der Aufstand der Täufer in Münster waren. In anderen Ländern Europas gibt es ganz parallele Entwicklungen, wie etwa die Bewegung des Jan Hus und andere sowohl in Frankreich und in England. Daneben stehen die Reformatoren, die sich gegen diese radikale Reformation wenden und eher an eine kirchliche Reformation denken., wie etwa Luther und Calvin. In einem andern Kontext erscheinen in Südamerika die oppositionellen Prediger, wie es etwa Bartolomeo de las Casas[43] und viele andere sind. Man denkt jetzt auf eine andere Art.

Dies ist der Zusammenbruch der Orthodoxie, aber natürlich nicht ihr Verschwinden. Aber es  entsteht jetzt eine Forderung, die dann weit über alle diese Auseinandersetzungen hinausgehen. Es ist die Forderung: sola scriptura. Sie ist sehr viel mehr als sie direkt sagt. Sie beinhaltet bereits vollständig, was dann Kant als Aufklärung definiert. Kant nennt es den “Ausgang des Menschen aus seiner ….Unmündigkeit” die für ihn das “Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen” ist. Daher das “Sapere aude” (wage es, zu denken). Dies ist dann die Wurzel aller weitergehenden Emanzipationen, wie sie sich insbesondere vom 19. Jahrhundert an entwickeln und für die das Kantsche Denken keinen Raum mehr hat.

Die Orthodxie wehrt sich und kann sich wehren. Aber sie ist jetzt religiöse Orthodoxie, nicht eine, die die Gesellschaft selbst begründet und wie es die Orthodoxie des Mittelalters war. Der Papst Benedikt XVI (mit zivilem Namen Ratzinger) schwärmte noch davon, einen solchen Zustand wieder beleben zu können.

Aber die Bewegung kommt als Volksbewegung in Gang durch die Reformation, geht dann aber weit über sie hinaus. Aber es ist die Reformation die Bewegung, die den Raum für alles das eröffnet, was sich dann als Moderne entwickelt. Hegel fasst das zusammen nach der französischen Revolution, indem er sagt: Keine Revolution ohne Reformation. Im 20. Jahrhundert wurde dies häufig ausgeweitet in: Keine Revolution auf der Erde ohne eine entsprechende Revolution im Himmel. Aber es gilt auch: keine Konterrevolution auf der Erde ohne eine Konterrevolution im Himmel.

Diese Reformation ist der Beginn der Moderne. Aber sie ist es in einem Zusammenhang. In Lateinamerika sieht man heute den Beginn der Moderne in der Eroberung Amerikas von 1492 an. Dies tut insbesondere Henrique Dussel.  Ich halte dies ebenfalls für völlig richtig. Aber es ist kein Zufall, dass beide, die Eroberung Amerikas und die Reformation in Europa zeitlich zusammenfallen.

 

 



[1] S. Badiou, Alain: Paulus. Die Begründung des Universalismus. München 2002

[2] Die Dreigroschenoper (Druckfassung 1931), III, 9 (Mac). In: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Erster Band: Stücke 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1997. S. 267[

[3] Ich zitiere nach Norbert Arntz: Verwischte Spuren der Kirchenväter; die Erde gehört uns allen. S. 72 Man kann diese Arbeit sehen in der Webseite www.pensamientocritico.Info

[4] Shakespear: Timan of Athens. Zitiert in Das Kapital I, MEW 23. Band  S. 146

[5] Ich veröffentlichte im Jahre 1977 eine Analyse der Gesetzeskritik des Paulus. s. Hinkelammert Franz J.: Las armas ideológicas de la muerte. Verlag DEI. San José (Costa Rica), 1977 Es handelt sich um den zweiten Teil des Buches  S. 98-124 Deutsche Übersetzung: Die ideologischen Waffen des Todes. Verlag edition liberación-Exodus, Freiburg (Schweiz) 1985

[6] s. Nietzsche, Friedrich Werke in drei Bänden. Herausgeber Karl Schlechta, Carl Hanser Verlag München. 1981 Der Antichrist, Bd,II S.1230

[7] Augustinus, Aurelius: Der freie Wille. Schöningh. Paderborn, 1947. S. 12/13

[8] Augustinus, Aurelius: Vom Gottesstaat. München 1978, S.600

[9] a.a.O…831

[10] Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat, Buch 11-22, München 1978, Seite 819

[11] Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat, Buch 11-22, München 1978, Seite 825

[12] Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat, Buch 11-22, München 1978, Seite 818

[13] Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat, Buch 11-22, München 1978, Seite 819

[14] Vgl. G. Aulén, Christus Victor. An historical study of the three main types of the idea of the atonement, London, 1961

[15] Ebd. S. 49

[16] Ebd. S. 51

[17] Anselm von Canterbury, Cur Deus Homo – Warum Gott Mensch geworden, Lateinisch und Deutsch, München, . Aufl. , I. Buch, .24. Kapitel,  S. 8

[18] Ebd. I. Buch, 24. Kapitel, S. 83

[19] Ebd. I. Buch, 12. Kapitel, S.41

[20] Ebd. I. Buch, 12. Kapitel, S.41

[21] Ebd. I. Buch,12. Kapitel, S.43

[22] Ebd. I. Buch, 12. Kapitel, S.43

[23] Ebd. I. Buch, 13. Kapitel, S.45

[24] Ebd. I. Buch, 13. Kapitel, S.47

[25] Ebd. I. Buch,19. Kapitel, S.71

[26] Ebd. I. Buch, 25. Kapitel, S.87

[27] Ebd. I. Buch, 25. Kapitel, S. 89

[28] Ebd. II. Buch, 14. Kapitel, S.123

[29] Ebd. II. Buch, 16. Kapitel, S.133

[30] Ebd. II. Buch, .Kapitel, 16, S.135

[31] Bernhard von Clairvaux, Ad clericos de conversione/ An die Kleriker der Bekehrung, Nr. XVI. In: Bernardus (Claraevallensis), Sämtliche Werke, lateinisch/deutsch, hrsg. Von Gerhard B. Winkler, Innsbruck, Band 4, 1993, S. 221

[32] Bernhard von Clairvaux, Dediligendo Deo/Über die Gottesliebe,Nr.XV.,in: Bernardus (Claraevallensis), Sämtliche Werke, lateinisch / deutsch, hrsg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck, Bd. I , (Hervorhebung von uns). Bernhard wagt es, das Gesetz, das kein Erbarmen und deshalb auch kein Gefühl der Barmherzigkeit mehr kennt, als das Gesetz der Liebe zu bezeichnen: «Das unbefleckte Gesetz des Herrn also ist die Liebe, die nicht sucht, was ihr nützt, sondern was vielen nützt. Gesetz des Herrn aber wird es genannt, einerseits, weil er selbst danach lebt, andererseits weil niemand es besitzen kann außer durch Gottes Geschenk. Es möge nicht sinnlos erscheinen, dass ich sagte, auch Gott lebe nach diesem Gesetz, da ich doch sagte, dass er nach keinem anderen Gesetz als dem der Liebe lebe. [...] Die Liebe ist also ein Gesetz, sie ist das Gesetz Gottes, das gewissermaßen die Dreifaltigkeit in Einheit zusammenhält und sie bindet durch das Band des Friedens. [...] Sie ist das ewige, schöpferische und lenkende Gesetz des Weltalls. Wenn nun das Weltall in Gewicht, Maß und Zahl nach diesem Gesetz geschaffen ist und nichts ohne Gesetz bleibt, da dieses allgemeine Gesetz selbst auch nicht ohne Gesetz ist – freilich kein anderes als es selbst –, lenkt es dadurch auch sich selbst, auch wenn es sich nicht dadurch erschuf.» – Über die Gottesliebe, Nr. XII, ebd. S.35

«Gut ist also das Gesetz der Liebe und süß. Es lässt sich nicht nur in Leichtigkeit und Süße tragen, sondern macht auch noch die Gesetze der Knechte und Lohndiener leicht und erträglich. Es zerstört sie nicht, sondern bewirkt, dass sie erfüllt werden nach dem Wort des Herrn: ‹Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen› (Mt ,). Jenes mildert er, dieses ordnet er, beides erleichtert er. Niemals aber wird es Liebe ohne Furcht geben [...] Die Liebe bringt also das Gesetz des Sklaven zur Erfüllung, indem sie ihm Hingabe einflößt, und das Gesetz des Lohndieners, indem sie sein Verlangen ordnet. Die der Furcht beigegebene Hingabe beseitigt sodann diese nicht, sondern läutert sie.» Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo/Über die Gottesliebe, Nr. XII, ebd. S.38

[33] Agamben, Giorgio: Il Regno e la Gloria. Ich zitiere nach der spanischen Ausgabe: Agamben, Giorgio: El Reino y la Gloria, Buenos Aires 2008

[35] Smith, Adam: Der Reichtum der Nationen. Kröner, Leipzig 1924. (Viertes Buch, 2.Kapitel) Bd.II,S.29

[36] Über den Markt sagt er: “Es gibt weder im Englischen noch im Deutschen ein normal gebrauchtes Wort, das auf adequate Weise ausdrückt, was das Wesen einer extensen Ordnung ist, noch dafür, warum ihr Funktionieren mit den rationalistischen Ansprüchen in Widerspruch steht. Der Términus “traszendent”, der einzige, der im Grunde hierfür adequat wäre, ist derartig oft missbraucht worden, dass sein Gebrauch nicht mehr  empfehlenswert ist. In seinem wörtlichen Sinn hingegen spielt dieses Wort auf das an, was sich jenseits aller Grenzen unserer Vernunft, unserer Absichten, unserer Vorschläge und unserer Empfindungen befindet. Daher wäre dieses Wort anwendbar auf etwas, das fähig ist, Informationsmengen hervorzubringen und zu verarbeiten, wie sie jedes persönliche Fassungsvermögen oder eine jede singuläre Organisation nicht nur nicht aufnehmen, sondern sich nicht einmal vorstellen können. In seinem religiösen Aspekt, wird diese unsere Interpretation wiedergespiegelt durch jenes Wort aus dem Vaterunser, das sagt: “Dein Wille geschehe (und nicht der Meinige) wie im Himmel als auf Erden”, und ebenfalls in dem Zitat aus dem Evangelium:  “Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe“. (Joh 15,16)” (Hayek, Friedrich A.: La fatal arrogancia. Los errores del socialismo. Unbióm Editorial, Madrid, 1990. p. 125/126 [The fatal conceit: The Error of Socialism. (The collected Works of Friedrich August Hayek, Volume I) Chicago University Press, 1988])

[37] Studie des IWF “Adjustmdent Programs for Poverty: Expiriences in Selected Countries” Ne. 58, Ocasional Papers, nach: Nulletin des IWF vom 6. Juni 1988, S.164

[38] Die folgenden Zitate stammen aus dem von der französischen Bischofskoferenzveröffentlichten Text: Camdessus, Michel: Marché-Royaume. La double appartenance. Documents Episcopats. Bulletin de secretariat de la conference des eveques de France Nr. 12 (Juillet-Aut, 1992).

Ich habe diese Position von Camdessus ausführlich analysiert in:

Franz J. Hinkelammert: La teología de la liberación en el contexto económico-social de  América Latina: economía y teología o la irracionalidad de lo racionalizado. Publicado en la Revista Pasos Nro.: 57-Segunda Época 1995: Enero – Febrero

dt. Fassung:  Franz J Hinkelammert. Über den Markt zum Reich Gottes. In: Orientierung, 60. Jg., 1996, Nr. 9 u. 10

[39] In einem vor der Sozialen Woche 1991 in Frankreich gehaltenen Vortrag konfroniert er ebenfalls die Option für die Amen mit dem, was er Populismus nennt: „Wir müssen in unserem Urteil bedachtsam sein, damit wir die vorrangige Option für die Armen niemals mit dem Populismus verwechseln.“ Camdessus, Michel: Libéralisme et Solidarité à l’ échelle mondiale. XXX Concurrence et solidarité. L’ économie de marché presqu’ou? Actes des Seminaires sociales de France tenues à Paris en 1991. ESF editeur, Paris 1992, S. 100.

[40] Nach seiner Pensionierung im Jahre 2000 wurde er vom Vatikan zu einem Mitglied der vatikanischen Komission Iustitia et Pax ernannt. Er hatte deutlich bewiesen, wie man glaubte, was Gerechtigkeit ist.

[41] Assmann, Hugo: Economía y religión. DEI, San José 1994, S. 101.

[42] Siehe hierzu Kurz, Robert: Wer ist totalitär?  Die Abgründe eines ideologischen Allzweck-Begriffs. http://www.exit-online.org/link.php?tabelle=autoren&posnr=144

Hinkelammert, Franz J.: Vi. Kapitel: Zur Kritik des zynischen Kapitalismus – die Indeologiekritik und die Kritik des Nihilismus. In: Hinkelammert, Franz J.: Der Schrei des Subjekts. Vom Welttheater des Johannesevangeliums zu den Hundejahren der Globalisierung. Exodus. Luzern, 2002

[43] Gustavo Gutiérrez analiza precisamente esta sitruación de una nueva apertura necesaria. S. Gutiérrez, Gustavo: En busca de los popbres de Jesucristo. El pensamiento de Bartolomé de las Casas. Editiorial CEP, Lima (Perú) 1992

 

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