Franz Hinkelammert

Wir leben unter einer neuen Unfehlbarkeit, die als völlig absolut gilt. Es ist die Unfehlbarkeit des Marktes. Diese Unfehlbarkeit hat sich geschichtlich entwickelt, aber sie war nie so total wie heute. Schon bei Adam Smith wurde sie als „unsichtbare Hand“ des Marktes bezeichnet, ein Ausdruck, den Newton für die Erklärung der Bewegung der Planeten um die Erde und bereits  die antike Kosmosvorstellung insbesondere der Stoa für die Begründung der Ordnung des Kosmos durch die Hand irgendeines Gottes benutzte. Aber sie war bei Adam Smith noch nicht die Vorstellung des totalen Marktes. Der Markt war auch für Adam Smith noch durchaus unvollkommen und brauchte Interventionen, um zu funktionieren. Erst die neoliberale Wirtschaftstheorie stellt den Markt als unfehlbar und total dar und konzipiert daher einen Totalitarismus des Marktes.

Die Unfehlbarkeit des Marktes und die neoliberale Marktreligion.

Diese Entwicklung des Begriffs der Unfehlbarkeit des Marktes ist eng begleitet durch die Vergöttlichung des Geldes. Diese ist ebenfalls sehr alt. Sogar Jesus stellt sie fest, wenn der darauf besteht, dass man nicht zwei Herren diesen kann: Gott und dem Mammon. Mammon ist hier das Geld als Gott, der ein irdischer Gott ist. Diese Vergöttlichung des Geldes nahm immer totalere Züge an mit dem Übergang zur Moderne. Sowohl Shakespeare als auch Goethe stellen diese Tatsache sehr stark heraus, zusammen mit vielen anderen Schriftstellern besonders seit der Renaissance.

Der folgende Text kommt von Hayek, dem wichtigsten Guru des Neoliberalismus seit der Mitte des XX. Jahrhunderts:

„In seinem religiösen Aspekt, wird … unsere Interpretation wiedergespiegelt durch jenes Wort aus dem Vaterunser, das sagt: ‚Dein Wille geschehe (und nicht der Meinige) wie im Himmel also auch auf Erden’, und ebenfalls in dem Zitat aus dem Evangelium:  ‚Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe…’“ (Joh 15,16)[1]

Gemäß Hayek spricht der Markt mit den Worten des christlichen Vater Unser zum Marktsubjekt und demgegenüber antwortet das neoliberale Marktsubjekt ebenfalls mit den Worten des Vater Unser und sagt zum Markt: „Dein Wille geschehe (und nicht der Meinige) wie im Himmel also auch auf Erden“. Jetzt spricht der Markt weiter, dieses Mal mit den Worten des Evangeliums des Johannes und sagt zum Marktsubjekt: ”Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe…“

Hayek kann deshalb von der Weisheit des Marktes sprechen und  dem Markt die Fähigkeit zusprechen, vollkommene Entscheidungen zu treffen, die in jedem Falle der Optimalität und daher der höchstmöglichen Effizienz näher stehen als es nur irgendeine menschliche Intervention tun könnte. Es ergibt sich so etwas wie eine Allgegenwärtigkeit und Allwissenheit des Marktes.  Der Mensch handelt nur verantwortlich, wenn er in letzter Instanz alle Verantwortung dem Markt  zuspricht.

Es handelt sich ganz offensichtlich um eine Religion, auch wenn sie die Religion irdischer Götter ist, wie Marx dies zu Anfang nennt. Später spricht er nicht mehr von irdischen Göttern, sondern von Fetischen. Aber Walter Benjamin in seinen Diskussionen des Kapitalismus als Religion spricht dann wieder von Göttern, weil sich das Wort Fetisch nicht durchgesetzt hatte.

Hiermit ist in etwa die neoliberale Marktreligion vorgestellt und einige zentrale Mythen aufgezeigt, mit denen sie operiert.

Die inquisitorische Funktion der Marktreligion.

Von hier aus scheint es mir möglich, eine bestimmte deutsche Situation aufzuzeigen, die sich heute gegenwärtig macht in einem Zusammenstoß im Parlamente zwischen der herrschenden Koalition und der Partei Die Linke. Es geht darum, dass die herrschende Koalition eine größere Zahl von Verfassungsänderung durchpeitscht, die faktisch die weitgehende Abschaffung des Sozialstaats in Deutschland weit über die Grenzen hinaus möglich machen soll, die bisher noch durch die herrschende Verfassung garantiert werden. Es hat einen hoch interessanten Zusammenstoß gegeben über eine Verfassungsänderung, die die Privatisierung des gesamten Autobahnnetzes ermöglichen soll. Im Parlament erklärte die Abgeordnete Sarah Wagenknecht:

Es geht Ihnen gar nicht um eine bessere Infrastruktur und mehr Investitionen. Es geht bei der Autobahnprivatisierung darum, Banken, Versicherungen und anderen Großanlegern lukrative und zugleich risikofreie Anlagemöglichkeiten zu verschaffen.[2]

Es handelt sich um ein Sachurteil, also eine Wirklichkeitsaussage, die schwer zu bestreiten ist. Aus dieser Aussage zog Frau Wagenknecht folgenden Schluss:

Das lässt nur einen Schluss zu: Die Renditewünsche der Allianz und anderer Finanzkonzerne sind Ihnen wichtiger als die Interessen der Bürgerinnen und Bürger.“ (a.a.O.)

Der Schluss folgt als sachliches Ergebnis aus dem vorhergehenden Ergebnis eines Sachurteils. Aber die Reaktion innerhalb des Parlaments war völlig irrational. Es gab viele negative Zwischenrufe von Seiten von Vertretern der Koalition. Eine beeindruckte mich insbesondere. Darin hieß es: „Arroganz und Dummheit“

Ich kann weder Arroganz noch Dummheit entdecken. Ich bin aber völlig überzeugt, dass das nicht einfach eine bewusste Beleidigung war, sondern dass es völlig ernst gemeint war. Der das sagte, glaubte in allem Ernst, dass es so ist, wie er behauptet. Die Frage ist dann, wie jemand, der vernünftig ist, es übersehen kann, dass es sich um ein ernsthafte Behauptung von Seiten der Abgeordneten handelt, die als Sachurteil völlig legitim ist und keine einzige Beleidigung enthält.

Wir könnten ja sagen, dies sei ideologisch begründet. Aber das trifft nicht, wenn wir Ideologie als Lüge ansehen. Der Zwischenrufer hingegen sagte zwar meiner Ansicht eine Unwahrheit, aber es ist fraglich, dass das in diesem Falle ein Lüge ist. Er glaubt wirklich, dass die Position von Frau Wagenknecht arrogant und dumm ist.

Genau das scheint mir die Folge seiner völlig hemmungslosen Marktreligion zu sein. Er machte eine religiöse Verurteilung nach Art eines Inquisitors des Mittelalters. Sie hat eine Markthandlung – nämlich die Privatisierung – ganz offen bezweifelt. Das ist völlig unannehmbar für die Marktreligion. Sie ist eine Ungläubige. Folglich ist sie arrogant und dumm.

Jetzt können wir den völlig unsinnigen Zwischenruf verstehen. Er hat eine Pseudorationalität, der gemäß sie die Wahrheit nicht sehen kann. Und die Wahrheit für den Zwischenrufer ist der Markt selbst, nicht etwa ein Sachurteil über die Wirklichkeit, das immer dann als illegitim gilt, wenn es zu Zweifeln an der absoluten Gültigkeit des Marktes führt.

Übrigens macht man mit dem jetzigen Papst Franciscus etwas ganz ähnliches. Der Papst sagte: „Diese Wirtschaft (er bezog sich auf den heutigen Kapitalismus) tötet“. Es ist ebenfalls eine Sachaussage, die sich auf eine sichtbare Wirklichkeit bezieht und die ganz offensichtlich wahr ist. Man sehe sich jetzt die Reaktionen in unseren Kommunikationsmitteln an. Sie sind weitgehend ganz so, wie es die Reaktion gegenüber Sarah Wagenknecht war. Zu sagen, dass das, was hier der Papst sagte, „unsinnig“ sei, war das wenigste. Auch für den Papst ist die Inquisition der Marktreligion zuständig.

Der erste große Prozess in unserer Geschichte, in dem  das hier sichtbare Verhältnis zu den Sachurteilen und ihrer Ablehnung im Namen von Ideologie und Religion ganz offen gezeigt werden kann, ist der berühmte Prozess gegen Galileo Galilei  im Jahre 1633, in dem Galilei  verurteil wurde und sein ganzes weiteres Leben (von 1633 – 1642) unter Hausarrest gehalten wurde. Er führte die Theorie von Kopernikus weiter und argumentierte natürlich durch Sachurteile. Diese Sachurteile wurden nicht einmal diskutiert, sondern das Inquisitionsgericht verurteilte ihn als Häretiker ganz einfach deswegen, weil er es wagte, diese Art Sachurteile über die Wahrheit der Religion zu stellen.. Wahrscheinlich haben diese Richter ihn ganz so wie dies heute der Abgeordneten Sarah Wagenknecht geschah der Arroganz und Dummheit angeklagt.

Es handelt sich um eine Art der Verurteilung, die sehr spezifisch für die Moderne ist und die immer eine Referenz religiöser Art braucht und sich schafft. Nur solchen religiösen Denkweisen gegenüber können Sachurteile als solche verurteilt werden. Die bisher bekannten Formen der Moderne gehen daher so vor. Es handelt sich nicht um Werturteile, die den Angeklagten verurteilen. Es handelt sich vielmehr um Verurteilung von Sachurteilen im Namen der Konstruktion von Mythen, wie dies im Fall der Marktmythen der Fall ist. Die Marktreligion ist implizit immer in diesen Marktmythen enthalten. Werturteile sind etwas anderes, sie verurteilen keine Sachurteile. Heute ist die wichtigste Form dieser Art religiösen Verbots bestimmter Sachurteile die neoliberale Marktreligion.

Aber neben dem Zwischenruf „Arroganz und Dummheit“ von Seiten von Vertretern der regierenden Koalition im deutschen Parlament ist noch ein anderer Zwischenruf von Interesse. Dieser Zwischenruf lautete: „Jetzt kommen wieder Adenauer und Erhard!“ Es geht dabei weniger um Adenauer als um Erhard und seinen wichtigsten Mitarbeit Müller-Armack, für die die „Soziale Marktwirtschaft“ als eine mit sozialer Gerechtigkeit in einem komplementären Verhältnis stehende Marktwirtschaft zu verstehen ist. Ein solcher Zusammenhang ist heute weder für die Christdemokraten noch die Sozialdemokraten im Ernst diskutierbar. Im Gegenteil: Entsprechende Meinungen von Erhard oder Müller-Armack gelten heute als extreme linke Meinungen. Dasselbe gilt für die meisten Länder Europas und Lateinamerikas, wo die Wirtschaftspolitiker der ersten Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg so gut wie nicht mehr erwähnt werden und wo die Studenten der Wirtschaftswissenschaften die Politik dieser Zeit fast nicht studieren. Sie wissen daher nach ihrem Studium kaum, was das eigentlich für eine Zeit war. Und als Corbyn damit anfing, sein heutiges Programm zu entwickeln, wurde er regelmäßig angegriffen, weil er angeblich extreme Linke darstellte. Aber er hatte sich nur durch die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit inspirieren lassen.

Tatsächlich steht die Wirtschaftspolitik dieser Länder nach dem II. Weltkrieg den heutigen Vorstellungen davon, was eine  am Sozialismus orientierte Wirtschaftspolitik ist, durchaus nahe, obwohl sie natürlich auch nicht etwa das Gleiche ist. Dies hat natürlich auch damit zu tun, dass die Sozialismusvorstellungen, sind und die sich eher an der Zentralen Planung orientierten, zusammengebrochen die heutigen Vorstellungen der Linken die eines durch systematische Interventionen geordnete Markt ist. Daher kann es nicht wundern, dass zum Beispiel in Deutschland heute die Wirtschaftspolitik Deutschlands nach dem II. Weltkrieg praktisch nur noch von Ökonomen erinnert wird, die der Partei Die Linke nahestehen. Unter ihnen  ist besonders die Abgeordnete Sarah Wagenknecht hervorzuheben. Man versteht dann besser, warum sie von unserer angeblich freien Presse besonders attackiert wird.

Dies hat zu einer weitgehenden Neudefinition der Linken geführt. Es handelt sich um neue Persönlichkeiten, aber auch neue Formen der Organisation. In England, ragt gerade Jeremy Corbyn hervor, in den USA Bernie Sanders. In Spanien hat sich ein neuer Parteientyp gebildet unter dem Namen Podemos, in Griechenland unter dem Namen Syriza, In der deutschen Linkspartei ist ein ganz ähnlicher Prozess in Gang, ganz ähnlich wie in vielen Teilen Lateinamerikas (in Bolivien, in Venezuela, in Ecuador, in Brasilien und an vielen weiteren Orten).  Nicht nur andere Parteien, sondern das gesamte Parteiensystem versucht, diese Entwicklungen zu unterdrücken. Die barbarische Form in der Schäuble Griechenland behandelt und es  in eine Art neuer Kolonie verwandelt hat, zeigt den Hass, der diesen Entwicklungen gegenüber kultiviert wird, aber ebenfalls die Angst, die dieses unser System diesen Entwicklungen gegenüber hat. Was unsern Finanzminister Schäuble anbetrifft, schloss er in die Liste aller Bedingungen, die die Regierung  Griechenlands angesichts des Problems ihrer unbezahlbaren Schulden zu erfüllen hat, die Forderung ein, das Verbot des Verkaufs am Sonntag für die Einkaufszentren und Supermärkte aufzuheben. Er forderte eine neue Freiheit für die Marktreligion. Die Griechen sollen Sonntags diese Zentren aufsuchen, anstatt in die Kirchen zu gehen. Sie sollen endlich dem wahren Gott dienen, und der wahre Gott ist der Warengott. Schäuble hat einen klaren Sinn für das was Marktreligion ist.

Welche Götter sind falsche Götter?

Das ist eine Seite der Marktreligion. Sie tritt so auf wie häufig andere Religionen auch. Sie verbietet, die Wirklichkeit unvoreingenommen zu sehen. Wo die Wirklichkeit nicht mit der Marktreligion übereinstimmt, gilt nicht einfach nur das berühmte Wehe der Wirklichkeit, sondern das schärfere: Wehe denen, die auf der Wirklichkeit bestehen und die Mythen der Marktreligion als falschen Glauben erklären. Sie bekommen zumindest Berufsverbot.  Sie werden sogar als moralische Erpresser denunziert.[3]

Was sie tun, und was eben auch Sarah Wagenknecht tut, ist eine - von dieser Position des heiligen Marktes aus gesehen - Gotteslästerung, die den Markt, das Geld und das Kapital beleidigt. Die SPD beweist durch ihre Beteiligung nur, dass sie sich zum Markt bekehrt hat und für sie daher Argumente kaum noch zählen.

Wer diese Wirklichkeit zurückgewinnen will, wird heute als „Gutmensch“ denunziert. Daraus können wir entnehmen, dass die, die diese Kritik machen, selbst sich als„Schlechtmenschen“ sehen.. Besser wäre sogar noch als Unmenschen. Für sie ist das Ideal des Menschen, ein Unmensch zu sein. Dies sind Namen, die  diejenigen, die angeblich die „Gutmenschen“ kritisieren, sich in Wirklichkeit selbst geben. Dieser Schluss ist absolut notwendig. Darum sprechen sie ja auch davon, dass sie Menschen mit Killer-Instinkt brauchen.[4] Ein Unmensch zu sein wird zur zentralen moralischen Forderung dieser neoliberalen Marktreligion. Es handelt sich um einen grenzenlosen Nihilismus.

Mir scheint damit klar, dass Ideologiekritik nicht ausreicht.  Es ergibt sich, dass da eine religiöse Schicht ist, die weitgehend über die Ideologiekritik hinausgeht. Es ist Ideologie, die zur Religion geworden ist. Diese Götter des Marktes sprechen und sagen:

Dies ist schließlich alles nur Zeichen unserer Kultur. Denn  was den Markt fördert, fördert den Menschen, es ist unsere Kultur, das sind unsere Werte. Nichts fördert den Menschen so sehr wie die Förderung des Marktes. Für die die den Markt fördern, handelt es sich um einen Akt der reinen Menschlichkeit, der Nächstenliebe, des Dienstes am Menschen, an unseren höheren Werten, ein wahrer Gottesdienst, dessen Gott der Markt ist.

Es ist eine Besessenheit vom Markt entstanden. Dass dieser Dienst am Menschen dann auch noch entschädigt werden will, gilt dann auch wieder als ganz menschlich. Und wenn wir diesen Dienst des Marktes am Menschen feiern, hören wir dazu Beethovens neunte. Am besten in der Elbphilharmonie.

Das ist wirkliche Religion. Aber es die Religion falscher Götter. Es sind die Götter, die Marx unsere irdischen Götter nennt (später dann Fetische). Sie sind falsch, weil sie den Menschen und sein Leben opfern. Diese Marktreligion ist eine rein sakrifizielle Religion, sie bringt Menschenopfer dar. Man ist sich sicher, durch diese Menschenopfer die Götter des Marktes gnädig zu stimmen. Daher sind es Götzen. Diese Götter sind falsche Götter deshalb, weil sie Menschenopfer verlangen. Und heute ist die neoliberale Marktreligion der große Einpeitscher dieser Forderung des Marktes nach Menschenopfern.

Wir haben es hier in der Marktreligion mit einem mächtigen Überleben von ursprünglichen Religionsvorstellungen und ihren Menschenopfermythen zu tun. Die Menschenopfer sind daher ganz dieselben und wahrscheinlich heute mehr als sie es je waren.

Die notwendige Rückkehr der Religionskritik als unverzichtbarer Teil der Kapitalismuskritik

In dieser Religion sind sich fast alle einig: zumindest Christdemokraten, SPD und AfD. Die Christdemokraten wollen einen gnädigen Gott und das ist Grund genug, um die Autobahnen zu privatisieren. Der Gott, der der Markt ist, wird sie belohnen. Diese Religion argumentiert nicht und die Presse macht Kniebeugen. Die Pressefreiheit selbst hat sich in eine Fessel der Meinungsfreiheit verwandelt. Aber da diese Presse Privateigentum ist, ist die Bedingung erfüllt dafür, dass sie den Segen des Gottes des Marktes hat. Aber wir sollten nie vergessen: das Menschenrecht ist die Meinungsfreiheit, nicht die Pressefreiheit. Die Pressefreiheit ist ein Marktrecht, die Meinungsfreiheit hingegen ein Menschenrecht. Immer ist es nötig, die Pressefreiheit auf eine solche Weise zu konkretisieren,  dass sie so weit wie möglich die Meinungsfreiheit respektiert.  In den letzten Jahrzehnten haben wir eine Politik erlebt, die genau das Gegenteil verfolgte. Das Menschenrecht der Meinungsfreiheit und die öffentliche Meinung wurden reinen Marktkontrollen unterworfen. Unsere Marktreligion hat weitgehend die Menschenrechte abgeschafft und nutzt dabei die Pressefreiheit aus. Aus der Pressefreiheit ist sehr merkbar eine Kontrolle der Meinungsfreiheit erwachsen. Daher ist es notwendig, eine Pressefreiheit wiederzugewinnen, die die Meinungsfreiheit so weit wie möglich zurückgewinnt.

Angeblich sind es diese irdischen Götter, die uns das Wachstum schenken. Aber sie wollen am Ergebnis beteiligt werden. Und angeblich verdienen sie es. Wie es der Chef der Bank Goldman[5] Sachs von sich sagt: wir sind beteiligt am „Werk Gottes“. Angesichts dessen ist jeder noch so hohe Gewinn nur wenig, sogar viel zu wenig, sogar jämmerlich wenig. Man sieht, wie diese Religion des Marktes gleichzeitig hohe Magie ist. Einer der völlig dieser Magie verfallenen Ökonomen ist Laffer, der in seinem Enthusiasmus für Trump „paradiesische“ Zustände ankündigt. (Die Welt online, 23.01.201)

Deshalb, wenn wir wieder menschliche Politik wollen, brauchen wir gleichzeitig diese Religionskritik, die nicht auf Ideologiekritik reduzierbar ist. Sie ist notwendig, um den Menschen wieder ins Zentrum stellen zu können, wo sich jetzt unsere Götter des Marktes, das Geld und das Kapitals angesiedelt haben. Und dies heißt eben, den Menschen als höchstes Wesen für den Menschen anzuerkennen an Stelle des Marktes, des Geldes und des Kapitals: der Mensch ist nicht für den Markt da, sondern der Markt ist für den Menschen da, ganz so, wie der Mensch nicht für den Sabbat da ist, sondern der Sabbat für den Menschen.  Nicht nur Marx vertritt diesen Standpunkt. Dies tut heute sogar der heutige Papst in Rom. Denn dieser Papst ist überzeugt, dass es der Wille Gottes ist, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei. Man sieht dann, dass nicht alle Religion Marktreligion ist. Heute treffen sich das marxsche und das christliche Denken an diesem entscheidenden Punkt. Dass man an diesen Gott, wie ihn auch der Papst sieht, glaubt, ist nicht entscheidend. Das Zentrale ist, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist. Der Papst sagt genau dies ganz ausdrücklich ebenfalls. Ganz ähnliche Vorstellungen drücken viele Marxisten, vom marxschen Standpunkt her, aus.

Ausblick:

Es geht mir hier darum, der Argumentation unserer politischen Meinungen eine neue Durchschlagskraft zu geben. Wir brauchen Argumentationsstrategien, die diese Dimension der Marktreligion einschließen und ihr möglicherweise einen besonderen Platz einräumen. Der Ausgangspunkt dieser Strategie aber muss sein, auf den Menschen als dem höchsten Wesen für den Menschen zu setzen gegenüber der Unterwerfung des Menschen unter das Diktat des Marktes, das ganz einfach letztlich das Diktat unserer herrschenden Klassen ist. Es geht um einen Humanismus der Praxis. Es ist der Klassenkampf von oben, zu dem wir Stellung nehmen müssen. Dieser Klassenkampf von oben ergänzt sich durch seine Religion des Marktes, die sich nicht einmal scheut, sich christlich zu nennen und den Namen des Christentums zu missbrauchen. Statt dieses Klassenkampfes von oben brauchen wir eine systematische und demokratisch legitimierte Intervention des Marktes zugunsten des Menschen als höchstem Wesen für den Menschen und zugunsten der Natur. Es geht darum, an die Stelle dieses Klassenkampfes von oben eine Demokratisierung zu stellen, die fähig ist, die Unterwerfung der Demokratie unter die Mächte des Marktes  und damit unter den Klassenkampf von oben zu begrenzen. Es geht dann darum, an Stelle des merkelschen Prinzips, gemäß dem die Demokratie marktkonform sein muss, zu entdecken und zu entwickeln, dass der Markt demokratiekonform sein muss.  Nur auf diese Weise kann der Mensch, der das höchste Wesen für den Menschen ist, das Zentrum aller unserer sozialen Beziehungen werden. Das ist die Demokratie, um die es sich handelt. Marx beschreibt dies so:

"Und gegenüber der alten Seekönigin erhebt sich drohend und drohender die junge Riesenrepublik: 'Acerba fata Romanos agunt, Scelusque fraternae necis' (Ein hartes Schicksal plagt die Römer: das Verbrechen des Brudermords).“[6]


 [1] Hayek, Friedrich A.: The fatal conceit: The Error of Socialism. The collected Works of Friedrich August Hayek, Volume I Chicago University Press, 1988 S. 72/73

[2] Sahra Wagenknecht www.nachdenkseiten.de/?p=38565#more-38565       1.6.17

[3] Dies führt dann zu folgender indirekten Aufforderung, die faktisch zum kollektiven Selbstmord der Menschheit aufruft:

Zwei Tage nach der Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen, hat der sogenannte Berliner Kreis in der CDU/CSU einen Kurswechsel in der deutschen Klimapolitik verlangt. In einem sechsseitigen Papier, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, fordert die konservative Gruppierung ein Ende der ‚moralischen Erpressung’ durch die Klimaforschung und den "Abschied von deutschen Sonderzielen" bei der Bekämpfung der Treibhausgase.

.... Sie schreiben, die mit dem Schmelzen des polaren Meereises verbundenen Chancen (eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten, Rohstoffabbau)’ seien vermutlich sogar größer als ‚mögliche negative ökologische Effekte’".  Die Zeit Online 3.6.17

Der Markt hat immer recht, auch wenn er zum kollektiven Selbstmord der Menschheit führt. Alles andere ist „moralische Erpressung“.

[4] Der Präsident von Nestle erklärte, dass er Mitarbeiter mit “Killerinstinkt” brauche (In der deutschen Zeitschrift Der Arbeitgeber, 1/1991). Dem folgte dann der Bestsellerautor Jack Trout, der davon sprach, das Ideal des Wettbewerbs sei der „Killer-Wettbewerb”  (Schweizer Tageszeitung Tagesanzeiger, 10.9.01) Beide Hinweise zitiert gemäß Spieler, Willy: Liberale Wirtschaftsordnung – Freiheit für die Starken? In: Neue Wege. September 2002, Zürich. S. 252

[5] „Diese Woche hat Lloyd Blankfein wieder einen dieser Lloyd-Blankfein-Sätze gesagt, mit denen er Kapitalismuskritiker in aller Welt regelmäßig auf die Palme bringt. Der Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders sei "potenziell gefährlich", weil er Finanzmanager namentlich an den Pranger stelle, klagte der Chef der US-Bank Goldman Sachs, der von sich auch schon einmal behauptet hat, er "verrichte Gottes Werk". Es war wohl eine Retourkutsche, denn Sanders hatte jüngst auf die Frage, was oder wen er für den Inbegriff unternehmerischer Gier halte, ohne Zögern geantwortet: Goldman und Blankfein“. Süddeutsche 4.2.16 Sanders nennt hier Gier, was Lloyd Blankfein als einen Glaubensakt und Frömmigkeitsbeweis dem Gott des Marktes gegenüber erlebt. Lloyd Blankfein selbst schafft diesen seinen Gott, ganz frei nach Feuerbach: der Mensch schafft Gott nach seinem Bild. Das Bild, das Blankfein von sich und seinem Lebenszweck hat, ist die Gier. Entsprechend ist der Gott, den er schafft, der Gott des Marktes. Blankfein ist einer der großen Heiligen dieser Marktreligion. Sanders aber scheint diese Konsequenz, dass hier Gott als Markt und Geld geschaffen werden, noch nicht zu entwickeln.

[6] Zitat von Horaz. Ende des 23. Kapitels des ersten Bandes des Kapitals. Es handelt sich um einen zentralen Ort in den Publikationen, die Marx selbst publizierte. Das Kapital, das Marx im Jahre 1867 publiziwert, hat noch nicht 3 Bände.  Der Band, den Marx publiziert, ist das ganze Werk, dem er den Namen Das Kapital gibt. Das Kapitel 23 ist das letzte Kapitel seiner ganzen Argumentation in diesem Band. Die Kapitel 24 und 25 sind faktisch Zusätze, die sich mit einem zusätzlichen Thema beschäftigen, nämlich der ursprünglichen Akkumulation.   

 

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