Franz Hinkelammert
Vortrag per Skype im Kompaktseminar-Befreiungstheologie- 2019 vom 28. Juni - 29. Juni 2019. Alte Markthalle Basel, Schweiz.
Es geht nicht nur darum, immer mehr informiert zu sein über die Katastrophen, die uns erwarten. Solche Informationen müssen natürlich weiterhin fliessen. Aber es geht auch nicht einfach darum, zu wissen was zu tun ist, um diese Katastrophen, die ja vermeidbar sind – noch vermeidbar sind – auch tatsächlich zu vermeiden. Das muss man natürlich wissen und man muss die vielen notwendigen Reformen auch diskutieren und weiter entwickeln.
Aber worum es wirklich heute geht, ist die Bereitschaft, solche Reformen, selbst wenn man sie für notwendig und auch möglich hält, auch tatsächlich zu verwirklichen. All unser Bewusstsein der gegenwärtigen Krisen steht vor einer herrschenden Ideologie des Marktes, die alle Reformen verbietet, die eine Intervention in den Markt implizieren. Das gilt im Grunde für fast alle Reformen, die notwendig sind und die bei uns – und fast in der ganzen Welt, - der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus unterworfen werden und daher keinen Platz haben in unserer Welt, selbst wenn eine grosse Mehrheit der Bevölkerung sie bejaht. Aber diese Bejahung ist häufig krüppelig. Sie schliesst oft keineswegs die Bereitschaft ein , die Änderungen sowohl unserer Ideologie des Marktes ebenso wie der Politik des Marktes zu vollziehen, die notwendig wären. Und unsere herrschende Form der Sicht des Problems ist, dass man grosse Aktionen gebraucht, aber dass diese Aktionen nicht die absolute Herrschaft des totalen Marktes betreffen dürfen, die vom Neoliberalismus propagiert wird. Der Widerspruch ist sehr offensichtlich, wird aber selten aufgezeigt und daher auch kaum gesehen. Da die meisten der notwendigen Reformen eine systematische Intervention der Märkte implizieren, werden durch unsere herrschende Marktideologie die meisten der notwendigen Reformen abgelehnt und damit unmöglich gemacht. Die gleichen Personen, die die Reformen befürworten, lehnen gleichzeitig die gleichen Reformen ab, weil sie in den total gewordenen Markt eingreifen müssen. Daher ist die heute herrschende neoliberale Marktideologie nicht einfach nur eine Ideologie, sondern heute vor allem eine Religion, nämlich die neoliberale Religion des Marktes, die durch den Rückgriff auf alle sonstigen Religionen nur verbrämt wird. Das C etwa im Namen von CDU und CSU ist heute einfach eine verbrämte Form, sich auf den Neoliberalismus und damit auf eine zur Religion werdende oder bereits gewordene Ideologie zu beziehen. Wir brauchen Religionskritik dieser Ideologie gegenüber. Der Wille Gottes ist für unsere totalen Befürworter des Marktes, dass der Markt total sei. Sie unterwerfen sich diesem Willen als Willen Gottes und lassen nur solche Reformen zu, die nicht zu einer Intervention in den Markt führen. Aber solche Reformen gibt es fast gar nicht. Folglich, werden die notwendigen Reformen nicht durchgeführt, und zwar im Namen dieser Göttlichkeit mit ihrer unsichtbaren Hand. Die Reformen gelten daher als verführerisch, aber dieser Glaube besteht darauf, dass Gott sie nicht will, denn er ist der Gott des Marktes. Seine unsichtbare Hand will respektiert sein. Deshalb gelten diese Reformen im Grunde als Versuchungen einer Art Satan, der die Menschen verführen will. Ein Religionskonflikt ist das Ergebnis, obwohl er nicht offen diesen Namen trägt.
Daher werden so gut wie nie die tatsächlichen Reformen abgelehnt. Man lehnt ab, alle nur möglichen Reformen auch nur zu diskutieren. Indem man sagt: Reformen ja, aber keine Interventionen in den Markt, sagt man eben nein zu den Reformen, die man rein demagogisch sogar unterstützen kann. Man lehnt daher nur selten die Reformen ab, sondern lehnt es ab, den Markt zu intervenieren. Damit aber lehnt man die Reformen ab, ohne sich direkt mit ihnen auseinander setzen zu müssen. So macht man dann das Marktargument zu einem isoliert religiösem Argument.
Diese Kritik richtete sich natürlich nicht gegen religiöse Argumente als solchen. Aber wenn die religiösen Argumente für soziale Entscheidungen verpflichtend sein sollen, müssen sie immer gleichzeitig und überzeugend auch durch säkulare Argumente getragen werden. Andernfalls handelt es sich um eine fetischisierende falsche religiöse Argumentation.
Diese falsche Religiösität verdeckt allerdings bestimmte herrschenden Gruppeninteressen, wie das ja vielfach mit Religionen der Fall ist. Aber diese Gruppeninteressen brauchen solche Art Religion, um ihr Gruppeninteresse als das Ergebnis eines Allgemeininteresses behaupten zu können. So posaunen sie dann heraus, dass dies Bedingung ist für das Funktionieren der unsichtbaren Hand des göttlichen Marktes. Das überzeugt allerdings sehr häufig, um Gruppeninteressen insbesondere der herrschenden Klassen durchzusetzen.
Ein aktuelles Beispiel für den Zusammenstoss wirtschaftlicher Vernunft mit neoliberaler Ideologie und ihrer Marktreligion
Es geht um die Politik gegenüber dem gegenwärtigen massiven Anstieg der Mieten in vielen Teilen Deutschlands. Am 14.3.2018 sprach die Münchener Abendzeitung, als sie den massenhaften Verkauf von GBW-Wohnungen in München kritisierte, die vom damaligen Finanzminister Markus Söder (CSU) privatisiert und an eine der grossen Inmobilien-Gesellschaften (Augburger Patrizia Inmobilien AB) verkauft wurden, von einem „Massaker am Wohnungsmarkt.“. Der Verkauf war einer der Ausgangspunkte einer systematischen Mietserhöhung in München.
Aber ganz ähnliche Prozesse liefen in vielen deutschen Städten ab. In den Nachdenkseiten heisst es:
„Überall, wo die SPD in den letzten Jahren an der Regierung (beteiligt) war, hat sie eines gemacht: Sie hat den „sozialen Wohnungsbau“ dem „freien Markt“ zum Fraß vorgeworfen. Das hat sie nicht nur mit rechten Parteien zusammen gemacht, sondern auch mit einer „linken“ Mehrheit, wie in Berlin, als man 2006 mit der Partei „DIE LINKE“ ein rot-rotes Bündnis bildete und die Landesregierung stellte. Über 50.000 Wohneinheiten wurden in dieser Regierungsperiode von Rot-Rot an private Investoren verscherbelt.
Gab es 1990 in Berlin 340.000 Sozialwohnungen, blieben 2016 gerade einmal 116.000 übrig.“ (Nachdenkseiten, 17.10.2018)
Eine irgendwie realistische Politik demgegenüber gibt es offensichtlich nicht.
„Die Regierungskoalition will ihre Mietpreisbremse, die nicht bremst, nachbessern und subventioniert gleichzeitig den Wohnungskauf von Familien mit Kindern. Das treibt die Preise weiter nach oben.“ Nachdenkseiten, 19.9.2018
Es fehlt vor allem ganz offensichtlich weitgehend der politische Wille, die Bevölkerung gegenüber dieser Mietpreispolitik zu unterstützen. Man unterstützt daher vor allem das Grosskapital, das dabei ist, den Wohnungsmarkt seinem Gewinnkalkül zu unterwerfen.
Aber das taten natürlich nicht alle Politiker. So kam Andrea Nahles, Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, mit einem Mietstopp-Vorschlag. Dieser produzierte heftige Kritik von seiten der Interessenvertreter des Grosskapitals wie auch den diese Interessen unterstützenden Politikern, die zum guten Teil aus der SPD stammen. So sagten Interessenvertreter des Kapitals:
„Beim Eigentümerverband Haus und Grund kommt der von der SPD vorgeschlagene ‚Mietenstopp’ dagegen nicht gut an. Davon halte man "rein gar nichts", sagte Geschäftsführer Alexander Wiech in Berlin. ‚Auf der einen Seite will die SPD zu Recht mehr Wohnraum schaffen. Aber ein Mietenstopp wäre der falsche Weg, zumal wenn man gleichzeitig verlangt, dass gebaut und modernisiert wird.’“ (Spiegel online Montag, 10.09.2018 09:45 Uhr)
Er tut so, als ob die Mieterhöhungen ein realistischer Weg zu bezahlbaren Wohnungen seien. Es ist das typische Argument der göttlichen unsichtbaren Hand auf dem Markt, das sich ständig selbst widerspricht. Dass man so etwas ständig wiederholt, macht es nicht wahrer.
Im Juni 2019 musste dann Andrea Nahles auf alle ihre Ämter verzichten. Sie hatte die Interessen der Bevölkerung dem Markt und daher den Interessen des Grosskapitals vorgezogen, was in unserer Gesellschaft des totalen Marktes unverzeihlich ist.[1]
Die Kapitalinteressen
Aber die Interessenvertreter des Kapitals vertreten selbstverständlich die Religion der unsichtbaren Hand des Marktes. Sie werden dabei von den Politikern unterstützt, soweit diese, statt ich auf die Interessen der Bevölkerung zu konzentrieren, den Willen des Kapitals vertreten:
„Auch von seiten der Politik kam Kritik: Der stellvertretende rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, sprach von "neuen, unabgestimmten Vorschlägen" und warf der SPD ein "durchsichtiges Manöver für den Wahlkampf in Hessen und Bayern" vor. "Ich finde das unverantwortlich", erklärte Luczak.“ (Spiegel online, op.cit)
Es ist unverantwortlich, die Bevölkerung zu unterstützen. Es ist unverantwortlich ganz einfach, weil die unsichtbare Hand des Marktes als Gott nicht berücksichtigt wird. Etwas ist verantwortlich nur dann, wenn die unsichtbare Hand des Marktes respektiert wird. Die SPD und Frau Nahles sollten lieber den Gott der CDU, der der Markt ist, respektieren. Das wäre dann wirklich verantwortlich.
Aber Söder, statt seine Markt- und Geldreligion fallen zu lassen, ordnete dann als Ministerpräsident der Regierung des Staates Bayerns an, in allen Räumlichkeiten des Staates ein Kruzifix anzubringen. Diese Kruzifixe drücken die Unterwerfung unter die neoliberale Religion des Marktes aus, die zur Schaffung einer Identität mit diesem Markt benutzt wird. Es ist die unsichtbare Hand des Marktes, die sich hinter diesen Kruzifixen bequem verstecken kann. Jeder soll sein Kreuz in aller Demut tragen, auch wenn sein Kreuz eine fast unerträgliche Mietserhöhung ist. Denn Widerstand gegen den Markt ist Widerstand gegen Gott selbst.
Klimastrategie
Auf dem Gebiet der Klimastrategie, läuft etwas ähnliches ab.
Am Rande der Tagung der Kohlekommission Ende Januar sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung „Friday for Future“, er sehe die Wirtschaft in Deutschland durch den Klimaschutz gefährdet. Er muss sich versprochen haben. Denn es ist ja genau andersherum. Und auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze. ...
Klimaschutz und Arbeitsplätze werden gegeneinander ausgespielt. „Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze“, meinte Ex-Außenminister Sigmar Gabriel. Man fragt sich, wann das gewesen sein soll!... Freitag, online 9.2.2019
Da versteht man, warum er im Vorstand von Siemens sein kann.
Gabriel sagt das, was er sagen musste als Vorstand von Siemens. In seinem Vorstandssessel hat er sich gut ausgeruht. Er sagt: Arbeitsplätze statt Klimaschutz. Aber in Wirklichkeit geht es nicht um Arbeitsplätze. Es geht darum, dass kein Klimaschutz sein darf. Und das heisst eben: den Klimaschutz den Marktkräften zu überlassen.
Merkel: “Die Demokratie muss marktkonform sein.” Und sie ist es und zwar immermehr. Der Markt wird immer mehr zu einem wirklich totalen Markt.
Welche Autorität kann denn “die Entscheidungen der demokratisch gewählten Volksvertreter ausser Kraft setzen? Die Antwort auf diese Frage lieferte schon 1998 der damalige Präsident der deutschen Bundesbank Hans Tietmeyer, als er die nationalen Regierungen dafür lobte, dass sie „das permanente Plebiszit der Weltmärkte“ vorzogen. Man beachte die demokratische Rhetorik dieser obszönen Aussage: Die Weltmärkte sind demokratischer als Parlamentswahlen, weil in ihnen der Prozess des Wählens permanent – nicht nur alle vier Jahre – stattfindet (und sich in Marktschwankungen permanent widerspiegelt) und weil er sich auf globaler Ebene vollzieht, nicht nur in den Grenzen eines Nationalstaats. Dahinter steckt die Idee, parlamentarisch-demokratische Entscheidungen seinen ohne diese Kontrolle durch die Märkte (und Experten) „unverantwortlich“. S.48/49 Slavoj Zizek: Der Mut der Hoffnungslosigkeit. S. Fischer, Frankfurt M Main, 2018
Was Entscheidungen legitimiert, ist das Plebiszit der Märkte, das über die Legitimität des Plebiszits der Wählerstimmen entscheidet.
Das Rezo-Video bringt eine grossartige Darstellung des Versagens unserer Politik. Aber die Antwort auf dieses Versagen bleibt auch bei ihm in Wirklichkeit aus. Rezos Antwort ist: : „Die Zerstörung der CDU“ und “Jetzt reichts”. Aber das ist überhaupt keine Antwort, es ist ja nur das Problem. Denn was zerstört wird, ist das Klima und vieles sonstige. Daran gemessen, ist die Zerstörung der CDU nur ein Randproblem. Aber Rezo spricht auch nicht darüber, wie die Mehrheit unserer Parteien denkt und den Martkt zum Kriterium der Wahrheit und überhaupt des Guten machen. Auch wenn dabei die CDU (oder auch die SPD) sich selbst zerstören, gilt dieses Krieterium.
Was wir haben, ist ein totaler Markt, der mit dem Präsidenten Trump dabei ist, zu einem Totalitarismus des Marktes zu werden.
„Opposition und Klimaexperten hingegen kritisieren den Abschlussbericht der Kohlekommission. Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Michael Theurer, nannte das Ergebnis in der "Bild am Sonntag" einen "planwirtschaftlichen Irrweg": ‚Das Klima wird durch diesen nationalen Alleingang nicht gerettet, der deutsche Steuerzahler aber mit Milliarden belastet.’“ Spiegel online 27.1.2019
Der „planwirtschaftlich gewordene Irrweg“ ist nichts weiter als die Ablehnung aller sinnvollen Alternativen einfach deswegen, weil sie den Markt intervenieren.
Aber dieser total gewordene Markt ist nichts, was für unsere Kommunikationsmittel kritisierbar ist. Und dieser totale Markt ist tatsächlich der Ausgangspunkt eines neuen Totalitarismus, der auch den totalen Staat einschliessst. Aber dieser totale Staat wird völlig vom totalen Markt beherrscht. Der entstehende Totalitarismus geht nicht mehr vom Staat aus. Es gibt keine Hitler oder Mussolini mehr, obwohl bestimmte Figuren von heute ihnen durchaus ähnlich sein können. Stattdessen gibt es die privaten Bürokratien der grossen Unternehmen des Marktes, die den Staat auch als totalen Staat weitgehend beherrschen. Und diesen Entwicklungen stehen Kommunikationsmittel gegenüber, die ebenfalls auf der Seite dieses totalen Marktes stehe.
In der Zeit der Sowjetunion sagte Noam Chomsky, dass es für ihn leicht verstehbar ist, dass in der Sowjetunion die Kommunikationsmittel normalerweise in kritischen politischen Situationen alle die gleiche Position einnehmen. Sehr viel schwieriger ist es, meinte Chomsky, zu erklären, warum dies in den USA weitgehend genauso ist.
Wir diskutieren, was zu tun ist und was zu tun möglich ist.. Das ist der Ausgangspunmkt, ohne den nichts läuft. Aber dennoch: wir müssten auch diskutieren, wie es möglch gemacht werden kann, dass dieses Mögliche auch verwirklicht wird. Ich denke etwa auch an diese weltweite Diskussion über die Klimakrise, die ja auch Teil dieser unserer Diskussionen über die Commons sein könnte. Seit Kyoto 2005 wird es klar, was zu tun ist und wieweit es möglich ist. Dies ging dann weiter in Kopenhagen, Paris und im vergangenen Jahr auch in der Klimakonferenz in Katovice. Immer wird diskutiert und auch gezeigt, was zu tun ist und was zu tun möglich ist. Aber es wurde so gut wir nichts getan, seit doch 1972 der Club von Rom diese Problematik weltweit aufgezeigt hat, die heute weite Bevölkerungskreise bewegt. Aber fast nichts geschieht.
Wir müssen natürlich weiterhin auf allen Gebieten diese möglichen Alternativen entwickeln und aufzeigen. Aber wir müssten, glaube ich, immer auch diskutieren, warum dann fast nichts geschieht und dass das Mögliche unmöglich gemacht wird. Wir leben in einem Machtsystem, das systematisch das Mögliche unmöglich macht oder als Unmögliches erscheinen lässt und daraus seine Macht ableitet.
Wie wir gesehen haben, geschieht dies tatsächlich davon aus, dem Markt wunderbare selbstheilende Kräfte zuzuschreiben, die jeder menschlichen Vernunft überlegen sind.
Aber es geht nicht darum, solch eine Tendenz zur Selbstorganisation als solche einfach zu bestreiten. Aber sie kann ganz offensichtlich nicht die rationale Intervention ersetzen. Auch unser Körper ist eine solche selbstorganisierende Einheit, die selbstheilende Kräfte entfaltet. Aber wenn jemand eine Blindarmentzündung hat, verweisen wir ihn nicht auf solche selbstheilenden Kräfte, sondern schicken ihn zum Arzt, der in diese selbstorganisierte Einheit eingreift und sie daher durch eine Blindarmoperation interveniert. Wenn es sich um Marktkrisen handelt, sucht man ganz im Gegenteil nicht jemanden, der diesen Markt folglich interveniert, sondern unsere herrschenden Mächte verweisen einfach nur auf solche angeblichen selbstheilenden Kräfte, die notwendig immer besser sind als eine Intervention. Aber es gibt keine Selbstorganisation, die im Falle des Marktes oder überhaupt der menschlichen Gesellschaft die Intervention ersetzen könnte. Der fatale Zustand unserer Weltwirtschaft ist dafür der Beweis. Der Mensch ist kein Tier und ist auch keine Amöbe. Selbst im Fall der Haustiere verweisen wir auf den Veterinär und nicht auf derartige selbstheilenden Kräfte, die immer auch eine zusätzliche Hilfe sein können. Nur im Falle des Marktes genügt nach der Meinung der meisten Wirtschaftswissenschaftler der Verweis auf dieser Art selbstheilende Kräfte. Sie machen sich zu Advokaten von Interessen, die sie niemals aufzeigen werden. Es handelt sich um einen der heiligsten Orte unserer Marktreligion.[2]
Wenn wir eine Krisensituationen erleben, dann zeigt das an, dass die möglichen selbstheilenden Kräfte nicht ausreichen, sodass wir Interventionen brauchen. Akzeptieren wir dies nicht, entsteht eben die heutige allgemeine Tendenz zum kollektiven Selbstmord als Resultat unserer Marktgläubigkeit.
Die Gleichgewichtstendenz des Marktes und ihre religiöse Begründung.
Hayek, der Guru des Neoliberalismus, beschreibt das, was die Gleichgewichtstheorie des Marktes leisten soll, auf folgende Weise:
"Zu zeigen, daß in diesem Sinn die spontanen Handlungen der Individuen unter Bedingungen, die wir beschreiben können, eine Verteilung der Mittel herbeiführen, die so aufgefaßt werden kann, als ob sie einem einheitlichen Plan gemäß gemacht worden wäre, obwohl sie niemand geplant hat, scheint mir tatsächlich eine Antwort auf das Problem zu sein, das manchmal metaphorisch als das Problem der 'kollektiven Vernunft' bezeichnet wurde."[3]
In der Hayek vorhergehenden Zeit ist das Zentrum der Markttheorie und damit der Theorien, die behaupten, eine Tendenz zum Gleichgewichgt nachweisen zu können, das Modell der sogenannten vollkommene Konkurrenz. Das Modell dieser vollkommenen Konkurrenz macht aber die Voraussetzung einer völligen Faktenkenntnis von seiten eines jeden Marktteilnehmers. Hayek setzt an die Stelle der Theorie vollkommenen Konkurrenz den Markt selbst als die allwissende Instanz, sodass für ihn die Voraussetzung des vollendeten Faktenwissens von seiten aller Matktteilnehmer wegfällt. Jetzt ist der Markt selbst die zentrale Überperson, die absolute Faktenkenntnis hat und die er als “kollektive Vernunft” bezeichnet.
Aber dennoch bleibt auch Hayeks Behauptung einer Tendenz des Marktes zum Gleichgewicht absolut ungewiss:
„In dieser Form ist die Behauptung des Vorhandenseins einer Tendenz zum Gleichgewicht offenbar ein empirischer Satz, d. h. eine Behauptung über etwas, das in der realen Welt geschieht, und müsste daher, zumindest im Prinzip, verifizierbar sein. Und es gibt unserer etwas abstrakten Behauptung eine glaubhafte, dem gesunden Menschenverstand einleuchtende Bedeutung. Die einzige Schwierigkeit ist noch, dass wir noch ziemlich im Unklaren sind über a) die Bedingungen, unter denen angenommen wird, dass diese Tendenz besteht, und b) die Natur des Vorgangs, durch den das individuelle Wissen sich ändert.“[4]
Hieraus folgt eben, dass es keinen einzigen theoretischen Beweis für die Existenz der versprochenen Gleichgewichtstendenz gibt. Aber es gehört zur herrschenden Marktideologie, die eine wirkliche Marktfrömmigkeit ist, immer und überall solch eine Gleichgewichtstendenz vorauszusetzen. Aber auch die Kritik am Neoliberalismus geht auch kaum auf diesen Argumentationsbetrug ein. Auf diese Weise enthüllt sich die These von Hayek als reiner Dogmatismus
In seiner Verlegenheit sucht dann Hayek Hilfe bei der Religion. Damit macht er die Marktreligion ganz explizit: Er sagt daher:
„ In seinem religiösen Aspekt, wird diese unsere Interpretation wiedergespiegelt durch jenes Wort aus dem Vaterunser, das sagt: “Dein Wille geschehe (und nicht der Meinige) wie im Himmel also auch auf Erden”, und ebenfalls in dem Zitat aus dem Evangelium: “Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe…“ (Joh 15,16).[5]
Hiernach ist es der Markt der sagt: “Dein Wille geschehe (und nicht der Meinige) wie im Himmel also auch auf Erden”. Und nach Hayek sagt der Markt ebenfalls: “Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe…“
Dies ist was der Markt sagt. Hayek setzt damit den Markt an die Stelle des Willen Gottes und des Willen des Jesus. An die Stelle des Menschen als höchstes Wesen für den Menschen wird der Markt als das höchste Wesen für den Menschen gesetzt. Das impliziert natürlich die Abschaffung der Menschenrechte.
Hayek besteht allerdings darauf, dass diese transzendente Ordnung eben nicht eine Ordnung gemäss dem „Animismus, der noch die religiösen Vorstellungen beherrscht“ ist. Dies bedeutet ganz einfach, dass es keine Kirche gibt, in der Gott als Markt dargestellt wird, sondern dass der Markt selbst diese Kirche ist, denn er ist selbst der Gott.
Die Pastorin und Prophetin einer der neuen fundamentalistischen Religionen Ana Maldonado sagt dies ganz offen: “Mit der Kraft del Dollars bringe ich dich in den Himmel (.“A punta de dólares te meto al cielo”).[6]
Aber immer ist die Markt-Idolatrie das Zentrum, zu dem dann andere Magien hinzukommen. so das Silicon Valley. Der Markt wird hier gleichzeitig als das Medium aller Mystik des technischen Fortschritts gezeigt.
Die Abschaffung der Menschenrechte erklärt schon sehr deutlich von Mises, der Gründer des Neoliberalismus:
„Die schlimmste aller Formen von Irrglauben ist die Idee, dass die „Natur“ jeden Menschen mit gewissen Rechten ausgestattet hat. Nach dieser Lehre teilt die
Natur freigebig an jedes geborene Kind Rechte aus… Jedes Wort dieser Lehre ist falsch.“[7]
Und er fügt anlässlich seines Chilebesuchs in der Zeit Pinochets hinzu:
“So wie unsere Vorfahren, die in Höhlen wohnten, muss auch der gegenwärtige Mensch die traditionelle Bevölkerungskontrolle akzeptieren: Hungersnöte, Pest, Kindersterblichkeit, usw.”[8]
Hayek versteht sehr gut, was das ist: Klassenkampf von oben.
Die erneute Verzauberung der Welt: Der Klassenkampf von oben und das kapitalistische Heilsversprechen
Dies führt dann zur Geschichte einfach als Zeitablauf, dessen Rhythmus durch die dem Marktkriterium folgende Richtung angegeben wird. Es ist eine Zeit ohne Finale, überhaupt ohne jede inhaltliche Orientierung. Es ist eine leere Zeit, die einfach geschieht und dem Kriterium einer formalen Markt- und Gewinnorientierung folgt. Und die Politik ist die Verwaltung dieses Zeitablaufs. Dies tendiert zur Auflösung jedes Subjekts und die Verwandlung des Menschen in Humankapital. Dies erinnert mich häufig an meine Kindheit in der Zeit des II. Weltkriegs. Wir gingen als Jungen von ungefähr 14 Jahren häufig zum Bahnhof um die Lokomotiven der dort vorbeikommenden Eisenbahnzüge zu bestaunen. Eines Tages sah ich eine Aufschrift an der Lokomotive, die ich mein Leben lang nicht vergessen konnte. Sie sagte: Der Endsieg ist uns sicher, denn wir haben das bessere Menschenmaterial. Aus diesem Menschenmaterial ist das Humankapital geworden, aber dies ist eine blosse Wortveränderung. Die Richtung unseres Zeitablaufs ist einfach das, was der Mensch tut, wenn er Humankapital geworden ist und viele sind es ja schon geworden. Die Zeit läuft einfach ab. Aber das Kriterium bleibt der Markt, der als Marktautomatismus immer das Beste verwirklicht, das dem Menschen möglich ist. Im Grunde sind die Krisen daher kein Problem. Sie sind nötig, damit der Markt den jeweils besten Ausweg findet.
Dies macht dann den Klassenkampf von oben zur einzigen Alternative der menschlichen Geschichte. Wenn man will, kann man dies dann mit der Philosophie von Nietzsche ästhetisieren. Ein Gerechtigkeitsproblem taucht überhaupt nicht auf. Dennoch wird ein neues über alles hinausgehendes Ziel entwickelt. Es ist merkwürdigerweise die menschliche Unsterblichkeit, die angeblich das unvermeidliche Ergebnis eines solchen erzwungenen Zeitablaufs ist. Die Mystik dieses Klassenkampfes von oben ist das Versprechen dieser Unsterblichkeit als notwendiges Ergebnis dieser Reduktion der menschlichen Geschichte auf einen blossen Zeitablauf ist.
Ich will nur einige Hinweise auf diese transzendentale Illusion der heutigen technologischen Mystik, die innerhalb des religiös interpretierten Marktes abläuft, in dem die angebliche Tendenz des Marktes zum Gleichgewicht zu einem definitiven Marktautomatismus tendiert.
Ein wichtiger Schritt zu der transzendentalen Illusion dieser technologischen Mystik ist ein Buch des Physikers Frank J. Tipler. Dieser ist Professor der mathematischen Physik an der Tulane University in New Orleans mit den Spezialgebieten Kosmologie, Allgemeine Relativitätstheorie, Elementarteilchenphysik und Komplexitätstheorie. Er kommt zu folgendem Resultat:
„Die Omegapunkt-Theorie hat die Schlüsselbegriffe der jüdisch-christlich-islamischen Tradition nun zu Begriffen der modernen Physik werden lassen. Die Theologie ist nichts anderes als physikalische Kosmologie, die auf der Annahme beruht, dass Leben insgesamt unsterblich ist.....
Die Wissenschaft kann nun angesichts des Todes exakt denselben Trost spenden wie einst die Religion. Die Religion ist nun ein Teil der Wissenschaft.“[9]
Ein eifriger Mitarbeiter Tiplers ist hierbei der deutsche Theologe Wolfhart Pannenberg.
Folgender Artikel gibt eine gute Einführung in diese wissenschaftliche Magie:
“Unsterblichkeit: Silicon Sowjets. Google und Amazon entdecken die Unsterblichkeit. Der Valley-Kapitalismus weist erstaunliche Parallelen zu kommunistischen Denkern auf. Deren Schriften sind 100 Jahre alt.” Von Nils Markwardt Die Zeit online 8. April 2018,. Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift "Philosophie Magazin" Nr. 03/2018.
Das Ergebnis wird wie folgt zusammengefasst:
„Welche tatsächlichen Erfolge das Silicon Valley im Kampf gegen den Tod erreicht, wird sich zeigen. Auf die freiwillige Unterwerfung, die sich mit jedem Datenpaket aus iPhone, Facebook-Profil oder Fitness-Tracker vertieft, können die Tech-Unternehmen jetzt schon setzen. Im Gegenzug bekommt jeder User vom Silicon Valley schließlich das, was im politisch müde gewordenen Westen kaum noch produziert wird: eine radikale Fortschrittserzählung.“[10]
Der Bioingenieur Aubrey de Grey aus dem Silicon Valley setzt ebenfalls alles daran, den Tod abzuschaffen. Er erklärt, dass der erste Mensch, der 1.000 Jahre alt wird, schon auf der Welt sei. Zeit online 14.9.18
Er glaubt offensichtlich, dass wir, wenn wir alle 1000 Jahre alt werden, der Unsterblichkeit näher wären als heute. Auch dies ist ein verheerender Irrtum. Man kann sich nicht mit endlichen Schritten einem unendlich fernen Ziel annähern.
Es ergibt sich dann das, was man von Google schliesslich erwartet. Eine Transhumanisten-Demo vor dem Google-Hauptquartier „Google, bitte, erlös uns vom Tod.“[11]
Der Markt ist jetzt nicht nur allwissend, sondern auch allmächtig. Er ist an die Stelle des mittelalterlichen Gottes getreten. Und der Heilige Geist dieses Gottes ist das Geld.
Aber man sieht dann, dass die Auffassung des Marktes als Religion nicht einfach eine Metapher oder auch nur eine Analogie ist. Es handelt sich um ein wirkliches, wenn auch idolatrisches, Verhältnis zum Markt.
Aber es handelt sich auch nicht einfach um einen Mythos der Technik, Es handelt sich immer gleichzeitig um einen Mythos der durch den Marktkalkül orientierten Technik. Das wahre idolatrische Verhältnis wird immer vom Markt her definiert.
Auch die Söderschen Kruzifixe sollen zeigen, dass heute der gekreuzigte Jesus der Markt ist, der von solchen Widerstandsbewegungen wie die gegen die systematische, vom Grosskapital durchgeführte Mieterhöhung gerade der Wohnungen vor sich geht, die bisher als Sozialwohnungen galten. Auch das ist Klassenkampf von oben, der religiös geführt wird. Für diesen Klassenkampf von oben, ist Wiederstand der Ausgebeuteten die Wiederholung der Kreuzigung, nicht die Aktion des Grosskapitals, das von den politischen Autoritäten unterstützt wird. Nicht die Aktion des Grosskapitals ist der Kreuziger, sondern der Widerstand der Betroffenen und ihr Protest. Auch hier ist die Anatomie der Wirklichkeit ein Problem der kritischen politischen Ökonomie. Mit Christus zusammen wird scheinbar das Grosskapital von denjenigen gekreuzigt, die die Interventionen in diesen Markt für Mietwohnungen fordern.
Die Rationalität des kollektiven Selbstmordes
Die Rationalität des Selbstmords als kollektivem Selbstmord ist eine Konsequenz dieser angeblichen Marktrationalität. Das Bewusstsein davon hat sich vor allem seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt. Dies ging direkt vom Weltwährungsfond und seinem Direktor Camdessus aus. Dieser erklärte, dass die Forderungen, die im Namen der Befreiungstheologie gestellt werden, durchaus legitim seien. Aber sie seien nicht wirklich realistisch. Wenn man sie völlig realistisch formuliert, sind sie das, was auch der Weltwährungsfond will.
Im Februar 1989 gab es einen Hungeraufstand in Venezuela, der auf die Schuldenpolitik des Bankensystems zurückzuführen war. Es wurden in wenigen Tagen vom Militär etwa 3000 Menschen erschossen. Der FMI beschloß, jetzt gerade weiterzumachen. Nur mehr Markt löst das Problem, schrieb Camdessus, der Generalsekretär des FMI, an den Präsidenten Perez. (s. Zeitschrift Nueva Sociedad). Perez bekam wegen des Schießbefehls lauter Solidaritätstelegramme lateinamerikanischer Regierungen, auch vom Friedensnobelpreisträger Arias, dem damaligen Präsidenten von Costa Rica. Hätte Teng in Peking im Juli 1989 auf dem Tiananmen-Platz aus dem gleichen Grunde geschossen, hätte er dieselben Solidaritätstelegramme bekommen.
Als jetzt wieder einmal dieses Massaker auf dem Tiananmen Platz erinnert wurde, habe ich nicht eine einzige Zeitung oder Rundfunksendung entdecken können, die das fast gleichzeitige Massaker in Caracas auch nur erwähnt hätte.
Das Ergebnis ist eine totale Identifizierung unserer Politik mit dem Marktkalkül. Es wird der reine Kalkül des totalen Marktes durchgesetzt. Sollte aber dann doch die grosse Katastrophe kommen, würde sich nicht einmal ein Zweifel bei unseren Neoliberalen ergeben in Bezug auf die Rationalität ihres Handelns. Da für sie das Handeln nach dem Marktkalkül das einzige wirklichkeitsgerechte Handeln ist, würden sie einfach nur schliessen, dass eben realistisch gesehen keine alternativen Möglichkeiten gegeben waren. Alle vorgestellten Alternativen werden einfach als unwirklich abgetan. Es ist wie bei Leibniz. Die Marktorientierung des Handelns schafft einfach die beste aller Welten, und diese Welt ist die einzig beste mögliche Welt. Alle anderen Weltvorstellungen sind eben einfach nur Illusionen. Im Falle dieser Weltvorstellungen haben wir das, was notwendig aus der absolut dogmatischen Weltbetrachtung folgt. Dies führt dann zu folgenden Behauptungen:
„Die Klimaschützer disqualifiziere, dass sie im Namen der Moral antreten
Einer von ihnen ist Ulf Poschardt, Chefredakteur der „Welt“. Bei „Hart aber fair“ zum Thema „Klimaschutz“ war er unlängst zu hören. Er wehrt sich vehement gegen Handlungsprinzipien, die sich aus dem Klimadesaster ableiten lassen und will sich partout nicht den Spaß in seinem Sportwagen verbieten lassen. Sein Porsche habe eine Seele, teilte er sichtlich gerührt dem Fernsehpublikum mit, eine Seele, die er ab und zu auf seinen Spritztouren auch baumeln lassen möchte. Sich ein schlechtes CO²-Gewissen einreden zu lassen? Kommt nicht in Frage. Sein Alter Ego Christian Lindner, ebenfalls passionierter Porsche-Fahrer, sprang ihm im Talk bei „Anne Will“ zur Seite und warf den Freitagsdemonstranten „überzogene Moral“ vor.[12]
Dieses grosse Fest, das Poschardt und Lindner sogar zusammen mit ihrem Porsche, den sie umarmen, feiern, ähnelt ganz ausserordentlich den angeblichen Festen des Mittelalter beim Ausbruch einer Pest. Es war angeblich ein Fest, das solange dauerte, bis auch der letzte tot umfällt.
Hier ist nun wirklich der Mensch ein „Sein zum Tode“, wie es Heidegger sagt. Aber jetzt gilt es nicht mehr nur für den einzelnen, sondern auch für die gesamte Menschheit, die ein „Sein zum Tode“ lebt. Aber in jedem Falle handelt es sich um ein grosses, wenn auch tödliches Fest. Aber was angeblich gefeiert wird, ist die vom Silicon Valey versprochene Unsterblich des Menschen.
Zur Überwindung der Marktmagie
Hiermit wird dann sichtbar, dass diese Magie des ausbeuterischen Systems mit seiner Vergöttlichung des Marktes als unsichtbarer Hand, ihrer völlig illegitimen Ausnutzung biblischer Texte und ihren transzendentalen Illusionen des Silicon Valleys für die Bevölkerung sichtbar und transparent gemacht werden muss, damit tatsächliche notwendige Interventionen verwirklichbar werden.
Aber wir müssen allen unsern Kritiken eine grundlegende Orientierung geben. Es handelt sich darum, immer wieder das Basisproblem herauszustellen, das dem Markt unterliegt. Es handelt sich um folgendes: Während viele Einzelmärkte eine Tendenz zum Gleichgewicht zeigen, bringt die Gesamtheit der Märkte keine Gleichgewichtstendenz hervor, sondern eine konstante und immer aufs Neue sich wiederholende Tendenzen zu tiefen Ungleichgewichten, die insgesamt einen Klassenkampf von oben produzieren. Die wichtigsten dieser Ungleichheiten sind die Ungleichheiten in Bezug auf den Arbeitsmarkt, die Ungleichheiten in Bezug auf die Verwendung des Bodens und insgesamt des Verhältnisses zur Natur und die Ungleichheiten, die ständig und immer aufs neue vom Geld und Finanzsystem erzeugt werden.[13] Aus dieser Tendenz des Marktes folgt dann als Ergebnis die entsprechende Tendenz zum kollektiven Selbstmord der Menschheit. Die Marktmagie wird durch die völlig unbegründbare, aber behauptete angebliche Tendenz des Marktes zum Gleichgewicht erzeugt und sie muss ständig durchbrochen werden, damit das Gleichgewicht dann durch Interventionen in den Markt immer wieder aufs neue gegenwärtig gemacht und durchgesetzt werden kann. Dies ist notwendig, damit eine weitere Existenz des Menschen möglich ist.
Es geht darum, endlich das Mögliche möglich zu machen. Es handelt sich nicht um eine einmalige Aufklärung, sondern um eine langfristige alltägliche Aktivität aufklärerischer Art, die nie aufhören darf, denn die Schaffung dieser Marktmagie ist für das System die Basis von allem, das es tut. Ohne diese Aufklärung gibt keine Möglichkeit, irgendwelche notwendigen und möglichen Reformen effektiv möglich zum machen und dann durchzusetzen. Dem Klassenkampf von oben muss durch eine ständige Bemühung um Demokratisierung unserer sozialen Verhältnisse geantwortet werden, damit unsere Demokratie nicht unbegrenzt in die Hände der Marktmächte fällt und damit in einen Totalitarismus des Marktes übergeht.
[1] “Der notwendige Rückhalt sei nicht mehr da, so Nahles. Das hätten die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei gezeigt“. Spiegel online 2.6.2019
[2] Franz Hinkelammert: Der Humanismus der Praxis: der Mensch als höchstes Wesen für den Menschen (Manuskript) 10. Die Vorstellung einer Gesellschaft jenseits von Ausbeutung, Herrschaft, Krieg und Apokalypse S.200 Anm 141
[3] Hayek, Friedrich A.: Individulismus und wirtschaftliche Ordnung. Zürich, 1952 S.75/76
[4] op.cit S. 64
[5] Der Text des Originals ist folgender: Hayek, Friedrich A.: The fatal conceit: The Error of Socialism. Chicago University Press, 1988. Ich lege hierzu die Ubersetzung vor.
[6] ver https://www.youtube.com/watch?v=wyGWbdez6h8
[7] Ludwig von Mises. Titel der US-amerikanischen Originalausgabe: THE ANTI-CAPITALISTIC MENTALITY erschienen bei D. van Nostrand Company, Inc., Princeton/New Jersey 1956. S.87 Ich zitiere den Satz gemäss dem englischen Original:
“The worst of all these delusions is the idea that "nature" has bestowed upon every man certain rights. According to this doctrine nature is openhanded toward every child born…. Every word of this doctrine is false.”
[8] “Al igual de los ancestros que habitaban cavernas, el hombre contemporáneo debe aceptar el control demográfico tradicional: hambrunas, pestes, mortalidad infantil, etcétera.” p.172. según Hayek, Friedrich (1981) revista Realidad. Santiago, Nr.24 año 2 p.172
[9] Frank J. Tipler: Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten. DTV München, 1995, S.406/407
Englischer Titel: Frank J. Tipler:: The Physics of Immortality. Doubleday, New York, 1994
[10] Hierzu gibt es auch einen Artikel in den Neuen Wegen: Seifert, Kurt: Was fehlt? Transhumanismus als Anti-Utopie. Nr. 11.18
[11] Neue Wege, 11,18, S.18 Artikel von Kurt Seifert: Was fehlt? Transhumanismus als Anti-Utopie.
[12] “Widerstand gegen Gretas moralische Argumente” in Frankfurter Rundschau. online 11.6.2019
[13] Ich erwähne hier vor allem die Probleme auf die insbesondere Polanyi hinweisst.
s. Polanyi, Karl: The great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Surkamp. Frankfurt (Main) 1990. Insbesonderes Das Kapitel II. Der Selbstschutz der Gesellschaft. S.182ff
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