Wir leben in einer Wirtschaft, die vom Wachstum abhängt. Aber es ist immer mehr offensichtlich, dass das Wachstums an seine Grenzen gekommen ist.

Die globalen Bedrohungen

Wir stehen drei grossen globalen konkreten Bedrohungen gegenüber: die Ausgrenzung der Menschen, der Verfall der sozialen Beziehungen und die Bedrohung der Natur. Die grösste Bedrohung aber ist eine andere: es ist die absolute Inflexibilität der Globalisierungsstrategie. Dies ist die wirklich grosse Bedrohung und zwar deshalb, weil sie es unmöglich macht, diesen anderen konkreten Bedrohungen entgegenzutreten.

Es handelt sich um eine Strategie, die keineswegs ein notwendiges Produkt der global gewordenen Welt ist. Die Globalisierungsstrategie ist tatsächlich völlig unvereinbar mit der Tatsache, dass die Welt global geworden ist. Dies ist das wahre Problem. Die Globalisierungsstrategie zerstört die global gewordene Welt, sie ist mit dieser nicht vereinbar.

Der Markt ist keine selbstreguliertes System. Die selbstregulierenden Käfte des Marktes gibt es nicht. Es gibt Selbstregulation nur auf Einzelmärkten, nicht im Gesamtmarkt. Der Gesamtmarkt tendiert nicht zum Gleichgewicht, sondern systematisch zu Ungleichgewichten. Der Markt ist reiner Wille zur Macht.

Die erwähnten konkreten globalen Bedrohungen sind Ungleichgewichte des Marktes. Zu Gunsten der finanziellen Gleichgewichte werden die globalen Bedrohungen tendenziell vergrössert.

Die Wachstumsproblematik zeigt dann noch eine andere Seite: je mehr man an der blinden Wachstumspolitik festhält, werden diese globalen Bedrohungen vergrössert und jede Politik, die sich diesen ihnen entgegenstellt, wird dann selbst geopfert. Dies ist die Logik der Globalisierungsstrategie.

Die Globalisierungsstrategie gibt sich als Wachstumspolitik aus. Sie ist es nicht einfach nur so. Man muss nur die Charakteristiken dieser Strategie erwähnen, um zu zeigen, was sie ist. Die völlige Vermarktung aller Beziehungen, die Privatisierung als Politik, die einfach nur einem Prinzip gehorcht. Es wird überhaupt nicht bewertet, wo Privatisierung am Platz ist und wo gerade das öffentliche Eigentum die bessere Lösung ist. Alles wird Prinzipien unterworfen. Dass die Privatisierung die S-Bahn in Berlin ruiniert hat, ist kein Argument gegen diese Privatisierung. Es gibt überhaupt keine Argumente dieser Strategie gegenüber, es gibt nur Glaubenssätze. Alle Bereiche des Lebens müssen dem Markt unterworfen werden, das aber heisst, als Sphären der Investitionen von Kapital behandelt werde. Nicht nur irgendwelche öffentlichen Dienste, selbt die Gefängnisse, die Armeen. Selbstverständlich auch das Bildungssystem, das Gesundheitssystem, die Alterssicherung.

Dies wird als Wachstumspolitik ausgegeben. Es ist sichtbar, dass es vor allem die Politik der totalen Kapitalakkumulation ist.

In unserer Orwellschen Sprache aber gilt alles als das Gleiche: die Globalität der Welt, die Strategie der Globalisierung und die Totalisierung des Marktes und der Kapitalakkumulation. Damit aber auch die Unterwerfung aller Entscheidungen unter den Kosten-Nutzen-Kalkül.

Damit bleibt ausser Betracht, dass heute der Grundwiderspruch unserer Gesellschaft gerade der Widerspruch zwischen einer global gewordenen Welt und der Universalisierung dieser Globalisierungsstrategie ist.

Es ist diese Maximierungspolitik des Wachstums, die heute an ihre Grenze gekommen ist. Was der Bericht des Clubs von Rom 1972 unter dem Titel “Grenzen des Wachstums” angekündigt hat, ist Wirklichkeit geworden. Die Krise von 2008 ist nicht einfach eine Finanzkrise, es war der Beginn einer nicht mehr überwindbaren Krise der Grenzen des Wachstums. Was ausbricht, ist die Rebellion der Grenzen.

Die Krise von 2008 brach aus nach einem ausserordentlichen Anstieg des Petroleumpreises. Dies führte zu Zahlungsschwierigkeiten, die dann zum Verkauf von Wertpapieren zwangen, von denen sich zeigte, dass sie ohne Wert waren. Dies lösste die Finanzkrise aus, in der die Kreditblase des Finanzsystems zusammenbrach. Die Grenzen des Wachstums führten zu dieser Finanzkrise, die selbst wieder sich verstärkte, da das Finanzsystem völlig korrupt war und und sich auf Wertpapiere stützte, die ohne Wert waren.

Von 1987 bis 2007 stieg der Petroleumverbrach um etwa ein drittel an. Dies war ein Anstieg con etwa jährlich 1.5 Prozente bei einem Wirtschaftswachstum der Welt von etwa 5 Prozent. Dieses Wachstum wäre ohne das Wachstum des Erdölverbrauchs nicht möglich gewesen. Ein ähnliches Wachstum des Petroleumsverbrauchs in den nächsten 20 Jahren scheint unmöglich. Da aber keine bedeutsamen Substitute vorliegen, ist auch ein vergleichbares Wachstum des Weltsozialprodukts nicht möglich.

Aber nicht nur das Petroleum setzt Grenzen. Auf allen Gebieten tauchen Produkte auf, die für einen solchen Wachstumsprozess unabdingbar sind, die sich verknappen und für die nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit Substitute gefunden werden. Gleichzeitig verändert sich die Weltsituation. Die Klimakrise wird immer mehr Grenzen dieses Wachstumsprozesses definieren, die irgendwann dann tatsächlich berücksichtigt werden müssen.

Die Suche nach Substituten für Petroleum hat sogar höchst perverse Konsequenzen. Die Agrarproduktion nimmt zwar noch zu, aber die Nahrungsmittelproduktion kommt unter Druck. Mais, Zucker, Soya, Palmöl werden zu Treibstoffen verarbeitet. In den USA gilt dies bereits für ein Drittel der Maisproduktion. Im 16. Jahrhundert sagte man in England: die Schafe fressen die Menschen.(1) Dies führte zu einem derartigen Terror in England, dass der Diebstahl eines Huhns mit der Todesstrafe belegt wurde. Heute müssen wir sagen: die Autos fressen die Menschen. Die Autos haben hohe Einkommen, die Hungrigen hingegen haben kein Geld. Das, was man bei uns unter Rationalität versteht, kommt daher zum Schluss, dass die Autos im Namen des rationalen Handelns Vorrang haben. Diese Rationalität unserer geltenden Theorie des rationalen Handelns ist völlig pervers.

Daher wird es kaum möglich sein, ein solches Wachstum aufrechtzuerhalten. Was zu erwarten ist, sind Wachstumsschübe, die nach kurzer Zeit wieder zusammenbrechen: eine Art Dekadenz des Systems. Dies aber müssen alle Pläne zur Reaktivierung des Wachstums in Betracht ziehen.

Wir haben alle Grenzen niedergewalzt und kommen damit an neue Grenzen, deren Existenz die Menschheit vorher nicht einmal geahnt hatte. Der Mensch resultiert ein unendliches Wesen zu sein, das von der Endlichkeit durchkreuzt wird. Es ist die Endlichkeit eines Menschen, der sich als unendlich entdeckt hat und gerade deshalb an diese Endlichkeit stösst. Von der Unendlichkeit seines Wesens heraus stösst der Mensch an diese seine Endlichkeit. Es ist daher eben nicht die Endlichkeit des griechischen Denkens.

Die Schuldenkrisen

Wir haben bisher von den Ungleichgewichten gesprochen, die der Markt hervorruft und beispiellos verstärkt: die Ausgrenzung von Menschen, der Verfall der sozialen Beziehungen und die Bedrohung der Natur. Es handelt sich um Ungleichgewichte des realen Lebens. Es ergeben sich aber auch Ungleichgewichte, die den Markt selbst betreffen und die in ihren Auswirkungen die Ungleichgewichte des realen Lebens ganz ausserordentlich verstärken. Das wichtigtste dieser Ungleichgewichte ergibt sich aus den Verschuldungsprozessen.

Wir befinden uns heute wieder in einem solchen Verschuldungsprozess, der jetzt ganz Europa betrifft. Die Verschuldung wird unbezahlbar. Aber dass sie unbezahlbar wird, ist gerade das Geschäft der Banken. Für die Privatbürokratien unserer Grossunternehmungen und Banken, ist dies gerade die Chance. Die verschuldeten Länder werden ausgeplündert und haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Alles, was für das Kapital interessant ist, wird zu Niedrigpreisen verkauft, aber die Schulden werden dadurch nicht niedriger, sondern höher. Am Geschäft nehmen auch die wirtschaftlich herrschenden Kreise der verschuldeten Länder teil, wenn auch nur als Sozios. Wer nicht bezahlen kann, muss wenigstens alles bezahlen was er kann, sodass er seine Selbstständigkeit verliert. Wenn die Verschuldung begrenzt wird, dann einfach deswegen, weil man ja nur soviel herausholen kann wie es gibt. Man macht den Kalkül, den jede Maffia macht, wenn sie das “protection money” kalkuliert. Soviel wie möglich, aber nicht zuviel, damit man auch in Zukunft weiter kassieren kann. Die verschuldeten Länder verlieren jede Selbstständigkeit und die Banken maximieren ihr protection money.

Wir hatten eine ganz ähnliche Schuldensituation in den 80er Jahren vor allem in Laterinamerika. Die strukturellen Anpasssungen, die man Lateinamerika aufzwang, führten zur Ausplünderung des Kontinents. Der Sozialsstaat wurde weitgehend aufgelöst, man privatisierte was privatisiert werden konnte. Eine beispiellose Verelendung wurde produziert und eine Naturzerstörung, die grösser ist als in jeder historisch vorhergehenden Epoche. Die Verschuldung war der Hebel, der es ermöglichte, ganz Lateinamerika der Globalisierungsstrategie zu unterwerfen.

Die gleichen strukturellen Anpasssungen werden heute den Schuldnerstaaten in Europa aufgezwungen. Die sie aufzwingen, sind die Staaten selbst, aber sie tuen es, weil es das Kapital ist, das die Macht hat, sie den Staaten als Politik aufzuzwingen.Diese Schuldenkrisen verwandeln sich dann in gigantische Expropiationsprozesse, die eine Art ständig wiederkehrende ursprüngliche Akkumulationen sind.

Ich kann hier keine Lösungen hierzu erfinden. Aber es gibt in unserer Geschichte einen Fall, in dem die Schuldenkrise tatsächlich gelöst wurde, sodass man diese Zerstörungsprozesse verhinderte. Diese geschah gegenüber der Schuldenkrise, die sich als Ergebnis des 2. Weltkriegs ergab. Eine ähnliche Schuldenkrise ergab sich am Ende des 1. Weltkriegs, aber man suchte keine Lösung, sondern einfach maximale Zahlungen unter bewusster Hinnahme der daraus folgenden Zerstörungsprozesse. Die Blindheit dieser Schuldenpolitik ist einer der wichtigen Gründen für den Erfolg des Nazismus in Deutschland gewesen. Schon Keynes, der an den Versailler Friedensverhandlungen teilnahm, sah in seinem Buch darüber die Gefahr einer solchen Entwicklung voraus.

Die Behandlung der Schuldenkrise nach dem 2. Weltkrieg war ganz anders. Man kann sogar sagen, dass sie vernünftig war. Ich möchte diese Politik kurz zusammenfassen, um dann zu diskutieren, warum sie damals möglich war und warum aus dieser Erfahrung heute überhaupt keine Schlüsse gezogen werden.

Im wesentlichen handelt es sich bei dieser Politik um folgende Massnahmen, die koordiniert durchgesetzt wurden.

1. Man ging von einem weitgehenden Schuldenerlass aus, der zum Teil in langfristigen Moratorien bestand. Während der Zeit dieser Moratorien wurden die nicht bezahlten Schulden nicht verzinst. Dies wurde dann im Londener Schuldenabkommen von 1953 festgeschrieben.

2. Es wurden neue Kredite gegeben, die nicht verzinst wurden und nur zu einem kleinen Teil rückzahlbar waren. Es handelt sich um die Kredite des Marshalplans. Sie stellten in Deutschland revolving fonds (Gegenwertfonds) dar.

3. Die Gründung einer Europäischen Zahlungsunion, die die Herausbildung neuer Schuldenbeziehungen unter den europäischen Ländern verhindern sollte. Die Ungleichgewichte der Handelsbilanz wurden nicht durch verzinsliche Kredite finanziert. Die positiven Salden der erfolgreichsten Länder finanzierten die Defizite der nachkommenden Länder.

4. Hohe Besteuerung der Kapitaleinkommen und der hohen Einkommen. Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer.

5. Es wurde ein Sozialstaat begründet, sodass die Sozialausgaben erheblich anstiegen, was man den Wohlfahrtsstaat nannte. Dies nannte man dann später das menschliche Antlitz des Kapitalismus.

Dies ist der Kern dieser Politik, die ausserordentlich vernünftig war und bemerkenswerten Erfolg hatte.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist einfach folgende: warum war diese Politik nach dem 2. Weltkrieg möglich, nicht aber nach dem 1. Weltkrieg. Und die weitere Frage: warum war diese Politik nach dem 2. Weltkrieg möglich, ist es aber gegenüber der heutigen Schuldenkrise nicht und war es auch nicht in der Schuldenkrise der 8oer Jahre in Lateinamerika.

Der Grund hierfür dürfte klar sein. Es begann der kalte Krieg im Verhältnis zur Sowjetunion und es gab sehr starke kommunistische Pateien, vor allem in Frankreich und Italien, sodass sich das kapitalistische System bedroht fühlte.

Das System fühlte sich in Gefahr und reagierte daher als Gesamtsystem. Dies führte zu Massnahmen, die vom Standpunkt der Logik des Kapitalismus überhaupt nicht verständlich sind. Sie werden aber verständlich als Kriegsmassnahmen im Kalten Krieg. In diesem Sinne war es eine Kriegswirtschaft, die die Logik des Kapitalismus im Kapitalismus unterbrach. Selbst die hohen Sozialabgaben waren vom Standpunkt der wirtschaftlichen Macht aus gesehen Kriegskosten, im Grunde weggeworferens Geld, das man aber ausgeben musste, weil ein Krieg gewonnen werden musste.

Dass es sich tatsächlich um Kriegskosten handelte, sieht man daran, dass die USA, die die Schulden Westeuropas weitgehend nachliess, die Zahlung der hohen Schulden der Sowjetunion aus dem Leih und Pachtgestz, dem sogenannten Lend-Lease-Act der USA von 1941 – etwa 10 Milliaden Dollar – keineswegs nachliess. Als die Sowjetunion diese Zahlung verweigerte, wurde sie einfach denunziert.

Die hiermit ergriffenen Massnahmen begrenzten ganz ausserordentlich die Macht der Banken und ihr Geschäft mit der Verelendung der Bevölkerungen. Aber diese Banken verzichteten und partizipierten sogar in der Planung dieser Massnahmen, um das System zu retten und nicht etwa, um die Notwendigkeiten der Bevölkerung zu berücksichtigen.

Ohne diese Massnahmen wäre der Wiederaufbau Westeuropas nach dem 2. Weltkrieg sehr viel schwieriger gewesen, und es hätte sich etwas ähnliches ergeben wie nach dem 1. Weltkrieg.

Das zeigt, dass die Bankiers sehr wohl wissen, was solche Verschuldungen anrichten und dass sie ebenfalls sehr wohl wissen, was die wirkliche und menschliche Lösung für diese Krisen ist.

Heute aber sehen sie keinen Grund für solche Masssnahmen, da kein Widerstand da ist. Sie sahen auch keinen Grund in der Schuldenkrise der 80 Jahre in der 3. Welt und vor allem in Lateinamerika. In den USA sagte man dies in der Reagan-Zeit auch ganz offen: wozu das Geld wegwerfen und diese Perlen vor die Säue werfen, wenn die Gefahr doch vorbei ist.

Die Banken und ihre Politiker wissen heute genausogut die sozialen Katastrophen die sie anrichten. Aber sie sehen keinen Grund, das Geschäft, das sie damit machen, zu begrenzen. Der Beweis für die Tatsache, dass man all dies auch heute durchaus sieht, ist damit gegeben, dass man es ja nach dem 2. Weltkrieg sah. Aber niemand spricht darüber. Wir opfern Menschen und verwirklichen Völkermorde und in unserm Unterbewussten wissen wir das. Die Ökonomen spinnen reine Gespinste einfach deswegen, dass dies ihre Aufgabe ist, für die sie schliesslich bezahlt werden. Alle wissen es, aber es ist ein gut gewahrtes Tabu.

Das was in dieser Zeit die Lösung war, ist in der Geschichte des Kapitalismus völlig einmalig. Diese Verschuldungsprozesse sind ein viel zu gutes Geschäft, als dass man darauf verzichten wollte, wenn es nicht für die Existenz des Systems selbst unabdingbar ist. Je schlimmer die Verschuldung, umso grösser das Geschäft. Am grössten wird es, wenn das verschuldete Land zahlungsunfähig wird. Dann gehört den Gläubigern schlechthin alles, was es dort gibt. Wir können dies im Moment im Falle Griechenlands sehen, wo ein solcher wirtschaftlicher Völkermord heute im Gange ist. Es wird aber noch in vielen weiteren Ländern so werden. Dies greift dann auf die herrschenden Länder über, denn die wirtschaftliche Macht will auch das eigene Land so ausplündern können, wie dies vorher im Ausland geschah. Die USA sind damit am weitesten fortgeschritten. Die Bundesrepublik aber wird genau das auch bekommen.

Ist das alles nicht genug, müssen die Regierungen der wenig verschuldeten Länder für die Schulden der andern einstehen, damit das Bankensystem weiterhin seinen Beitrag zum Fortschritt leisten kann. Die Verschuldung aber könnte heute so gross werden, dass nicht einmal die Gesamtheit aller Regierungen diese Schulden noch bedienen kann. Wenn die Schulden nur noch durch neue Schulden bedient werden können, wachsen sie unbegrenzt mit der Geschwindigkeit der Zinseszinsprogression. Sie fressen alles auf. Selbst die USA befinden sich heute in einem solchen Schuldenautomatismus, dessen Ende nicht vorhersehbar ist.

Die Massnahmen aber, die man heute ergreift, sind genau das Gegenteil von dem, was man angesichts der Schuldenkrise nach dem 2. Weltkrieg tat. Hierüber wird nicht einmal diskutiert. Heute vorzuschlagen, auf die heutige Schuldenkrise in dieser Art zu reagieren – natürlich, ohne einfach zu kopieren – gilt sozusagen als verrückt.

Für uns heute ist es vom Gesichtspunkt unserer Gesellschaft aus klar: der Kapitalismus braucht kein menschliches Antlitz mehr und folglich sind die Sozialausgeben und alle Rücksichten auf die Vermenschlichung der Gesellschaft weggeworfenes Geld.

Die Aushöhlung der Demokratie.

Wir haben auf zwei entscheidende Momente der heutigen Krise hingewiesen. Auf der einen Seinte, ist die Globalisierungsstrategie zum entscheidenden Hindernis für die Antwort auf die grossen globalen Bedrohungen für unsere Welt – die Ausgrenzung immer grösserer Teile der Weltbevölkerung, die innere Auflösung der sozialen Beziehungen und die immer mehr sichtbare Zerstörung der Natur - geworden. Auf der anderen Seite ist die völlige Unterwerfung der Politik unter den Schuldenautomatismus zum Motor dieses Zerstörungsprozesses geworden.

Aber es sind demokratische Länder, also die Länder, die sich der ganzen Welt ganz arrogant als Musterdemokratien vorstellen, die der ganzen Welt diese Politik aufzwingen. Sie haben Mehrheiten für diese Politik und erklären alle Regierungen, die diese Politik nicht bedingungslos annehmen, für nicht demokratisch. Übernehmen diese aber diese Politik, so sind sie demokratisch, auch wenn die Präsidenten Pinochet oder Mubarak heissen. Sie sind es zumindest in ihrem Wesen, wenn auch nicht in ihrer Erscheinungsform. Dieses Kriterium ist das der Musterdemokratien der Welt, vor allem also der USA und der westeuropäischen Demokratien. Und unter diesem Kriterium demokratisieren sie die Welt.

Warum aber Mehrheiten für diesen Wahnsinn? Brecht sagte: Nur die allergrössten Kälber, wählen ihre Schlächter selber. Aber die Schlächter werden weiterhin gewählt. Obwohl manchmal, obwohl selten, nicht.

Es geht um das, was man die Volkssouveränität nennt, die angeblich in diesen Musterdemokratien gilt: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Diese Volkssouveränität hat einen interessanten Knackpunkt. Heute besteht sie darin, dass das Volk auf souveräne Weise erklärt, dass die wirtschaftliche Macht und das heisst das Kapital, der Souverän ist. Dies wird in einer spezifischen Sprache gesagt. Man sagt, dass der Markt ein selbstreguliertes Wesen ist, das durch keinen menschlichen Willen und daher auch nicht durch den in Wahlen des Volkssouveråns ausgesprochenen Willen, interveniert werden darf. Die Europaunion versteht dies als ihren zentralen Verfassungsinhalt.

Aber dies ist gerade die Behauptung, dass der Markt und damit das Kapital der Souverän ist, dessen Souveränität durch die Volkssouveränität bestätigt werden muss. Unsere Apologeten des Kapitals sagen daher: bestätigt diese Volkssouveränität nicht, dass das Kapital der Souverän ist, hört sie auf, demokratisch zu sein. In der Sprache Rousseaus heisst dies, wenn es auch nicht sehr Rousseau entspricht, dass der allgemeine Wille (volonté general) des demokratischen Volkes diese Entscheidung ist und diese nicht durch den Willen aller (volonté de tous) geändert werden kann. Eine Volkssouveränität, die diese Souveränität des Kapitals nicht bestätigt, gilt daher als nicht demokratisch. Pinochet und Mubarak aber sind demokratisch, da sie den allgemeinen Willen (volonté general) durchsetzen, auch wenn sie nicht gewählt werden. Frau Merkel drückt dies Demokratiekriterium dadurch aus dass sie davon spricht, dass die Demokratie “marktkonform” sein muss.

Dies ist die Aushöhlung der Demokratie, wie sie in den Musterdemokratien stattgefunden hat. Das Volk verzichtet auf seine Souveränität und übergibt sie der wirtschaftlichen Macht, die als Kapital auftritt. Die Mittel, durch die das geschieht, sind sehr viele. Ich will nur zwei erwähnen, die durchaus zentral sind, nämlich die Schaffung der öffentlichen Meinung und die weitgehende Bestimmung der Politik durch die Wahlfinanzierungen.

Die Herrschaft über die Kommunikationsmittel ist heute fast ganz auf der Seite von Kapitalgesellschaften, die ihre Eigentümer sind. Diese Kommunikationsmittel gründen sich auf die Pressefreiheit, die die Freiheit des Eigentümers des Kommunikationsmittels ist. Diese finanzieren sich durch eine Art von Subventionen in der Form von bezahlter Reklame, die vor allem durch sonstige Kapitalgesellschaften aufgebracht werden. Je mehr diese Kommunikationsmittel grosse Kapitalien voraussetzen, werden sie zu Kontrollinstanzen für die öffentliche Meinung und damit die Meinungsfreiheit. Für diese Kommunikationsmittel gibt es so gut wie keine Meinungsfreiheit, ausser der partikularen Meinungsfreiheit ihrer Eigentümer und ihrer Finanzquellen.

Aber das Menschenrecht ist nicht die Pressefreiheit, sondern die universale Meinungsfreiheit aller. Indem aber die Pressefreiheit zum einzigen Kriterium für die Meinungsrechte in den Kommunikationsmitteln geworden ist, ist die Pressefreiheit zu einem äusserst effizienten Kontrollinstrument für die allgemeine Meinungsfreiheit geworden. Dies wird, wenn auch in Grenzen, durch die öffentlichen Kommunikationsmittel beschränkt, soweit sie tatsächliche Autonomie haben. In Italien hatte dies eine Extremsituation geschaffen. Berlusconi als Eigentümer der grossen Mehrheit der Kommunikationsmittel in Italien konnte seine Meinung beliebig ausposaunen. Aber einer der Kanäle, der ihm die härteste Opposition machen, war ein Kanal des öffentlichen Fersehens RAI, in den er nicht intervenieren konnte, da er eine rechtlich gesicherte Autonomie hat.

Für die Politiker ist dies eine ernsthafte Grenze, denn sie brauchen Kommunikationsmittel um sich und ihre Politik gegenwärtig machen zu können. Aber die Bedingung dafür, diesen Zugang zu haben, ist für sie, das Kapital als den wirklichen Souverän anzuerkennen.

Eine ganz ähnliche Situation ergibt sich in fast allen Wahlprozessen. Ein zentral wichtiger und häufig entscheidender Teilnehmer an den Wahlen ist die wirtschaftliche Macht als wirklicher Souverän. Er ist immer da, aber seine Gegenwart ist unsichtbar und wir können sie nur erschliessen. Dieser grosse Andere ist selbst dann anwesend, wenn er es selbst nicht weiss. Er ist anwesend in der Auswahl der Kandidaten, in den Wahlreden, in den Kommunkationsmitteln.

Die Politik hat damit eine durchaus wichtige Funktion. Wenn sie Erfolg haben will, muss sie fast immer den grossen Anderen gegenüber den Bürgern vertreten. Aber sie muss es in einer Form machen, dass diese Bürger selbst entscheiden, dass dieser grosse Andere der wirkliche Souverän ist. Der erfolgreiche Politiker ist dann derjenige, dessen Vertretung des grossen Anderen von den Bügern als ihre eigene Entscheidung erlebt wird.

Die “indignados” in Spanien hatten gemerkt, dass dies der Charakter der ausgehöhlten Demokratie ist, die sie beherrscht und ihnen jede Möglichkeit der Partizipation nimmt. Daher forderten sie “Demokratie jetzt” (democracia ya) gegenüber einem System, das sich als die wirkliche und wahre Demokratie vorstellt, wenn es notwendig ist, auch mit Hilfe der Polizei.

Aber die Volkssouveränität hört deshalb nicht auf, eine Wirklichkeit zu sein. Dass die Bürger sich der Volkssouveränität bewusst werden, das ist die grosse Gefahr für diese Demokratie unserer Musterdemokratien. Die Volkssouveränität ist nicht das Produkt eines Gesetzes, sondern im Gegenteil geht das Gesetz, das sie anerkennt, von der Tatsache aus, dass ein Volk, das sich als souverän weiss und entsprechend handelt, souverän ist. Es ist diese Volkssouveränität, die unsere Demokratien in die Souveränität des Marktes und des Kapitals verwandelt müssen. Aber sie können dabei scheitern und das fürchten sie, wenn demokratische Aufstände kommen.

Diese Aufstände aber sind jetzt im Gange und weitere kündigen sich an. Sie begannen 2001 in Argentinien. Parallel dazu entstanden Linksregierungen wie in Venezuela, Bolivien und Ecuador, die sich weigerten, die Souveränität von Markt und Kapital an die Stelle der Volkssouveränität zu setzen. In der öffentlichen Meinung der westlichen Domokratien gelten sie daher als undemokratisch.

Aber mit einer besonderen Macht entstanden solche Volksbewegungen im Jahre 2011 in den arabischen Ländern vor allem Nordafrikas. Dies schwappte dann über nach Spanien.

In den westlichen Demokratien entstand Alarmstimmung. Wenn man Begeisterung zeigte, war dies reines Gerede. Aber man musste in einigen arabischen Ländern der Demokratisierung zustimmen. Daher bot man sofort Unterstützung an. Aber diese Unterstützung tat immer nur dasselbe: Demokratien zu begründen, die die Souveränität des Marktes und des Kapitals an die Stelle der Volkssouveränität setzen. Sie wollen “wahre Demokratien”. Dies scheint leichter, wenn diese demokratischen Bewegungen sich gegen diktatoriale Regimes richten, obwohl diese eine fast absolute demokratische Unterstützung durch unsere Musterdemokratien hatten. Freiheitsfreunde wie Mubarak und Kadhafi wurden daher von einem Tag auf den andern für Monster erklärt. Vorher waren sie gut, jetzt waren sie schlecht. Dahinter stand einfach nur die Sorge darum, solch ausgehöhlte Demokratien wie es heute die westlichen Demokratien sind, auch in diesen Ländern zu schaffen. Es handelt sich um Demokratien wie man sie bereits im Irak und in Afganistan geschaffen hat. Und es ist klar: die demokratischen aufständischen Bewegungen wollen nicht solche Musterdemokratien wie im Irak.

Darauf folgten die demokratischen Aufstände in Spanien und daher im Inneren einer westlichen Musterdemokratie. Auch diese Bewegung will Demokratie. Sie gehen sehr deutlich davon aus, dass die Politiker – es handelt sich um alle Politiker – die Politik der Mächte des Marktes und des Kapitals machen und als deren Vertreter handeln. In Argentinien 2001 sagten sie: que se vayan todos. Das heisst, dass alle Politiker verschwinden sollen.

Der Name, den sich diese Bewegung in Spanien gegeben hat, sagt etwas aus. Sie nennen sich die Indignados. Das heisst, sie fühlen sich als Menschen, die in ihrer Menschenwürde verletzt werden. (auf spanisch heisst Würde dignidad) Das System selbst ist zum System der Negierung der Menschenwürde geworden.(2)

Diese Bewegung hat sich weiter ausgedehnt mit immer neuen Erweiterungen des Inhalts. Diese geschah mit den Protesten in Chile gegen die Kommerzialisierung des Erziehungs und Gesundheitssystems, aber ebenso mit der Bewegung Occupy Wall Street, die in den USA entstand und sich heute ganz ebenso auf die ganze Welt ausbreitet. Eine der Parolen in den USA war: stop trading with our future. Wieder ist die Forderung nach Anerkennung der Menschenwürde das Zentrum.

Sie haben durchaus auch Interessen zu vertreten. Aber sie vertreten sie von einem Standpunkt aus: dem der Menschenwürde. Ich glaube, dass dies es ist, was auch den arabischen Demokratiebewegungen unterliegt. Menschen protestieren und rebellieren, weil sie in ihrer Menschenwürde verletzt sind. Und sie wollen eine andere Demokratie, weil diese Verletzung der Menschenwürde aus der Logik der ausgehöhlten westlichen Demokratie stammt. Diese westlichen Demokratien können nur lachen, wenn sie das Wort Menschenwürde hören. So etwas gibt es doch gar nicht. An die Stelle der Menschenwürde hat man längst den Menschen als Humankapital gesetzt, einfach weil das “realistisch” ist. Es gibt auch tatsächlich geradezu perfekt wieder, auf welche Weise und ganz demokratisch die Menschenwürde unterhöhlt und verletzt und letztlich völlig verworfen wird. Es handelt sich um die Verwandlung des Menschen in Humankapital und seine totale Unterwerfung unter den Nutzenkalkül. Es ist sicher, das Humankapital keine Menschenwuurde hat, es ist maximaler Nihilismus.

Aber es handelt sich demgegenüber um den Aufstand der Menschen im Namen der Menschenwürde. Und nicht nur der Menschenwürde. Auch der Würde der Natur. Die Menschen sind nicht Humankapital und die Natur ist nicht Naturkapital. Es gibt so etwas wie Würde. Die westlichen Demokratien haben das längst vergessen. Es geht aber um die Rückgewinnung dieser Menschenwürde: die würdige Behandlung des Menschen: des anderen Menschen und sich selbst.

Die Indignados aber sprechen nicht im Namen von Interessen und dem Nutzen der zu stiften ist. Sie sprechen im Namen ihrer Menschenwürde und kein Nutzenkalkül kann darüber stehen. Sicher, zu essen stiftet Nutzen. Aber nicht zu essen haben, vermindert nicht etwa einen Nutzen, sondern verletzt die Menschenwürde. Kein Kalkül kann das ändern. Unsere Gesellschaft aber ist so entmenschlicht, dass wir weitgehend nicht einmal mehr die Vorstellung von Menschenwürde haben, sodass alle nur Humankapital sind. Was wir mit den Menschen machen, das sagt der Markt. Und der Markt sagt, was unsere Banker sagen. Und die Politiker sagen, was die Banker sagen. Daher kann jeder Zeit, sofern der Markt es fordert, der wirtschaftliche Völkermord beginnen. Der Markt verwandelt sich in das, was Stiglitz die finanziellen Massenvernichtungswaffen nennt, die zur Zeit ihre Arbeit in Griechenland und Spanien tun.

Die wirtschaftliche Macht lässt sterben, die politische Macht exekutiert. Aber beide töten die Menschen, obwohl mit anderen Mitteln. Daher muss die politische Macht das Töten rechtfertigen, die wirtschaftliche Macht hingegen muss rechtfertigen, warum sie sterben lässt und nicht gegen den wirtschaftlichen vom Markt verordneten Mord interveniert. Sei die Rechtfertigung welche es sei, beide sind Mörder. Keine einzige Rechtfertigung ist mehr als blosse Ideologie von Besessenen.

Der Mord durch Sterbenlassen

Die Anklage des durch die wirtschaftliche Macht verordneten Mordes hat Geschichte. In der jüdischen Bibel wird dieser Mord ganz gezielt angeklagt:

“Ein Mörder seines Mitmenschen ist, wer ihm den Unterhalt wegnimmt, und Blut vergiesst, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält.” Jesus Sirach, 34,22 (Ecclesiasticus)

Bartolomé de la Casa wählt seinen Weg als Verteidiger der amerikanischen Indigenas mit diesem Text, den er liest und meditiert und durch den er sich bekehrt. Es sind die Indigenas, die die Opfer des Mordes sind, den der Ecclesiasticus ebenfalls anklagt.

Am Ende des XVI. Jahrhunderts Shakespear übernimmt diese Anklage und legt sie in seinem Werk Der Kaufmann von Venedig Shylock in den Mund:

“Ihr nehmt mir mein Leben, wenn ihr mir die Mittel nehmt, wodurch ich lebe.”

Diese Problematik erscheint aufs Neue im XVIII und XIX Jahrhundert. Man begann vom Laissez faire zu sprechen: Laissez faire, laissez passer. Die Kritiker verwandelten dies ironisch: Laissez faire, laissez mourir. Aber speziell wichig ist Malthus der jetzt ganz offen besteht auf: laissez mourir statt laissez faire. Adam Smith sagt dasselbe auf folgende Weise:

"Aber in einer zivilisierten Gesellschaft kann der Mangel an Nahrungsmitteln nur unter den unteren Volksklassen einer weiteren Vermehrung der Menschen Schranken setzen, und er kann dies nur dadurch, daß er einen großen Teil der Kinder, die ihre fruchtbaren Ehen hervorbringen, tötet… So geschieht es, daß die Nachfrage nach Menschen, gerade wie die nach jeder anderen Ware, notwendig auch die Erzeugung der Menschen reguliert: sie beschleunigt sie, wenn sie zu langsam vor sich geht, und sie verzögert sie, wenn sie zu rasch fortschreitet." Smith, Adam: Der Reichtum der Nationen. Kröner, Leipzig 1924. 1. Buch, 8. Kapitel. I,80/81

Bei Adam Smith ist dieses Sterbenlassen jetzt ein Marktgesetz, was es bei Malthus nicht ist. Der Markt lässt immer alle diejenigen sterben, die innerhalb der Marktgesetze keine Lebensmöglichkeit haben und so soll es sein. Dies ist Teil der Marktgesetze. Das Gleichgewicht der unsichtbaren Hand kommt dadurch zustande, dass man alle diejenigen, die verelenden, einfach sterben lässt. Gehen wir auf das Zitat des Ecclesiasticus zurück, heisst dies, dass das Gleichgewicht durch Mord der Überflüssigen gesichert wird.

Es ist klar, dass für Malthus und Smith die These de Ecclesiasticus, der gemäss es sich um Mord handelt, nicht annehmbar ist. Marx aber besteht darauf und zitiert im 1. Band des Kapitals aufs neue Shakespear, damit aber notwendigerweise ebenfalls den Ecclesiasticus von dem Skakespear diese These übernimmt. Er besteht folglich darauf, dass die zitierten Aussagen von Smith und Malthus auf Mord hinauslaufen.

Hier ist interessant die Tatsache, dass Smith dieses durchaus methodische Sterbenlassen als Marktgesetz darstellt. Es gibt also einen Gesetzgeber der zum Tode verurteilt und dieser ist der Markt.

In dieser Form, nämlich als Gesetz, gilt dies ganze auch heute noch und wir erleben es mit der Verurteilung des griechischen Volkes zum Elend, dem andere Verurteilungen gefolgt sind und weitere folgen werden. Die wirtschaftliche Macht spricht Todesurteile aus und vollstreckt sie. Aber es ist das Gesetz, nämlich das Marktgesetz, das diese Verurteilungen vorschreibt. Es gibt die Erlaubnis zum töten und die Träger der wirtschaftlichen Macht sin Agenten 007.

Dies Marktgesetz hat zwei Dimensionen. Eine ist die der Marktethik, von der Max Weber spricht. Hayek fasst sie zusammen als: Garantie des Privateigentums und Erfüllung der Verträge. Die Erfüllung der Verträge schliesst die Bezahlung von Schulden ein. Diese Marktethik ist blinde Erfüllungsethik: es gibt keine Gründe, ihre Normen, die allesamt formale Normen sind, einem Bewertungskriterium zu unterwerfen. Es gilt absoluter ethischer Rigorismus.

Neben dieser Marktethik handelt es sich um Gesetzmässigkeiten des Marktes so wie in dem vorhergehenden Zitat von Adam Smith das Sterbenlassen der überflüssigen Menschen, das heisst, derer, die keinen Platz auf dem Markt finden. Marktgesetze dieser Art werden ständig erfunden. Heute etwa gilt die gesamte Globalisierungsstrategie als Marktgesetz, das blind zu erfüllen ist. Dies gilt insbesondere für die Unterwerfung aller sozialen Beziehungen unter die Marktbeziehungen und die Privatisierung möglichst aller Instituionen der Gesellschaft.

Beide Dimensionen der Marktgesetze gehören eng zusammen. Eine existiert nicht ohne die andere. Sie haben gemeinsam ihre Destruktivität für alles menschliche Zusammenleben, sei es mit den anderen Menschen oder auch mit der Natur. Man erklärt dann diese Zerstörung als kreative Zerstörung, von der Schumpeter sprach, wobei er den Ausdruck kreative Zerstörung vom Anarchisten Bakunin übernahm – natürlich, ohne zu zitieren. Man kann die Zerstörung nicht leugnen, aber man erklärt sie einfach für kreativ. Sie belastet dann das Gewissen nicht mehr und das umso mehr, je blinder jede Zerstörung für kreativ erklärt wird. Wer nicht mit Geld bezahlen kann, muss mit Blut bezahlen. Das ist das Prinzip des Weltwährungsfonds und der Banken.

Der grösste Fall dieser wirtschaftlichen Völkermorde in den letzten Jahrzehnten geschah in Russland. Ein Autor, der sich auf Veröffentlichungen in der englischen Zeitschrift The Lancet stützt, schreibt folgendes:

“Indem sie die Beobachtung machen, dass die Bevölkerung ‘zwischen den Jahren 1991 und 1994 etwa 5 Jahre der mittleren Lebenserwartung verloren’, erklären die Autoren, dass die derartige Verschlechterung der Lebensbedingungen eine direkte Konsequenz der ‘wirtschaftlichen Strategien war, die man anwendete, um vom Kommunismus zum Kapitalismus’ überzugehen. Strategien die, zusammen mit anderen, französische money doctors erfunden hatten.”(3)

Es hat Millionen von Opfern gegeben, Aber alles mit bestem Gewissen. Mit einem solch guten Gewissen, dass die Kommunikationsmittel diesen Völkermord fast nicht erwähnten.

Die Völkermorde, die sich mit dem Plan für Griechenland und weitere Länder ankündigen, werden möglicherweise ähnliche Dimensionen erreichen. Aber sie werden auch nicht weiter veröffentlicht werden.

Das Gesetz selbst, in unserem heutigen Fall das Marktgesetz, wird zur Kraft des Verbrechens, das hier begangen wird. Mich erinnert dies an folgende Aussage von Paulus:

Der Stachel des Todes ist das Verbrechen, die Kraft des Verbrechens ist das Gesetz 1 Kor 15,56 (4)

Das Gesetz wird zur Kraft des Verbrechens und aktiviert den Stachel des Todes. Das Gesetz löst alle Gewissensprobleme derer, die das Verbrechen begehen. Sie erfüllen ja das Gesetz, indem sie das Verbrechen begehen. Folglich ist es kein Verbrechen. Genau das ist jetzt mit Griechenland geschehen. Aber der Weltwährungsfonds, die Europäische Zentralbank, der Europarat und die Regierungen Merkel und Sarkozy sind freigesprochen durch dieses Gesetz, das die bürgerliche Gesellschaft selbst erfunden hat. Es handelt sich um das versteinerte Herz, das in allen unseren Exekutivkadern kultiviert werden muss.

Handelt man so, so dreht sich das Gewissen um. Man hat jetzt ein schlechtes Gewissen, wenn man diese Verbrechen nicht tut. Jetzt sind sie Pflicht in der Erfüllung des Gesetzes, eine Art umgekehrter kategorischer Imperativ.

Dies macht alle Menschenrechtskritik so schwierig und auch ambivalent. Als Pinochet in London verhaftet war wegen des Verdachts des Völkermords und sonstiger Menschenrechtsverletzungen, besuchte Margaret Thatcher ihn demonstrativ. Gemäss ihrer Meinung hatte Pinochet das Gesetz erfüllt, indem er Gesetzesbrecher entsprechend verfolgte. Alle Menschenrechtskritik prallte daran ab.

Es ergibt sich sogar die umgekehrte Position. Derjenige, der diese Menschenrechtsverletungen begeht, fühlt sich so sehr frei von jedem Verbrechen, dass er auf sadistische Art die Qualen der von ihm Verfolgten geniesst. Er geniesst ja das, was er als Gerechtigkeit ansieht. Auf diese Weise wird die Machtausübung zum Genuss der Macht und schliesslich zum Genuss der Leiden der anderen.

Im Jahre 1991 schrieb der Chef von Nestle, Maucher, einen Artikel in der Zeitschrift der deutschen Unternehmerschaft, in dem er erklärte, er brauche Manager mit “Killerinstinkt“, mit dem Instinkt zu töten.5

Nicht nur Nestle braucht diesen “Killerinstinkt” um seine süssen Schokoladen zu produzieren, jeder Geheimdienst braucht ihn auch. Ohne Personen mit Killerinstinkt gibt es keine Folterer. Killerinstinkt ist der Instinkt von Folterern die ihre Aktion mit sadistischem Genuss erleben. Auch alle Ausbildung der sogenannten Elitesoldaten ist die Ausbildung eines “Killerinstinktes: in ihren Mitgliedern. Es sind sogar Techniken entwickelt worden, um diesen Instinkt zu wecken. Dieser Killerinstinkt ist notwendig sowohl zur Ermöglichung der direkten Gewalt wie auch der Gewals des sterben lassens im Namen des Marktes.

Es handelt sich um den Genuss des Unglücks und des Schmerzes des anderen. Dies ist der Sadismus. Der Sadismus ist das Schmieröl der totalen Machtausübung. Diese Tatsache ist überall sichtbar, aber fast alle Welt hütet, sich dies zu analysieren oder anzuklagen. Es handelt sich um ein laut hörbares Geheimnis.

Die Alternative

Dieser vom Markt verordnete Mord ist nie die einzige Alternative, obwohl er fast ständig von den Kommunikationsmitteln als solche dargestellt wird. Immer gibt es die Alternative einer Regulierung und Kanalisierung der Märkte, wie dies nach dem II. Weltkrieg möglich war. Aber sie ist notwendig ein Eingriff in die Privilegien der wirtschaftlich Mächtigen. Da unsere heutige Gesellschaft einer Idolatrie der Macht verfallen ist wie wenige vorher, ist diese Alternative versperrt, sodass die gesamte Gesellschaft mörderisch und verbrecherisch geworden ist. Aber keiner kann sich der Tatsache entziehen, dazuzugehören.

Heute ist es unsere Aufgabe, eine Gesellschaft zu entwickeln, die fähig ist, den Markt soweit zu regulieren und zu kanalisieren, dass er diese seine Todesurteile nicht mehr fällen kann. Das ist die Gesellschaft, um die es geht.

Schlussbetrachtung

Ich habe mich im vorhergehenden vor allem auf eine ausserordentliche Rede unter dem Titel: Die Wahrheit über Griechenland von Theodotakis gestützt wie auch im ganz allgemeinen auf entsprechende Stellungsnahmen von Jean Ziegler. Positionen dieser Art werden in unseren Kommunkationsmitteln fast unisono als Extremismus charakterisiert. An diesem Morden teilzunehmen ist Realismus, gegen es aufzutreten ist Extremismus. Dies muss sein in einer von Mördern organisierten Gesellschaft.

Theodorakis war in der Zeit der deutschen Besetzung Griechenlands wahrend des II. Weltkriegs, bei der das Land ausgeplündert und etwa eine Millionen Griechen ermordet wurden, Teil des Widerstands und hat selbst die Gefängnisse der Gestapo kennengelernt. Deutschland, das verantwoetlich war, schuldete nach dem Krieg nichts an Griechenland. Die Schulden wären auch unbezahlbar für Deutschland gewesen. Aber heute schuldet Griechenland Deutschland völlig unbezahlbare Summen. Aber die Bundesrepublik verlangt die Zahlung. Wieder wird Deutschland Griechenland völlig ausplündern und einen diesmal wirtschaftlichen Völkermord veranstalten. Und in Deutschland regt sich kaum ein Widerstand gegen dieses skandalöse Unrecht. Eine der wenigen Ausnahmen ist Günter Grass, der aber von fast allen Kommunikationsmitteln abgekanzelt wurde. Das Land der Dichter und Denker zerstört seine Wurzeln. Und eine dieser Wurzeln ist Griechenland.

Theodorakis geht davon aus, dass jetzt sicher sogar de Akropolis privatisiert wird. Ich habe keinen Zweifel, dass deutsches Kapital sie gern kaufen wird. Werden die deutschen Philosophen dies feiern? Und was wird Hölderlin sagen?

 


1 - Thomas More sagt 1516:

“But I do not think that this necessity of stealing arises only from hence; there is another cause of it, more peculiar to England.' 'What is that?' said the Cardinal: 'The increase of pasture,' said I, 'by which your sheep, which are naturally mild, and easily kept in order, may be said now to devour men and unpeople, not only villages, but towns; for wherever it is found that the sheep of any soil yield a softer and richer wool than ordinary, there the nobility and gentry, and even those holy men, the abbots not contented with the old rents which their farms yielded, nor thinking it enough that they, living at their ease, do no good to the public, resolve to do it hurt instead of good. They stop the course of agriculture, destroying houses and towns, reserving only the churches, and enclose grounds that they may lodge their sheep in them.”

http://en.wikipedia.org/wiki/Enclosure

2 - Dies ist durchaus bewusst. Camila Valleja, eine der Sprecherinnen der chilesischen Volkssbewegung, sagte:

“Hay que apostar a un lenguaje que le llegue hasta al más humilde, al más pobre. Y eso es algo que tenemos que tratar con inteligencia, sin perder el contenido. Es una recomendación, y a seguir adelante, que esta lucha no es solamente de los chilenos sino que es una lucha de todos los jóvenes, de todos los estudiantes de todos los pueblos en el mundo, es la lucha por la dignidad humana y por la recuperación de nuestros derechos para alcanzar esa dignidad que todos queremos, y para consolidar sociedades más humanas”

3  - Renaut Lambert: Los economistas de bancos en campaña. La Monde Diplomatique, Bogotá, marzo 2012, p.13 Er zitiert als seine Quelle: David Stuckler,Lawrence King, Martin McKee: Mass privatisation and the post-communist mortality crisis: a cross-national analysis The Lancet, Volume 373, Issue 9661, Pages 399 - 407, Londres 31 January 2009

Se puede leer algo parecido en Naomi Klein: The Shock Doctrine. The rise of Disaster Capitalism.

4 - Paulus spricht von etwas, das mit Sünde übersetzt wird. Aber jedes Verbrechen ist Sünde, auch wenn nicht alle Sünde ein Verbrechen ist. Folglich habe ich die Übersetzung korregiert, das Wort Sünde übermittelt nicht, worum es sich bei Paulus handelt.

Ver Hinkelammert, Franz: Der Fluch, der auf dem Gesetz lastet. Exodus. Luzern, 2011

Ebenfalls Hinkelammert, Franz: Grenzzgänge zwischen Kontinenten und Wissenschaften. Exodus. Luzern, 2011

5 - vgl. Arbeitgeber, 1/91. Gemäss Spieler, Willy: Liberale Wirtschaftsordnung – Freiheit für die Starken? In: Neue Wege. September 2002, Zürich

 

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