Neubegründung des kritischen Denkens ist
keine Neuerfindung oder die Erfindung von etwas ganz anderem. Neubegründung ist
nur in Kontinuität möglich. Aber sie bricht mit Elementen dieses kritischen
Denkens, die bisher als zentral oder wesentlich betrachtet wurden und zieht
daraus die Konsequenzen.
Eine Neubegründung des kritischen
Denkens impliziert daher eine Kritik des kritischen Denkens, wie es bisher
verstanden wurde. Aber auch kann nicht ein Bruch mit dem kritischen Denken
sein, sondern die Herausarbeitung von Elementen dieses kritischen Denkens, die
vernachlässigt wurden und durch andere Elemente verdrängt wurden. Daher muss es
eine Kritik von Innen heraus sein, nicht externe Kritik. Es handelt sich daher
immer auch um eine Selbstkritik.
Diese Kritik als Ausgangspunkt für eine
Neubegründung des kritischen Denkens hat, wie ich es sehe, zwei Schwerpunkte.
Zum ersten, die Neubegründung der Kritik
der politischen Ökonomie. Diese Neubegründung aber muss als ihrene
Ausgangspunkt die heutige bürgerliche politische Ökonomie nehmen, nicht die
klassische. Sie muss daher von den neoklassischen und neoliberalen
Wirtschaftstheorien ausgehen, und von ihnen aus die Kritik der politischen
Ökonomie vornehmen. Damit wird die Kritik der politischen Ökonomie von Marx
keineswegs überflüssig. Aber sie wird “klassisch”, und nicht gegenwätig. Sie
muss gegenwärtig gemacht werden, wie das für alle klassischen Autoren gilt. Sie
müssen von heute aus angeeignet werden. Dies gilt insbesondere für das Zentrum
der Kritik der politischen Ökonomie, das die Arbeitswertlehre ist. Sie ist aber
keine Arbeitsmengentheorie, sondern eine Arbeitszeittheorie. Als solche ist sie
eine Zeittheorie, die von der Verdoppelung der Zeit ausgeht, die ausgedrückt
wird als Verdoppelung von konkreter Arbeit und abstrakter Arbeit. Sie
impliziert die Verdoppelung von Lebenszeit und abstrakter Zeit. Die heutige bürgerliche politische Ökonomie
hat alle Zeit auf abstrakte Zeit reduziert. Lebenszeit ist für sie verlorene
Zeit. Die heutige bürgerliche politische Ökonomie zwingt dazu, von der Rückgewinnung der konkreten
Lebenszeit auszugehen, die nicht auf Arbeitszeit reduziert werden kann. Die
Arbeitszeit der abstrakten Arbeit hingegen wird dann sichtbar als Teil der
Lebenszeit. Die konkrete Zeit der konkreten Arbeit hingegen zieht sich durch
die gesamte Lebenszeit hindurch, sodass ein Konflikt entsteht zwischen
abstrakter Arbeitszeit und Lebenszeit. Es geht also nicht um Sein und Zeit oder
Zeit und Sein, sondern um abstrakte Zeit und Lebenszeit als konkreter Zeit. Es
gibt bei Marx die entscheidenden Elemente hierzu. Aber sie müssen von unserer
Gegenwart her entwickelt werden, denn ihr Sinn ist nur von daher aus
verständlich.
Dies führt zu dem andern Schwerpunkt
einer Neubegründung des kritischen Denkens. Es handelt sich um das, was
traditional als historischer Materialismus bezeichnet wurde. Er formuliert den
Ausgangspunkt des kritischen Denkens und daher auch der Kritik der politischen
Ökonomie. Ich möchte daher meine weiteren Reflektionen hierauf konzentrieren.
Der
historische Materialismus in seiner klassischen Formulierung.
In der marxistischen Tradition wird der
historische Materialismus ganz zentral von einem klassischen marxschen Text her
aufgefasst, der immer wieder auftaucht. Es handelt sich um das Vorwort des
Buches Zur Kritik der politischen Ökonomie von 1859. Hier wird die Basis –
Überbau – Theorie entwickelt, in der es
eine ökonomische Struktur, die
sogenannte reale Basis gibt, der ein Überbau entspricht, dessen Dynamik durch
die Basis vorgegeben wird. Diese Basis
ist “naturwissenschaftlich treu “ wiedergebbar und ihr entsprechen die
“ideologischen Formen”, in denen sich die Menschen des in der Basis gegeben
Konflikts von Produktivkräften und
Produktionsverhältnissen bewusst werden und ihn ausfechten: juristischen,
politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen Formen. Diese
ideologischen Formen spiegeln gewissermassen die Basis wieder. Es handelt sich
um eine eher objektivierenden Beschreibung eines solchen Zusammenhangs, die
einen ausserordentlichen Einfluss bekommen hat auf fast alle späteren
Ausführungen über den historischen Materialismsus. Sie erwies sich als
ausserordentlich angemessen dem eher bürokratischen Denken politischer
Organisationen und Parteien. Ihr liegt eine eher abstrakte Vorstellung der
historischen Zeit zugrunde.
Marx selbst hat diese Analyse kaum
weitergeführt, in seinem Werk Das Kapital kommt sie nur am Rande vor. Gerade
seine Entwicklung der Fetischismustheorie hat diese Analyse in diesem Vorwort
überrollt. Trotzdem ist sie in den Analysen über Marx und nach Marx als die
klassische Formulierung des historischen Materialismus behandelt wordem.
I. Der
marxsche Übergang zu einer Phänomenologie des wirklichen Lebens
Im Kapital wechselt Marx diesen
Standpunkt nachhaltig. Ich möchte gerade diese neue Formulierung herausstellen,
denn sie scheint mir nötig zu sein, um heute gerade den historischen
Materialismus neu zu begründen.
Ich möchte von einem Text aus dem
Kapital ausgehen, in dem dieses Verhältnis von Basis und den institutionellen
und ideologischen Formen des Denkens auf eine völlig andere Weise gesehen wird.
Die Analyse ist auf einmal eher phänomenologisch als objetivierend. Es handelt
sich um eine Phänomenologie des wirklichen Lebens:
"Die Waren können nicht selbst zu
Markte gehn und sich nicht selbst umtauschen. Wir müssen uns also nach ihren
Hütern umsehn, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher
widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt
brauchen, in andren Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu
beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren
Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des
andren, also jeder vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die
fremde Ware aneignet, indem er die andre veräußert. Sie müssen sich daher
wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen
Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein
Willensverhältnis, worin sich das ökonomische
Verhältnis wiederspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder
Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die
Personen existieren hier nur als Representanten von Ware und damit als
Warenbesitzer." Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, MEW. Dietz. Berlin.
Bd.23, S.99/100 (Hervorhebungen vom Autor)
Ich meine, dass dieses Zitat von
zentraler Bedeutung ist für die weitere Auffassung des historischen Materialismus
von seitem von Marx. Hier gibt es nicht mehr eine Bedingtheit des Überbaus
durch die Basis. Überhaupt wird nicht mehr von Basis in bezug auf einen Überbau
gesprochen. Stattdessen gibt es die Beziehungen zwischen Dingen, die Waren sind
(oder es potentiell sind) und die das ökonomische Verhältnis (was gleichzeitig
auf Eigentumsverhältnisse und Produktionsverhältnisse hinweist) ausmachen, das
dem Rechtsverhältnis entspricht. Diese Entsprechung ist die einer
Wiederspiegelung. Diese Wiederspiegelung aber geschieht in einer überraschenden
Richtung: Das ökonomische Verhältnis – also die gelebte Wirklichkeit- hat das
Rechtsverhältnis zum Spiegel und spiegelt sich daher in ihm. Das Vorwort von
1859 spricht nicht von Spiegelungen. Aber es gibt eine Richtung der Bedingtheit
(Determinierung ist nicht der richtige Ausdruck): die Basis bedingt den
Überbau. Jetzt aber ist die Richtung umgekehrt, in der der Begriff der
Bedingtheit keinen Sinn mehr hat: das Rechtsverhältnis ist der Spiegel, in dem
sich das ökonomische Verhältnis – und das impliziert die Lebenswirklichkeit –
wiederspiegelt.
Diese Umkehrung deutet sich allerdings
bei Marx schon im Jahre 1859 an. Er schreibt nicht nur das Vorwort zur Kritik
der politischen Ökonomie, sonder auch eine Einleitung, die er dann nicht
veröffentlichte und die erst sehr viel später bekannt wurde. In dieser
Einleitung gibt es bereits Hinweise auf diese andere Form, den historischen
Materialismus aufzufassen, und zwar insbesondere in seiner Diskussion des
Verhältnisses von Produktion und Konsum.
In seiner Analyse im Kapital ist diese
Theorie der Wiederspiegelung das Ergebnis seiner Analyse de Warenform in der
vorhergehenden Analyse seiner Wertlehre. Sie schafft aber die Theorie der
Bedingtheit des Überbaus durch die Basis nicht einfach ab, sondern schlägt
einen anderen Weg ein: sie nimmt jetzt die Lebenswirklichkeit zum
Ausgangspunkt. Sie entwickelt jetzt das Verhältnis vom Subjekt aus. Sie ist
damit das Ergebnis seiner Fetischismusanalyse.
Wenn später das Wort Wiederspiegelung im
marxistischen Denken auftaucht, hat es nicht mehr die Bedeutung, die Marx ihm
hier gibt. Sie wird dann wieder im Sinne einer Bedingheit oder gar
Determiniertheit des Überbaus durch die Basis benutzt, insbesondere bei Lenin.
Die Theorie der Wiederspiegelung von Marx verschwindet faktisch aus der
marxistischen Tradition. Diese Theorie aber ist es, die den marxschen
Humanismus weiterführt.
Der oben zitierte Text wird
normalerweise so gelesen, als wäre er die einfache Wiederholung des Vorworts
von 1859. Dies möge ein Zitat des französischen Marxisten Bidet zeigen, dessen
Buch Theorie der Moderne in Lateinamerika häufig diskutiert wurde und das sich
auf ebendiesen Text bezieht:
“Dieses Paradigma der “Wiederspiegelung”
stellt offensichtlich einige Probleme. Es verweist auf zwei zusammenhängende
Vorstellungen, die ich im folgenden analysieren möchte. Die Vorstellung einer
Wirkung der gemäss der Bereich des Rechts durch das Wirtschaftliche
determiniert scheint. Und die des Scheins, die wir im Bild der Maske und
allgemeiner in der Metapher der Oberfläche finden.”
[1]
“Was daraus theoretisch folgt, ist
evident. Das Verhältnis, das hier “ökonomisch” genannt wird, wird in den
Vordergrund gestellt und durch die kategorialen Formen der Ware definiert. Dies
erlaubt, die Verhältnisse zwischen den Personen, und auf alle Fälle die
Rechtsverhälnisse, als daraus folgende Elemente vorzustellen, al
“Wiederspiegelungen” der ökonomischen Verhältnisse zwischen Dingen.” (S.143)
Marx determiniert im zitierten Text
nicht das Recht durch das Wirtschaftliche. Marx sagt, dass das Wirtschaftliche
im Spiegel des Rechts gesehen wird. Das ist das Gegenteil dessen, was Bidet
behauptet. Auch ist die Oberfläche oder die Maske nicht etwa, wie Bidet meint,
“blosse” Oberfläche. Er sieht nicht, dass Marx vom lebenden Subjekt ausgeht,
dass eben immer nur die Oberfläche der Phänomene sehen kann. Dass die Welt
subjektiv ist, ist auch für Marx eine objektive Tatsache und nicht einfach
Einbildung. Die Lektüre Bidets nimmt den Text überhaupt nicht ernst, sondern
zwingt ihm die Kategorien des Vorworts von 1859 auf, die Marx gerade
durchbricht. Dies ist aber nicht nur das Problem Bidets, sondern gilt ganz
allgemein für die Lektüre dieses Textes in der marxistischen Tradition.
Diese objektivierte Gegenwart des
Rechtsverhältnisses im Objekt-Ware nennt Marx den Fetischismus. Diesem folgt er
in seinen verschiedenen Etappen als Fetischismus der Ware, des Geldes und des
Kapitals. Aber der Schlüssel ist die Theorie del Spiegels, die genau das
Gegenteil ist von dem, was sich der orthdoxe Marxismus vorgestellt hatte in
seiner Theorie der Widerspiegelung, die ebenfalls die Theorie des Überbaus ist.
Marx behauptet keineswegs, dass die
Rechtsverhältnisse eine Widerspiegelung der wirtschaftlichen Verhältnisse sind.
Er behauptet sogar das Gegenteil, nämlich dass das ökonomische Verhältnis die
Widerspiegelung des Rechtsverhältnis ist, Er sagt dies mit dem Wort
“widerspiegeln” das besagt, dass etwas sich in einem Spiegel wiederspiegelt
oder sspiegelt. Folglich ist die These von Marx, dass wir das ökonomische
Verhältnis in einem Spiegel sehen und nicht direkt. Wir sehen es in einem Spiegel und der Spiegel
ist das Rechctsverhältnis, das seinerseits von den menschen hervorgebracht wird
wenn ihjt “Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des
andren, also jeder vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die
fremde Ware aneignet, indem er die andre veräußert.” Dies geschieht, wenn sie
zu Privateigentümern werden, die sich gegenseitig als solche anerkennen und
daher das Objekt als ihr Eigentum ansehen. So sagt dann der zitierte Text:
“Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der
Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis,
[ist der Spiegel] worin sich das ökonomische Verhältnis wiederspiegelt.”
Es kann wohl kein Zweifel bestehen, dass
für Marx das Rechtsverhältnis der Spiegel ist, in dem sich das ökonomische
Verhältnis widerspiegelt. Bereits vorher, im ersten Kapitel des Kapitals, hat
Marx die These entwickelt, dass das ökonomische Verhältnis, das eine
Widerspiegelung des Rechtsverhältnisse
als Spiegel ist, auf umgekehrte Weise, also invertiert, - wie dies immer im
Spiegelbild geschieht - wahrgenommen wird, woraus Marx seine Theorie des
Fetischismus ableitet. In diesem Sinne ist das ökonomische Verhältnis die
Widerspiegelung des Rechtsverhältnisses. Die geschieht in der Form des Kauf und
Verkafsvertrags. Nur der materielle Inhalt des Vertrags kommt aus dem ökonomischen Verhältnis auf
direkte Weise, das heisst, als Gebrauchswert, der in Warenform gekleidet ist.
Dieser materielle Inhalt bezieht sich auf die spezifischen Waren, die gekauft
und verkauft werden. Dieser Inhalt kann nicht aus der Form des Vertrages
folgen, das heisst, aus seiner juristischen Form. Daher sagt der zitierte Text:
“Der Inhalt dieses Rechts- oder
Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben.”
Ausserdem hat Marx in dem zitierten Text
gesagt, wie er die Entstehung des ökonomischen Verhältnisses als
Widerspiegelung des Rechtsverhältnisses erklärt:
“Um diese Dinge als Waren aufeinander zu
beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren
Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren,
also jeder vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde
Ware aneignet, indem er die andre veräußert. Sie müssen sich daher
wechselseitig als Privateigentümer anerkennen”.
Dieser Teil ist grundlegend um das
ökonomische Verhältnis als Widerspiegelung des Rechtsverhältnisses, das der
Spiegel ist, zu verstehen. Es muss eine Durchdringung der Welt der Obkjekte
durch das Rechtsverhältnis bestehen. Sie ergibt sich dadurch, dass die Besitzer
der Objekte ihren Willen in diesen Objekten hausen lassen. Dadurch begründen
sie ihre private Sphäre, mit dem Ergebnis, “daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder vermittelst
eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er
die andre veräußert”. Dieser Willensakt ist der Vertrag. Damit sind die Objekte
Waren und ihre Besitzer erkennen sich gegenseitig als Warenbesitzer an.
Wenn die Welt der Objekte Privateigentum
ist, da jedes Objekt einen Eigentümer hat, dessen Willen in diesem Objekt
haust, dan ist das Rechtsverhältnis ganz objektiv Teil der Welt der Objekte.
Seinen Willen im Objekt hausen zu lassen, ist ein subjektiver Akt Aber es
handelt sich um eine Subjektivität, die objektibe Gegenstände als
Privateigentum konstituiert. Die
Subjektivität selbst objektiviert sich. Daher spiegelt das Objekt in seiner
objektiven Existenz jetzt das Rechtsverhältnis wieder. Daher können sich die
Eigentümer nur als Eigentümer in Beziehung setzen, indem sie die Objekte, über
die sie Eigentum haben, in Beziehung setzen. Diese Beziehung zwischen den
Objekten-Waren haben jetzt selbst Objektivität. Es wird objektiv sichtbar, wie
sich die Objekte tauschen, das heisst, welche Tauschrelationen sie haben. Die
Ware ist objektiv gegeben, indem der Wille der Besitzer in ihnen haust und es
ergibt sich eine gegenseitige Anerkennung zwischen den Menschen, in der sie
sich als Eigentümer anerkennen. Diese Anerkennung konstituiert das Individuum.
Dieses Eigentum, in dem der Wille seines Besitzers haust, kann auch die
Arbeitskraft sein, insofern ihr Besitzer einen Vertrag eingeht. Das Ding selbst
wird zum Individuum und Marx spricht hier von seiner Charaktermaske. Man wird
Kapitalist oder auch Humankapital, das in sich selbst investiert. Das
Individuum selbst wird mit der Sache identisch.
Daher ist offensichtlich, dass der
materielle Inhalt dieser Rechtsverhältnisse nicht aus den Rechtsverhältnissen
selbst kommen kann. Da es sich um objekte handelt, in denen der Wille der
Eigentümer hasut, sind es die Objekte, die diesen Inhalt abgeben. Aber als
Objekte sind sie jetzt Waren oder sind es zumindest potentiell.
Ein Objekt, in dem kein Wille
irgendeines Eigentümers haust, ist ein verlassenes oder weggeworfenes Objekt.
Es ist keine Ware, sondern ein “herrenloses Objekt”, z.B. Müll. Wenn es isch in
diesem Zustand befindet, kann jeder es sich aneignen. Allerdings, sobald jemand
es sich aneignet und seinen Willen in ihm sich hausen macht, wird es wieder
Ware, die Eigentum dessen ist, der es sich aneignet. In diesem Sinne ist der
Unterschied zwischen einem verlassenen Objekt, das sich jeder aneignen kann,
und einem Objekt, das Eigentum ist, ein Unterschied, der letztlich juristisch
ist. Aber die Objekte spiegeln dieses Rechtssverhältnis auf eine Weise wieder,
dass wir mit unseren Sinnen zwischen verlassenen Objekten und solchen, die
Eigentum darstellen, unterscheiden können. Ausserem ist es gefährlich, diese
Unterscheidung nicht richtig zu treffen, denn die Polizei nwacht über jede
Verletzung des Privateigentums. Daher ist das verlassene Objekt objektiv und
sichtbar in diesem Zustand, obwohl kein
körperlicher Unterschied die Unterscheidung leiten kann. Das Objekt spiegel für
uns seine Position im Rechtsverhältnis wieder.
Aber diese Objektivität, in der sich die
Objekte-Waren im Rechtsverhältnis spiegeln, springt ins Auge des Menschen der
sie sieht. Indem wir diese
Rechtsverhältnisse sehen, sehen wir sie in den Waren von denen aus wir dann
unsere Sicht der Welt konstituieren. Wir sehen nie einfach Objekte, sondern
sehen immer nur Objekte, die sich in den Rechtsverhältnissen widerspiegeln:
"Das bloß atomistische Verhalten
der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozeß und daher die von
ihrer Kontrolle und ihrem bewußten individuellen Tun unabhängige, sachliche
Gestalt ihrer eigenen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, daß
ihre Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen." I,S.107/8
Dieses “Erscheinen” ist objektiv, es ist
das was wir sehen und erleben.
Auf diese Weise erscheint die
Widerspiegelung. Aber sie selbst wird dann widergespiegelt:
"Das Geheimnisvolle der Warenform
besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen
Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der
Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche
Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes
Verhältnis von Gegenständen." S.86
Das Objekt wird nicht als ein Produkt
der Gesamtarbeit gesehen. Die soziale Beziehung ist eine in den Waren
objektivierte Beziehung, die als Austauschbarkeit wahrgenommen wird. Die
Personen aber, die sich als Eigentümer gegenseitig anerkennen, stellen unter
sich Beziehungen her, die durch die sachlich-materiale Beziehung der Waren
beherrscht werden.
Die “Produktionsverhältnisse” – deren
Form wiederum das Rechtsverhältnis selbst ist – sind in den Sachen, in den
Objekten. Aber die Ware enthüllt dies nur in einer Form, in der sie für das
individuelle Bewusstsein verhüllt sind.
Die Welt ist daher eine invertierte,
eine “verkehrte” Welt:
"Es ist nur das bestimmte
gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier die
phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt." S.86
Dieser gesamten Analyse unterliegt die
Art von menschlicher Anerkennung die in den Rechtsverhältnissen der
Warengesellschaft impliziert ist. Die Personen erkennen sich gegenseitig als
Privateigentümer an und als solche gehen sie Vertragssverhältnisse ein. Der
Vertrag ist die sichtbarste Form dieser Anerkennung. Aber diese Anerkennung der
Personen als Eigentümer – was das Rechtsverhältnis selbst ist – ist als
Widerspiegelung in den Waren enthalten, die, indem sie zu Waren werden, dieses
Rechtsverhältnis, das der Spiegel ist, widerspiegeln. Ist einmal die Welt als
Warenwelt konstituiert, spiegelt auch der Mensch dieses Rechtsverhältnis wider,
indem er sich selbst als Eigentümer sieht. Er wird Individuum. Und die
Warenwelt bestätigt dies indem sie objektiv die gegenseitige Anerkennung
zwischen Personen als Eigentümer widerspiegelt. Der Mensch wird Individuum. Was
die Dinge im Spiegel der Rechtsverhältnisse sind, wird im Individuum und als
Individuum internalisiert und reproduziert
Die
Wiederspiegelung der Wiederspiegelung.
Dies ist, was dieser Spiegel der
Rechtsverhältnisse widerspiegelt. Wir sehen in ihnen dann die Warenform als
das, was ist. Im Spiegel dieser Rechtsverhältnisse, erscheinen dann die
imaginären Formen der Warenproduktion, die Marx das wahre Eden der
Menschenrechte nennt. Sie sind die Wiederspiegelung der Wiederspiegelung, die phantasmagorische
Form der Waarenproduktion:
“Die Sphäre der Zirkulation oder des
Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft
sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was
allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit!
Denn Kaufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch
ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige
Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen
gemeinsamen Rechtsausdruck geben.
Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und
tauschen Äquivalent für Aquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das
Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die
einzige Macht. die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres
Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so
jeder nur für sich und keiner fur den andren kehrt, vollbringen alle, infolge
einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer
allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des
Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses.” Bd 23 S. 189/191
Was Marx nicht erwähnt, ist die
formalisierte Konstruktion dieser Marktbeziehungen in dem sogenannten Modell
der vollkommenen Konklurrenz. Sie entsteht erst zum Ende des XIX Jahrhunderts,
sodass Marx sie noch nicht kennen kann.
Das was ist, wird in einem Spiegel gesehen und dieser
Spiegel sind die Rechtsverhältnisse. Das Imaginäre ist Dimension dessen was
ist. Es ist nicht etwa ein Überbau. Es ist die Wiederspiegelung der
Wiederspiegelung.
Die Gegenwart einer
Abwesenheit.
Dies schliesst die Inversion der Welt
ein, die durch diesen Spiegel produziert wird:
“Erscheinen …als das, was sie sind”! Die
Wirklichkeit erscheint in der unmittelbaren erlebten Wirklichkeit als das was
ist. Es entsteht ein Kreislauf. Das was als das erscheint, was ist, ist selbst
eine Widerspiegelung die in der Ware objektiv geworden ist. Es ergibt sich,
dass das Rechtsverhältnis mit der Wirklichkeit übereinstimmt, weil die
Wirklichkeit objektiv dieses Rechtsverhältnis widerspiegelt. Wird nun die
Wirklichkeit als letzte Wirklichkeit genommen, ergibt sich notwendig die
Bestätigung des konstituierenden Ausgangspunktes, der das Rechtsverhältnis ist:
die gegenseitige Anerkennung der Personen als Eigentümer. Es handelt sich um
ein quid pro quo, ein circulus viciosus. Die Wirklichkeit bestätigt das
Rechtsverhältnis einfach deshalb, weil sie es ja als objektiv wirklich
widerspiegelt.
Aber indem sich die Personen gegenseitig
als Eigentümer anerkennen, erkennen sie sich gerade nicht als Subjekte, die Subjekte
von Bedürnissen sind, an (dies sind die “unmittelbar gesellschaftlichen
Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten” von denen Marx hier spricht).
Indem die gesellschaftlichen Verhältnisse als das erscheinen, was sie sind,
sind es “sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche
Verhältnisse der Sachen”
Aber was gerade nicht erscheint, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse als
das erscheinen, was sie sind, ist das was sie nicht sind, nämlich
“unmittelbar gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten”.
Aber das, was diese Verhältnisse nicht sind, ist eine gegenwärtige
Abwesenheit, eine Abwesenheit, die schreit, eine Anwesenheit die jeder
Beteiligte an diesen Verhältnissen erlebt.
Hier ergibt sich der Gesichtspunkt, unter
dem Marx urteilt: die Wissenschaft hat diesen Schrei zu hören, der aus der
gegenwärtigen Abwesenheit dieser verdeckten Wirklichkeit kommt und der die
Bedingung von allem aufdeckt. Bei unmittelbaren Produktionsverhältnissen wäre
diese alles sichtbar und braucht dann keine gegenwärtige Abwesenheit mehr zu
sein. Die Arbeit wäre dann sichtbar das, was sie in Wirklichkeit immer ist:
"Als Bildnerin von
Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von
allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige
Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das
menschliche Leben, zu vermitteln." Karl Marx, Das Kapital, I, MEW. Dietz.
Berlin. Bd.23, S.57 (47)
Die Menschen würden sich dann
gegenseitig als Subjekte von Bedürfnissen anerkennen. Die Warengesellschaft
Abstrahiert von dieser menschlichen Dimension (sie ist anti-human) und sie tut
es im Namen von dem was ist. Die
Fetischismusthjeorie aber zeigt gerade, dass dieser Bezug auf das, was ist,
eine einfache Tautologie ist. Sie zieht aus der Wirklichkeit heraus, was sie
vorher in sie hineingelegt hat. Aber dies Gegenwärtigkeit einer Abwesenheit von
unmittelbar sozialen Beziehungen ist objektiv und daher eine notwendige
Anerkennung. Ohne diese Anerkennung ist die Wissenschaft immer ideologisch
durchdrungen.
Marx geht ständig davon aus, dass dieser
Übergang zu unmittelbar gesellschaftlichen Verhältnissen tatsächlich möglich
ist. Ich gehe hier hingegen davon aus, dass er nicht möglich ist und dies eine
Grenze der conditio humana selbst ist. Aber das ist nicht entscheidend. Ist er
nicht möglich, ergibt sich eben ein ständiger Konflikt mit ständig notwendigen
Vermittlungen, um die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse zu vermenschlichen.
Das Entscheidende ist der Gesichtspunkt,
unter dem Marx kritisiert. Er ermöglicht kritische Urteile über das was ist und
seine mögliche Veränderung. Um diesen Gesichtspunkt handelt es sich und er
macht kritische Theorie erst möglich. Aber es handelt sich eben nicht um
irgendwelche Werte, die von aussen an die Wirklichkeit herangetragen werden,
sondern um die gegenwärtige Abwesenheit einer anderen Welt, die gegenwärtig zu
machen ist und die die gegebene Welt durchdringen muss.
Es handelt sich um eine Dialektik der
Gegenwärtigkeit einer Abwesenheit, die keineswegs hegelsch ist. Sie ist
tatsächlich eine transzendentale Dialektik, für die die unmittelbar
gesellschaftlichen Verhältnisse der transzendentale Bezugspunkt ist. Es ergibt
sich eine Ethik, die aber keine Normenethik ist, sondern die den Gesichtspunkt
formuliert, unter dem jede Normenethik kritisierbar und entwickelbar ist.
[2] Transcendental bedeutet
hier das Unmögliche das es möglich macht das Mögliche zu entdecken. Bei Kant
ist das Transzendental ein Nichtemirisches das Bedingung der Möglichkeit des
Empirischen ist. Es handelt sich um den Standpunkt des Beobachters, der
statisch ist. Hier aber handelt es sich um den Standpunkt dews ahandelnden
Menschen und der Praxis. Daher ist das Transzendental das Unmögliche für dieses
Handeln. Diese Tranzendentalität ist subjektiv. In der Physik ist es die
Tranzendentalität des perpetuum mobile (in der neoklassischen Ökonomie die
“vollkommene Konkurrenz), im kritischen Denken hingegen die unmittelbar
gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Personen. In ersteren handelt es
sich um transzendentale Begriffe, im zweiten Fall aber um transzendentale Referenzen die begrifflich nicht erfassbar
sind. Dies ist nötig, weil sie die Welt der Begriffe, des diskursiven Denkens,
der instrumentalen Vernuft und der Zweck-Mittel-Besiehungen transzendieren.
Marx kommt hierbei auf einen
Gesichtspunkt, den er als junger Marx bereits formuliert hatte. Er sprach dort
von “dem kategorischen Imperativ,
alle Verhältnisse
umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."[3] Dieser Gesichtspunkt
bleibt der Gleiche, aber er wird jetzt mit anderen Worten vom Inneren der
Kritik der Warenproduktion her entwickelt. Sprach der junge Marx davon, dass
der Mensch “das höchste Wesen für den Menschen ist”, so ist jetzt ein Zustand
unmittelbar gesellschaftlicher Verhältnisse die Bedingung dafür, dass der
Mensch diese seine Menschlichkeit verwirklichen kann. Der Mensch bleibt “das
höchste Wesen für den Menschen”.
Was durch Abwesenheit gegenwärtig ist, ist eben dies: der
Mensch als “das höchste Wesen für den Menschen. Dem kann Marx auch andere Namen
geben, wie die “unmittelbar gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in
ihren Arbeiten” oder das “Reich der Freiheit”.
Aber sie sind gleichzeitig auf negative Weise anwesend.
Freiheit und Gleichheit sind, indem sie
im Rahmen des Rechtsverhältnisses bestimmt werden, im gleichen Akt, in dem sie
Freiheit und Gleichheit sind, Mechanismen der Unterdrückung und Ausbeutung. Sie
haben dies als ihre andere Sette einfach deshalb, weil sie nicht “unmittelbar
gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst” sind.
Ihre Abwesenheit ist daher in den Rechtsverhältnissen und in der Wirklichkeit,
die sich in ihnen spiegeln, gegenwärtig. Aber sie sind gleichweitig anwesend in
der Unterdrückung und in der Ausbeutung, in denen diese Abwesenheit schreit.
Das ist der Schrei des Subjekts. Sie schreien zum Himmel, sind himmelschreiende
Unterdrückung und Ausbeutung. Der Himmel, zu dem dies Unrecht schreit, ist “der
Mensch als hôchstes Wesen für den Menschen”.
Nach dem angegeben Zitat zu dieser Freiheit,
Gleichheit und Bentham” spricht Marx hier von dem Drama, das sichtbar wird:
“Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen
Zirkulation oder des Warenaustausches, woraus der Freihändler vulgaris
Anschauungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft
des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon
in etwas die Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer
schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als
sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der
andre scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen
und nun nichts andres zu erwarten hat als die - Gerberei.” Bd 23 S. 189/191
Dies ist die Gegenwart des Gegenteils
dessen, was abwesend ist, nämlich direkter sozialer Beziehungen zwischen den
Personen. Aber auch diese Wirklichkeit ist im Spiegel der Rechtsverhältnsisse
nicht sichtbar. Da erschienen nur Freiheit, Gleichheit und Bentham.
Wodurch aber werden sie sichtbar?
Dadurch, das die gegenwärtige Abwesenheit, wenn man von ihr aus urteilt, sie
sichtbar macht. Sieht man nur das was ist, sieht man dieses Gegenteil auch
nicht.
Macht man also diese Gegenwärtigkeit des
Abwesenden unsichtbar, um nur das zu sehen, was ist und nicht das, was nicht
ist, wird auch nicht sichtbar, wie das Gegenteil von Freiheit, Gleichheit und Bentham
wirklich genwärtig ist. Im Spiegel der Rechtsverhältnisse erscheint diese
umgekehrte Wirklichkeit nicht. Alles erscheint natürlich.
Vom Standpunkt dessen aus, was durch
Abwesenheit gegenwärtig ist, wird erst die volle Wirklichkeit sichtbar.
Freiheit, Gleichheit und Bentham sind
immer auch durch ihr Gegenteil anwesend, Die Anwesenheit der Abwesenheit, von
der aus dies sichtbar wird, ergibt sich aus der Negation von Freiheit und
Gleichheit durch ihr Gegenteil, nämlich Ausbeutung und Unterdrückung, die in
ihrem inneren angelegt und daher von ihnen untrennbar sind. Daher ist diese
Abwesenheit das Fundament.
Freiheit, Gleichheit und Bentham sind
immer auch durch ihr Gegenteil anwesend und in diesem Sinne auch abwesend. Aber
diese Abwesenheit kann nur anwesend gemacht werden, indem die fundamentale
Abwesenheit anwesend gemacht wird. Andernfalls ergibt sich eine Illusion. Dies aber heisst dadurch, “alle Verhältnisse
umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." MEW, I, S.385 Dies ist der “kategorischen Imperativ” von Marx. Dies ist
der Bruch von seiten von Marx mit dem bügerlichen Humanismus, der glaubt, durch
einfache Ausweitung von Freiheit, Gleichheit und Bentham die menschlichen Verhältnisse
humanisieren zu können.,
Das Humane
und seine Gegenwärtigkeit
Diese Anwesenheit einer Abwesenheit, das
was nicht ist, aber gegenwätig ist, ist der Schlüssel. Diese Abwesenheit ist
die Menschlichkeit, die immer, wenn auch als abwesend, gegenwärtig ist. Die
Strukturen selbst machen dies sichtbar. Man kann einen Menschen unmenschlich
behandeln, aber man kann ihn nicht wie ein Tier behandeln. Den Menschen zu
entmenschlichen, ist etwas menschliches, es ist spezifisch menschlich. Würde
man den Menschen wie ein Tier behandeln, kann man ihn nicht versklaven. Er
würde nämlich entkommen oder sich zur Wehr setzen.
Den Menschen erniedrigen, knechten,
verlassen und verachten setzt Mechanismen der Herrschaft voraus, die gegenwätig
machen, was nicht ist, nämlich seine Anerkennung als Menschen. Auf
nicht-intentionale Weise erkennen sie an, dass er ein Mensch ist und kein
Sklave. Nur auf der Grundlage dieser Anerkennung können sie den Menschen zum
Sklaven machen.
[4]
Dies ist der innere Widerspruch, der alle Herrschaftsstrukuren durchzieht.
Daher kann man auch ein Tier niemals so hassen, wie man einen Menschen hassen
kann. Man müsste dann dem Tier unterstellen, dass es ein Mensch ist.
Man kann den Menschen entmenschlichen,
aber man kann ihn nicht wie ein Tier behandeln oder zum Tier machen. Auch im
äussersten Extrem bleibt er ein entmenschlichter Mensch, und die Formen der
Entmenschlichung enthüllen, dass auch der Unterdrücker sehr wohl weiss, dass er
ein Mensch ist, dessen Menschlichkeit er negiert. Auch ein Tier oder die Natur
kann man nur entmenschlichen, nicht etwa “enttierischen” oder “entnatürlichen”
oder “denaturalisieren”. In den Formen der Entmenschlichung zeigt sich, dass
der Unterdrücker weiss, dass er einen Menschen oder etwas menschliches
entmenschlicht. Deshalb ist auch die Rückgewinnung des Menschlichen und muss
sein eine Vermenschlichung des Verhältnisses zur Natur. Aus der Natur kann man
nichts ableiten. Daher kann es auch keine Naturrechte geben. Die Forderung der
Vermenschlichung hingegen ergibt sich aus den Beziehungen zwischen Menschen
selbst und zur Natur, sie ist die Forderung nach der Vergegenwärtigung dessen,
was als Abwesenheit in diesen Beziehungen gegenwärtig ist. Von da aus
allerdings kann man und muss man auch de Natur Rechte zusprechen. Analysen
dieser Art finden sich vor allem bei Sartre.
Dies betrifft den ganzen Menschen. Marx
hat dies durchaus gegenwärtig, wenn er etwa sagt, dass der Hunger, der mit
Messer und Gabel gestillt wird, ein ganz anderer Hunger ist, als der, der durch
einfaches Fressen gestillt wird.
[5]
Der Mensch ist nicht animal vocale oder animal intelectualis. Er ist Mensch in
allen seinen körperlichen Äusserungen, im Essen, im Trinken, in der Kleidung,
im Wohnen, in seiner Sexualität, in seinem Gehen, in seinem Gesang, im Tanz.
Daher kann er in allen seinen Lebensäusserungen entmenschlicht werden und wird
darin entmenschlicht. Und immer enthüllen die Formen dieser Entmenschlichung
dass er ein Mensch ist und dass derjenige, der ihn entmenschlicht, weiss, dass
er ein Mensch ist. Andernfalls könnte er seine Menschlichkeit nicht negieren.
Immer ist diese negierte Menschlichkeit als Abwesenheit, die schreit,
gegenwärtig. Der Mensch hat nicht etwa die Körperlichkeit mit dem Tier
gemeinsam, sodass er sich durch seine Seele, sein Sprechen oder seinen
Intellekt vom Tier unterscheidet. Er unterscheidet sich gerade in seiner
Köperlichkeit vom Tier. Dies allerdings impliziert sein Sprechen, sein Denken
und seine Seele.
Das was ist, sind die
Herrschaftsmechanismen. Das was nicht ist, ist das, was diese
Herrschaftsmechanismen im Menschen negieren, nämlich seine Freiheit als
positive Anerkennung von “unmittelbar gesellschaftlichen Verhältnissen der
Personen in ihren Arbeiten selbst” und die positive Anerkennunger Tatsache,
dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist. Als Negierte sind sie
immer da, weil ihre Negation enthüllt, was negiert wurde. Das negierte ist nicht ausserhalb, sondern im
Inneren der Herrschaftsverhältnisse. Diese sind das, was ist, und man muss aus
ihnen ableiten, was nicht ist, nämlich negiert wird. Negatio positio est.
Es ergibt sich ein Humanismus, der nicht
im Namen eines sogenannten “Wesens” des Menschen entsteht, sondern der aus dem
Inneren der sozialen Beziehungen aufbricht. Er ist objektiv gegeben, nicht eine
Ethik, die von aussen in die sozialen Beziehungen eingreift. Diese Ethik hat
keinen äusseren Sinai, sondern ist mit der Wirklichkeit selbst gegeben. Ihr
Sinai ist das Innere der Wirklichkeit.
Ich glaube, dass es sich hierbei um die
letzte Instanz dessen handelt, was Marx den historischen Materialismus nennt.
Engels reduziert dies, wenn er sagt:
"Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das
in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und
Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je
behauptet." Brief Engels an J.Bloch (21./22. Sept. 1890)
Marx hat mehr gesagt. Bei Engels verschwindet die Gegenwart
der Abwesenheit direkter sozialer Beziehungen zwischen den Personen, die erst
die Rolle der “Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens” begründet.
Nur von dieser Gegenwart einer Abwesenheit her kann man
verstehen, warum Marx sich immer mehr auf die Analyse der Herrschaftsstrukturen
des Kapitalismus konzentriert. Es sind diese Herrschaftsstrukturen als das was
ist, die enthüllen was nicht ist, nämlich, dass der Mensch nicht als Mensch
anerkannt wird, sondern entmenschlicht wird.
Da ist kein Bruch zwischen dem
Humanismus des jungen Marx und dem reifen Marx, wie Althusser meint. Es ist der
junge Marx, der mit dem bügerlichen Humanismus bricht. Die Konsequenz davon
ist, dass er sich auf die Analyse der kapitalistischen Herrschaftsstrukturen
konzentriert und damit die Anwesenheit der Abwesenheit der positiven
Anerkennung der Menschlichkeit des Menschen sichtbar macht. Der junge Marx
stellt genau dies heraus, wenn er seinen kategorischen Imperativ formuliert:
“alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein
geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." MEW, I, S.385
Hier ist nichts von bürgerlichem
Humanismus sei er der von Feuerbach oder der der klassischen bürgerlichen
politischen Ökonomie. Es ist der
Aufruf, alle Verhältnisse -Herrschaftsverhältnisse – aufzuzeigen und dann zu
verändern, in denen der Mensch “ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.” Das aber ist genau das, was er dann
vor allem im Kapital tut. Wenn man da einen Bruch sieht, hat man überhaupt
nichts verstanden und man entdeckt im reifen Marx nur Überreste seines
Humanismus, die zu überwinden sind. Marx wird dann zu einem Strukturalisten
ohne Perspektive und ohne Vision. Er wird orthodox.
Ich meine daher, dass eine Neubegründung
von einem solchen marxschen Verständnis des historischen Materialismus ausgehen
muss. Sie muss als Ausgangspunkt eben die Gegenwart der Abwesenheit direkter
sozialer Beziehungen haben, die sich als Entmenschlichung des Menschen in den
Strukturen der heutigen kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse zeigt. Sie
sind der Spiegel, in dem diese Abwesenheit offenbar wird. Hiervon ausgehend,
kann sie dann die Kritik der gegenwärtigen bügerlichen politischen Ökonomie durchführen, die von dieser
heutigen politischen Ökonomie ausgehen muss – das heisst, von der
neoklassischen und neoliberalen Wirtschaftstheorie – um diese Negation des
Menschlichen aufzuzeigen, wie sie in diesem Wirtschaftsdenken vorgeht. Jedes
Wirtschaftsdenken muss diese Abwesenheit zeigen, wenn auch nur, um sie dann zu
verstecken oder zu überspielen. Es ist das, was Marx mit der klassischen
bügerlichen politischen Ökonomie gemacht hat, aber zur leeren Scholastik ausufert, wenn man sie
einfach wiederholt.
Die marxsche Fetischismustheorie
behauptet, dass für eine Wissenschaft in der die gesellschaftlichen Beziehungen
ganz einfach als das erscheinen was sie sind, die Wirklichkeit
selbst unsichtbar wird. Sie kennt nur eine Empirie. So entgeht ihr gerade das,
was die Bedingung aller Lebensäusserungen ist. Es ist die Bedingung, die nur
als Anwesenheit einer Abwesenheit erschlossen werden kann, die aber im Leben
eines jeden und aller erlebt wird. Die Theorie aber schliesst sie aus. Sie
schliesst sie aus, indem sie das sagt was ist, sodass sie in der Praxis des normalen Lebens nützlich sein kann um die
Handlungsweisen derer zu verstehen, die sich in einer Warengesellschaft
bewegen.
So ist die Fetischismustheorie eine
wissenschaftliche Theorie, die keineswegs ein Teil der “ideologischen Ordnung”
ist. Als wissenschaftliche Theorie erklärt sie gerade die gesellschaftliche Produktion von spezifischen
Ideologien, die sich auf die Warengesellschaft beziehen.
Es ergibt sich also, dass man das
“ökonomische Verhältnis” nur in einem Spiegel sieht, der das Rechtsverhältnis
ist, das die Warenform selbst konstituiert. Daher sieht man die Wirklichkeit
invertiert und verkehrt. Diese Wirklichkeit versteckt die tatsächliche
Lebenswirklichkeit, die schreit, die alles bedingt und nur erfasst werden kann
aus einer Abwesenheit, die anwesend ist. Marx zeigt daher als Ergebnis seiner
Kritik der politischen Ökonomie, dass, wenn man diese Lebenswirklichkeit nicht
positiv gegenwärtig macht, sodass sie die gespiegelte Wirklichkeit zumindest
durchdringt, sich ein selbstzerstörerischer Prozess ergibt, der das Leben
selbst bedroht:
„Die kapitalistische Produktion entwickelt
daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums
untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“
[6]
Das
Höhlengleichnis und die Theorie der Wiederspiegelung
Es ist leicht sichtbar, dass diese
Theorie des Spiegels eine Entwicklung des Höhlengleichnisses von Platon ist.
Aber sie ist nicht gleich. Im Höhlengleichnis sehen die Menschen die Welt als
Schatten del Lichtes der Iddenw. Wie sie sich gegenseitig sehen, ist ausgeklammert.
Bei Marx hingegen ist das Verhältnis zischen den Menschen so, dass es durch das
Rechtsverhältnis und daher durch die Warenform selbst zum Spiegel wird, in der
sie sich gegenseitig und die Aussenwelt sehen. Das Erkenntnishindernis ist subjektiv geworden, obwohl es ein objektiv
gültiges und wohl auch unvermeidliches ist. Dass die Welt subjektiv ist, ist
eine objektive Tatsche. Das Rechtsverhältnis und folglich die Warenform bringen
als Spiegel eine Welt hervor, deren Wirklichkeit falsch ist und über die man
hinausgehen muss, um die tatsächliche Wirklichkeit als Lebenswirklikchkeit zu
vernehmen.
Der Übergang vom Höhlengleichnis Platons
zu dieser subjetiven Sicht der Welt als Spiegelung, hinter der tatsächliche
Wirklichkeit zu venehmen ist, findet bei Paulus statt, wenn er sagt:
“Wir sehen nämlich jetzt durch einen
Spiegel rätselhaft, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein
Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz
erkannt worden bin” 1 Kor 13, 12
Dieses Erkennen ist ein gegenseitiges
Erkennen und auch bei Paulus ist der Spiegel, der es rätselhaft macht, das
Gesetz. Ist bei Platon der Körper das Gefängnis der Seele, so ist bereits bei
Paulus das Gesetz das Gefängnis des Körpers.
Marx entwickelt diese Subjektivierung
weiter auf das Wertgesetz hin, das bei Marx das Gefängnis des Körpers ist.
Man kann den Gesichtspunkt von Marx
ausweiten und es scheint notwendig zu zein, dies zu tun. Nicht nur das
Rechtsverhältnis, das den Warenbeziehungen ihre Form gibt, ist ein Spiegel in
dem sich das okonomische Verhältnis widerspiegelt. Es handelt sich anscheinend
um sehr viel mehr. Das gesamte Institutionensystem ist ein solcher Spiegel, in
dem sich die gesamte Welt spiegelt und wir können die Welt gar nicht sehen ohne
sie als Welt zu sehen, die sich in diesem Institutionensystem widerspiegel,
insgesamt oder partiell. Was in diesem Spiegel nicht sichtbar wird, ist die
Gegenwart der Abwesenheit einer anderen Welt, die als Abwesenheit da ist und
gedacht, geträumt, als Mythos entwickelt oder auch positiv gegenwätig gemacht
wird. Und immer ist der Schluss gültig, dass, wenn es nicht gelingt, diese
andere Welt positiv wenigstens in Spuren gegenwärtig zu machen in der Welt, die
wir in diesem Spiegel sehen, diese Welt selbst zerstört wird. Es erscheint so
eine Transzendenz im Inneren der Immanenz, deren praktische Anerkennung
Bedingung der Lebensfähigkeit der gespiegelten Welt ist. Marx macht diese
Generalisierung des Spiegels nicht, aber sie ist in der Logik seines Denkens.
[7]
Es gibt eine andere Welt, aber sie ist
das Innere dieser Welt.
Diese marxsche Phänomenologie des
wirklichen Lebens ist nicht zu verwechseln mit der Phänomenologie Husserls oder
Heideggers. Diese geht zwar von den Dingen aus, die wir sehen. Aber eben nicht
von den Dingen, mit denen wir leben. Wir kïonnen aber selbst die Dinge, die wir
sehen, nur im Spiegel der Rechtsverhältnisse sehen, wie wir sie auch nur so
erleben können. Man kann einen Zaun, der ein Grundstück umgibt, nicht sehen,
ohne zu sehen, dass er sich in einem Rechtsverhältnis spiegelt. Er ist der
Ausdruck eines Willens, der in einem privativen Eigentum haust. Nur dadurch hat
er Sinn. Indem die Dinge sich in einem Rechtsverhältnis spiegeln, enthalten sie
es körperlich, nicht als formale Äusserlichkeit. In der Form dieser Körperlichkeit drückt sich
die Spiegelung aus. Sie hat einen körperlichen Ausdruck. (siehe Kafka: Die
Strafkolonie oder Foucault, Überwachen und Strafen.) Auch das Passagenwerk von
Walter Benjamin geht hiervon aus: hier ist es das Produkt einer Verangenheit,
das durch die Gegenwart dieser Vergangenheit geprägt ist
[8]
Dies ist aber nicht mit der Lebenswelt von Habermas zu
verwechseln, die neben den Strukturen existiert und von ihnen absorbiert
werden. Es geht darum: das Gesetz ist der körperlichen Welt eingeschrieben.
Daher spiegelt die körperliche Welt das Gesetz. Aber nicht mit Schriftzeichen.
Die köperliche Welt ist markiert und gezeichnet durch das Gesetz.
Dies ist natürlich etwas anderes als die
Basis-Überbau-Theorie des Vorworts von 1859. Aber es ist das Fundament, von dem
her diese Basis-Überbau-Theorie her interpretiert werden muss.
Die Basis-Überbau-Theorie ist eine
theoretische Abstraktion wie dies alle Theorien sind. Ihre Anwendung ist immer
die Überführung ihrer Resultate in die Welt des wirklichen Lebens. Eine Theorie
gibt nie diese Wirklichkeit wieder. Die Wirklichkeit ist ein Drama, wie dies
auch Marx sieht, und nicht der Schatten von Theorien. Deshalb sind auch die
Künste und die Mythen Teil dieser
Phänomenologie des wirklichen Lebens. Die Theorie bleibt dem äusserlich.
II. Das Unmögliche, das das Mögliche bewegt.
Das Unmögliche bewegt das Mögliche,
indem es umgesetzt und gegenwärtig gemacht wird.
Das Unmögliche kann man möglich machen,
nur dann, wenn man weiss, dass man es nicht verwirklichen kann.
Unmöglichkeiten erschliessen das
Mögliche. Das Unmögliche bewegt das Mögliche. Es ist der berühmte unbewegliche
Beweger. Aber er ist nicht mehr aristotelisch gefasst. Er ist nicht mehr ein
ausserhalb der Welt, in der der Mensch handelt, sondern ein Inneres der
menschlichen Welt.
Dies Unmögliche ist Gegenstand des
menschlichen Handelns und es ist ein Unmögliches in Bezug auf dieses Handeln.
Daher ist es nicht ein logisch
Unmögliches (es ist logisch unmöglich, dass 2 plus 2 gleich 5 ist), sondern im
Sinne einer conditio humana (so wie das perpetuum mobile unmöglich im Sinne
einer conditio humana ist, nicht aber etwas logisch unmögliches). Aaber das
perpetuum mobile als Unmöglichkeit öffnete die Möglichkeit der Pendeluhr. Ohne
das perpetuum mobile als Unmöglichkeit zu begreifen, wäre die Pendeluhr nicht
möglich geworden. Das Unmöliche öffnet die Wege für das Mögliche.
Diese Unmöglichkeiten bewegen das
menschlich Mögliche und erlauben, es erst zu entdecken. Im Sinne des Höhlengleichnisse
ist dieses in Möglichkeit umgesetzte Unmögliche der Schatten des Lichtes – oder
auch des Irrlichtes -, den wir aus unserer Höhle heraus sehen.
Dass dieses Unmögliche unmöglich ist,
konstituiert die menschliche Unruhe und wird dadurch zum Beweger des Möglichen.
Es konstituiert die Möglichkeit zu entdecken, was möglich ist. Aus dieser
Unruhe ergibt sich die Dimension des Möglichen als Umsetzung und
Gegenwärtigmachen des Unmöglichen im Möglichen. Aber diese Umsetzung und
Gegenwärtigmachung ist keine Annäherung in der Zeit und schon gar nicht eine
asynthotische Annäherung an das Unmögliche. Dies verschiebt das Problem immer
in eine lineare, abstrakte Zeit der
Annâherung, die letztlich völlig leer ist. Sie sind Schritte der
Vergegenwärtigmachung, auf die in der Gegenwart von Morgen andere Schritte
folgen, die man aber heute nicht vorherbestimmen kann.
Die Anwesenheit einer Abwesenheit von
“unmittelbar gesellschaftlichen Verhältnissen der Personen in ihren Arbeiten
selbst” ist das Bewegende jedes kritischen Denkens und jeder korrespondierenden
Praxis. Marx benutzt dafür die
verschiedensten Ausdrücke: die Arbeit als freies Spiel der körperlichen und
geistigen Kräfte; der soziale Robinson;
das Reich der Freiheit
[9];
die Emanzipation eines jeden als Bedingung für die Emanzipation aller; die
Natur als Freund des Menschen. In durchaus ironischer Form:
…während in der kommunistischen Gesellschaft, wo
jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in
jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine
Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes
zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben,
nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger,
Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden. Marx, Karl: Deutsche Ideologie. In: Marx
Engels Werke, Dietz. Berlin, 1973. Bd. 3, S.33
Das Problem von Möglichkeit und
Unmöglichkeit ist Marx durchaus bewusst, taucht aber eher am Rande auf. Dies
etwa, wenn er davon spricht, dass das Reich der Freiheit niemals an die Stelle
des Reiches der Notwendigkeit treten kann, sodass seine Verwirklichung immer
beschränkt sein muss. Aber er macht daraus nicht die Grundlage seiner
Reflektionen. Er konzipiert das Reich der Freiheit neben dem Reich der
Notwendigkeit.
[10]
Engels ist darin ganz anders, wenn erganz direkt vom Sozialismus als Sprung in
das Reich der Freiheit spricht.
Hieraus wurde dann die Vorstellung von
der Abschaffung der Warenproduktion und des Staates entwickelt. Heute kann es
kaum Zweifel geben, dass auch dies Unmöglichkeiten sind, aus denen nur die
Folgerung einer Transformation von Warenproduktion und Staat und ihrer
Demokratisierung geschlossen werden kan, aber nicht die Verwirklichung dieser
Unmöglichkeit selbst.
Allgemein gesprochen, handelt es sich um
das, was man die Kommunismusvorstellung bei Marx und weitgehend in der
marxistischen Tradition nennt und nennen kann.
Ich meine, dass heute kaum Zweifel
bleiben daran, dass es sich um Unmöglichkeiten handelt. Aber es handelt sich
nicht um beliebige Unmöglichkeiten, sondern um Abwesenheiten, die in den
Herrschaftsverhältnissen als das, was nicht ist, durch Negation gegenwärtig
sind und daher aus ihnen abgeleitet werden können. Dies erklärt die zentrale
Stelle, die die Kritik der politischen Ökonomie für jedes kritische Denken
einnimmt. nAndernfalls wird es utopisch in dem kritischen Sinne, in dem Marx
vom utopischen Sozialismus spricht.
Dieser Kommunismus als unmittelbares
gesellschaftliches Verhältnis kann nicht das Ziel sein. Eine Unmöglichkeit ist
kein mögliches Ziel. Aber es ist das, was den Weg weisst, der sein Ziel in sich
selbst hat. Er ist daher kein Versprechen einer definitiven Zukunft, sonder der
Wegweiser in der Gegenwart, von der aus er die möglichen nächsten Schritte
aufweist. Insofern zeigt er in die Zukunft, aber jede Zukunft ist eine neue
Gegenwart, in der das Unmögliche wiederum den Weg weist oder die notwendige
Korrektur des Weges. Die Zukunft zeigt keinen Weg, einen Weg zeigt nur die
Gegenwart und in der Zukunft eben die Gegenwart in dieser Zukunft. Es geht um
einen Weg, der sein Ziel in sich selbst hat und in einer Unmöglichkeit seinen
Wegweiser. “Se hace camino al andar”.
[11]
Wenn Bernstein sagt: “Das Ziel ist nichts, der Weg ist alles”, geht jede
Orientierung verloren. Der Weg muss entdeckt werden, aber von der Gegenwart aus
und der Unmöglichkeit, die als Abwesenweit in den gegenwärtigen Strukturen
anwesend ist. Das Ziel ist alles, den Weg aber müssen wir machen, indem wir ihn
gehen.
Die Gegenwart
und die lineare Zeit
Jedes Morgen ist die morgige Gegenwart.
Die Gegenwart von Morgen aber hat eine andere Zukunft als wir sie haben. Jede
Gegenwart hat ihre Zukunft, und immer ist die zukünftige Gegenwart etwas, das
wir allenfalls beeinflussen können. Jede Generation macht ihre Gegenwart. Von
ihr aus gesehen, hat sie ihre eigene Zukunft und ebenfalls ihre eigene
Vergangenheit. Mit der Anderung der Zukunft ändert sich auch die
Vergangenheit. So wie jede Gegenwart
ihre eigene Geschichte hat, hat sie auch ihre eigene Vergangenheit. Sie
schreibt nicht nur ihre eigene Geschichte, ihre Geschichte ist anders als die
vorherige. Nur deshalb hat sie auch eine eigene Zukunft. Unsere Gegenwart ist
die Zukunft einer Vergangenheit, die selbst Gegenwart war und ihre Zukunft
hatte. Unsere Gegenwart ist die Vergangenheit der in der Zukunft liegenden
Gegenwart, wie unsere Gegenwart die Gegenwart in der Zukunft unserer
Vergangenheit ist. Wenn unsere Gegenwart Vergangenheit geworden ist, ist sie
etwas anderes als sie für uns heute ist. In der Geschichte gibt es keine
nackten Tatsachen. Die Geschichte ist der Übergang von einer Gegenwart in eine
andere, darauf folgende Gegenwart. Daher gibt es eine Zukunft nicht, sie ist
nicht. Was wir als Zukunft denken, ist unsere Reflektion über die Entwicklung
unserer Gegenwart zur darauf folgenden Gegenwart. Nur das, was in der
jeweiligen Gegenwart durch Abwesenheit gegenwärtig ist, macht die Orientierung
des Übergangs zur zukünftigen Gegenwart möglich. Der Weg wird gemacht, indem
man ihn geht. Die jeweilige Zukunft ist die Reflektion über diesen Übergang.
[12]
Es ist dies die Vorstellung der Zeit als einer konkreten Lebenszeit mit ihrer
konkreten Zukunft und Vergangenheit. Jeder andere Sinn von Zeit – und Zukunft -
ist eine rein metaphysische und daher abstrakte Vorstellung, weil nur ein
allwissendes Wesen sie kennen könnte.
Die Zeitvorstellung der klassischen
kritischen Theorie hingegen ist die Vorstellung einer linearen Zeit, die in
eine Zukunft verlängert und projeziert wird, die unendlich ist. Die konkrete
Zeit hat kein Ende, aber diese ins unendliche projezierte Zeit ist unendlich.
Die konkrete Zeit ist die Zeit, in der auf unsere Gegenwart die Gegenwart von
morgen und dann von übermorgen folgt. Es ist die Gegenwart, in der unsere
Kinden leben werden und dann die Kinder ihrer Kinder usw. Die Gegenwarten der
Vergangenheit und der Zukunft sind in dieser konkreten Zeit verbunden dadurch,
dass von einer Gegenwart in die andere die Menschen leben und leben müssen,
damit die Gegenwart weitergeht. In der abstrakten Zeit erscheinen einfach nur
zukünftige Wunderdinge. Es ist auch die unendliche Zeit der sowjetischen
Vorstellung des Übergangs zum Kommunismus, die aber weitgehend schon in Marx da
ist – obwohl Marx hierin immer vorsichtig ist. Sie taucht vor allem bei Engels
auf und ist gegenwärtig in fast allem darauf folgenden marxistischen Denken,
häufig bis in die heutige Gegenwart. In dieser Zeitvorstellung denkt auch die
Frankfurter Schule, zumindest in dem, was man ihre erste Epoche nennt, obwohl
Walter Benjamin mit ihr bricht. Es ist die gleiche Zeitvorstellung, die alle
Moderne beherrscht und in ihrem Fortschrittsmythos gegenwärtig ist. Sie ist
daher die Zeitvorstellung auch dessen, was wir den technischen Fortschritt
nennen und heute ganz prosaisch durch die Wachstumsraten des Sozialprodukts
ausdrücken, die ja selbst wieder eine unendliche – wenn auch entleerte -
Zukunftsperspektive haben.
Im Lichte dieser abstrakten, unendlichen
Zeit gibt es so gut wie keine Grenzen des Möglichen. Nichts ist unmöglich
angesichts eines unendlich konzipierten Fortschritts in einer unendlichen
zukünftigen Zeit. Alles Unmögliche wird zu einem “noch nicht” Möglichen. Durch
den Mythos des Fortschritts wird das Unmögliche in ein – angesichts einer beliebig
langen zukünftigen Zeit des Fortschritts – in ein scheinbar “noch nicht”
Mögliches verwandelt. Die konkrete Zeit hat offensichtlich unmögliches in sich,
die unendliche zukünftige Zeit macht alles Unmögliche scheinbar möglich. Das
Unmögliche wird dabei allerdings in etwas technisches verwandelt und damit
quantifiziert. In einem im sowjetischen Sozialismus benutzten Lehrbuch bekommt
es dann folgendes Aussehen:
"Erforderlich
ist: das Leben der Menschen im Durchschnitt bis auf 150 bis 200 Jahre zu
verlängern, Infektionskrankheiten auszumerzen, nichtinfektiöse Krankheiten auf
ein Minimum zu reduzieren. Alter und Ermüdung zu besiegen und zu lernen, dem
Menschen bei frühzeitigem oder zufälligem Tod das Leben wiederzugeben; ... alle
auf der Erde bekannten Stoffe bis zu den kompliziertesten - den Eiweißen -
sowie auch in der Natur unbekannte Stoffe industriell zu erzeugen, Stoffe, die
härter sind als Diamant, hitzebeständiger als Schamotte, Stoffe mit höherem
Schmelzpunkt als Wolfram und Osmium, schmiegsamer als Seide, elastischer als
Gummi; neue Tierrassen und Pflanzensorten zu züchten, die schneller wachsen,
mehr Fleisch, Milch, Wolle, Getreide, Obst, Fasern, Holz für den Bedarf der
Volkswirtschaft liefern; ... zu lernen, das Wetter zu beherrschen, den Wind und
die Wärme so zu regulieren, wie heute Flüsse reguliert werden, Wolken zu
vertreiben und nach Belieben Regen und Schönwetter, Schnee und Hitze
hervorzurufen."
[13]
Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Lehrbuch, Berlin 1960, 825-826.
Wenn
dies die Zielvorstellungen sind, ist die Gegenwart zweitrangig. Es handelt sich
um den Fortschrittsmythos der Moderne, so wie er auch heute der
Globalisierungsstrategie unterliegt. Heute kommen weitere unendlich ferne Ziele
hinzu wie z. B. intelligente Maschinen und die Verwandlung des Menschen in eine
intelligente Maschine und vieles mehr.
[14]
Das Versprechen des Mythos des Fortschritts verwandelt sich in Magie.
Es
handelt sich um die Fortschrittsvorstellung, in die die am Fortschrittsmythos
orientierte Moderne in allen ihren Formen – den sowjetischen Sozialismus
eingeschlossen – um die Mitte des XX. Jahrhunderts einmündete.
Indem
in der Sowjetunion dieser Fortschrittsmythos zum alles beherrschenden Mythos
wurde, wurde ihm auch das Kommunismusbild, das man pflegte, völlig angepasst.
Es verlor die humanen Inhalte, die es bei Marx hat, und wurde zu einer
technifizierten Zukunftsvorstellung von einer so perfekt gewordenen Planung,
dass diese auch auf die Warenbeziehungen verzichten konnte. Die Gründe, warum
Marx die Warenbeziehungen kritisierte, verschwanden. Der Kommunismus wurde –
und dies wurde sichtbar in der Kommunismusdiskussion, zu der Chrustschew in den
60er Jahren aufrief – zu einer Gesellschaft des unendlichen wirtschaftlichen
Wachstums, dessen Sinn weiteres Wachstum ist. Faktisch mündete er in den
Nihilismus ein, der heute der Globalisierungsstrategie weiterhin unterliegt.
Der Kommunismus wurde zu einem Ziel, das sich in demselben Grade entfernt, in
dem man sich ihm annähert. Damit aber wird er als Ziel überflüssig. Daher hat
man dann darauf verzichtet und die offensichtliche Sinnlosigkeit der
versteckten vorgezogen.
Der
Widersspruch, der im Kommunisbild enthalten ist, wenn man den Kommunismus als
ein “noch nicht” einer künftigen positiven Verwirklichung auffasst, ist bereits
bei Engels zu erkennen:
“Die objektiven, fremden Mächte, die
bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen
selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem
Selbstbewußtsein machen, erst von da an
werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen
vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen
haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in
das Reich der Freiheit." Engels, Friedrich: Anti-Dühring. MEW. Bd.20.
S.264 Berlin, 1973.
Was Engels hier beansprucht ist der
Sprung in eine Situation, in der die Zukunft von heute zusammenfällt mit der
Gegenwart von morgen. Der Grund der Unmöglichkeit aber ist, dass auf Grund der indirekten – häufig
nichtintentionalen - Effekte unseres Handelns beides notwenigerweise
auseinanderfällt. Engels mündet in die Forderung ein, dass konkrete und
abstrakte Zeit sich identifizieren sollen.
Aber einen Sprung kann man nicht
“vorwiegend und in stets steigendem Masse” machen, wenn er ein qualitativer
Sprung ist. Indem er Unmögliches beansprucht, muss er endliche Schitte als Annäherung an ein unendlich weit entferntes
Ziel interpretieren, Das ist aber der Widerspruch, in den der sowjetische
Sozialismus einmündete und an dem er zerbrach.
Der
sowjetische Versuch, diese Verwirklichung des Humanen durch seine
Technifizierung und damit innerhalb des Fortschrittsmythos zu lösen, ist
wahrscheinlich der ernsteste Versuch in der Geschichte gewesen, die Moderne von
Innen her durch eine lineare Fortsetzung zu einer Lösung zu führen. Sie hat die
Moderne ganz offensichtlich bis zu jenem Punkt getrieben, von dem aus die
Notwendigkeit ihrer Neubegründung offensichtlich werden kann. Es ist der Glanz
und das Elend dieses Sozialismus, von dem die heutige Globalisierungsstrategie
nur ein miserabler Abklatsch ist. Aber es ist ein Abklatsch: schlechter und
möglicherweise gefährlicher.
Von hierher kann man dann den
Fortschrittsmythos als Katastrophe erkennen. Nicht wohin der Fortschrittsmythos
und dass er zur Katastrophe führt, ist die Katastrophe. Dies wäre eine einfache
Umdrehung des Fortschrittsmythos, wie er heute auch in den apokalyptischen
Bewegungen gemacht wird., vor allem im christlichen, apokalyptischen
Fundamentalismus, wie er heute in grossem Ausmasse in den USA herrscht. Er
lässt die Zeit des Fortschrittsmythos intakt. Er projeziert sie in die lineare
Zeit, die noch kommt, wie dies schon Walter Benjamin sagte. Hingegen ist die
Katastrophe unsere Gegenwart. Dass der Fortschrittsmuythos heute weiterhin
herrscht, das ist die Katastrophe. Es ist die Katastrophe, die in unserer
Gegenwart geschieht. Nicht einfach die zukünftige Katastrophe bedroht uns. Uns
bedroht die gegenwärtige in unserer Gegenwart heute geschehende Katastrophe.
Wir schreiten nicht in die Katastrophe, wir sind mitten darin. Die Katastrophe,
die wir in die Zukunft projezieren, zerfrisst uns von innen, und zwar heute.
Indem wir die Katastrophe als Zukünftige denken, projezieren wir die
Katastrophe, die unsere Gegenwart ausmacht. Der apokalyptische Fundamentalismus
fixiert diese Katastrophe in der Zukunft und paralysiert damit die Gegenwart.
Die Katastrophe wird zur Hoffnung (Christus kommt zurück!) In säkularer Form:
wir haben den Punkt, von dem aus noch eine Rückkehr möglich ist, überschritten
und folglich können wir weitermachen. Nichts mehr lässt sich ändern. Die
heutige Politik der US-Regierung ist von diesen beiden Elementen geprägt. Die
Verantwortung für die morgige Gegenwart ist ausgeschaltet. Der Fortschrittsmythos
schlägt um in einen Mythos des kollektiven Selbstmords der Menschheit. Es wird
zum Mythos der Dekadenz der Moderne. Der Fortschrittsmythos ist ein supernova,
der dabei ist, sich in ein schwarzes Loch zu verandeln.
[15]
Die Praxis
als Umsetzung und Gegenwärtigmachung dessen was unmöglich ist
In der Kritik der Technifizierung und
Aushöhlung der Kommunismusvorstellung entstand die Philosophie der Hoffnung von
Ernst Bloch. Er holte die marxsche humane Utopie des Kommunismus zurück und
zeigte sie in den weitesten Verästelungen ihrer Möglichkeit auf. Er kehrte
damit nicht zurück zu jener Utopie, die Marx in den sogenannten utopischen
Sozialisten kritisiert hatte, sondern fasst sie durchaus im Sinne einer
Anwesenheit einer Abwesenheit auf, obwohl er, soweit ich sehe, diesen Ausdruck
nicht benutzt. Er verknüpft diese Abwesenheit und ihre Gegenwart allerdings
nicht mit einer Analyse der Strukturen der Herrschaft, wie dies, wie wir
gesehen haben, bei Marx auftaucht.
Die Philosphie Blochs allerdings erwies
sich als unfähig, eine Praxis zu begründen. Dies hat einerseits seinen Grund
darin, dass die Utopie nicht als etwas interpretiert wurde, das aus den
Herrschaftsstrukturen selbst sich herleitet, wenn man die Analyse der
Abwesenheit dahin führt, dass sie in den Herrschaftsstrukturen selbst als
negierte Anwesenheit abzu lesen ist. Die Kritik der Herrschaftsstrukturen aber
ist die Basis jeder Praxis. Es kommt aber noch ein anderer Grund hinzu. Obwohl
Bloch die marxsche Utopie in ihren humanen Dimensionen zurückholt,
interpretiert er sie weiterhin als ein “noch nicht” des menschlichen Handelns
auf die Zukunft hin. Er bleibt daher weiterhin dem Zeitparadigma der Moderne
verhaftet, in dem es auf die Zukunft hin keine Grenzen des Möglichen gibt. Aber
es ist ja gerade dieses Zeitparadigma, das die Entleerung der Zukunft in der
Moderne erzwungen hat, die dann ja auch in der Entleerung der
Kommunismusvorstellung im sowjetischen Sozialismus herbeigeführt hat. Übrigens
wird diese Entleerung der Zukunft ja auch in den Philosopiene von Nietzsche und
Heidegger konstatiert, wenn auch diese Phisosophien nicht darauf zu antworten
in der Lage sind.
Indem das Denken von Bloch sich
weiterhin in diesem Zeitparadigma bewegt, kann er kein Denken einer Praxis
entwickeln. Seine Phisosophie weisst etwas auf, kann aber nicht sagen, wohin
dies führen könnte.
Aber gerade die Wiederentdeckung der
Marxschen Utopie durch Bloch sollte eigentlich zur Überzeugung führen, dass es
sich nicht nur um eine Utopie (an keinem Ort) sondern auch um eine Ucronie (zu
keinem Zeitpunkt) handelt. Als solche handelt es sich um eine Unmöglichkeit,
die für das menschliche Handeln definitiv ist. Die Utopie ist daher nicht die
einer konkreten Zeit. Es ist die Utopie der Unmöglichkeit einer Verflüssigung
von Raum und Zeit, von der aus die konkrete Zeit im Konflikt zur abstrakten
Zeit erst konstituiert und begründet werden kann. Diese Utopie-Ucronie befindet
sich in einer durchaus mythischen Dimension, die dann eine Kritik der
mythischen Vernunft verlangt.
Diese Konstitution der konkreten Zeit
von der unmöglichen Utopie her geschieht dadurch, dass das Unmöglichkeit
umgesetzt und gegenwätig gemacht wird in dieser konkreten Zeit im Konflikt mit
der abstrakten Zeit. Dies ist der Weg, den man macht, indem man ihn geht.
Die Frage nach der Unmöglichkeit dessen,
was als Abwesenheit gegenwärtig ist, ist die Frage nach der Freiheit der
Gestaltung unseres Lebens. Es handelt sich um die Sinndimension des Lebens.
Wird dieses Abwesende quantifiziert und technifiziert, so wird es als
Fortschrittsmythos in die Unendlichkeit der abstrakten Zeit projeziert und es
gibt keine Grenzen des Möglichen. Das Mögliche ist dann grenzenlos unendlich
und bestimmt von der Zukunft her das, was zu tun ist. Es wird zum absoluten
Wert, das alle Mittel absolut heiligt: gut ist, was dem Fortschritt dient oder
gut ist, was das Wachstum fördert. Im Namen des absoluten Ziels: gut ist, was
dem Fortschritt dient, geht die Freiheit verloren, selbst der Mensch wird zum
Mittel, dieses Ziel zu verwirklichen und wird daher zum Humankapital – im
Nazismus hiess es: Menschenmaterial
[16] -
und zur Ich-AG. Der Mensch kann nicht mehr wählen oder bestimmen, wie die
heutige oder die morgige Gegenwart sein soll. Das absolute Ziel bestimmt und
die Gegenwart verflüchtigt sich. Das Ziel wird zu einer Peitsche die voran
peitscht. Alles ist durch Zweckmittelbeziehungen festgelegt, und nur “Dummköpfe
oder Verräter” können sich dem widersetzen. Alles ist Sachzwang. In bezug auf
diesen Zusammenhang spricht Max Weber vomo Kapitalismus als einem “stählernem
Gehäuse”. Die Ideologie der heutigen
Globalisierungsstrategie drückt dies durch die Negation aller Interventionen in
den Markt aus. Es ist die Negation der Freiheit zur menschlichen Selbstbestimmung.
Solange der Fortschrittsmythos aufrechterhalten wird, ist er die Blumen an der
Peitsche. Fällt er weg, so ist die Peitsche nackt, funktioniert weiter und wird
damit zum nackten Willen zur Macht. In diesem Prozess befinden wir uns heute.
Im Namen einer falschen Zukunft wird die Gegenwart unterdrückt und damit die
Menschen, die in dieser Gegenwart leben. Der utopische Fortschrittsmythos
verwandelt sich in einen Katastrophenmythos und damit den utopischen
Kapitalismus in zynischen.
Die Anerkennung hingegen der
Unmöglichkeit des Abwesenden, das in den Herrschaftsstrukturen anwesend ist,
befreit hingegen zur Freiheit als soziale Selbstbestimmung. Das Unmögliche kann
nicht im Namen des “noch nicht” in ein zu verwirklichendes Ziel verwandelt
werden, sondern es muss umgesetzt und vergegenwärtigt werden. Es öffnet damit
einen Raum von Möglichkeiten und nicht eine Möglichkeit, die dann ohne
Alternative dasteht. Es sind Möglichkeiten, unter denen gewählt werden muss und
die nicht a priori determiniert sind. Das Unmögliche für das menschliche Handeln
wird zum unbewegten Beweger, zur Orientierung für die Möglichkeiten, die es
aufzeigt.
[17]Damit
ist die Freiheit der Selbstbestimmung für die Gestaltung der heutigen Gegenwart
und der Gegenwart von morgen möglich. Diese Freiheit ist konfliktiv, aber ihre
Konflikte sind nicht absolut, solange es gelingt, die abstrakte Zeit den
Entscheidungen der Selbstverwirklichung in der konkreten Zeit unterzuordnen.
Es ergibt sich damit ein Projekt, das
die Gesamtheit dieser Möglichkeiten zusammenfasst: Eine Gesellschaft, in der
alle, die Natur eingeschlossen, Platz haben und die den
Reichtum produziert, ohne die Springquellen der Reichtumsproduktion
auszuhöhlen: die Erde und den Menschen als Arbeiter. Es handelt sich um ein demokratisches
Projekt, denn es entspricht nicht einer einzigen und alternativlosen Strategie,
sondern einem Bündel von Strategien, die es zu entdecken gilt. Die Möglichkeit als “noch
nicht” schliesst die Zukunft, die Unmöglichkeit hingegen, die in Mögliches
übersetzt wird, öffnet sie. Sie kann weder den Markt noch den Staat
abschaffen. Sie muss aber, um
realistisch zu sein, eine demokratisch legitimierte und systematische
Intervention des Marktes beinhalten, die diesen in den Dienst des wirklichen
Lebens stellt. Der Mensch ist dann nicht mehr darauf reduziert, Individuum-
Eigentümer zu sein, sondern kann Subjekt des wirklichen Lebens werden.
Andernfalls wird dieser Humanismus das, was er in unseren öffentlichen
Veranstaltungen auch heute noch ist, sobald der Hymnus an die Freude aus der
IX. Symphonie von Beethoven vorgestellt wird: blosses Gerede.
Hiermit kann die Selbstverwirklichung
eines jeden vereinbar werden mit der Selbstverwirklichung aller.
Als Praxis führt dieser Weg der
Neubegründung des kritischen Denkens in ihrer vollen Dimension zu einer Neubegründung
der Moderne selbst und nicht in die Postmoderne.
[1] Jaques Bidet: Théorie de la Modernité. Suivi de: Marx et
le Marché. Presses Universitaires de France. Paris, 1990. (en castellano: Bidet, Jaques: Teoría de la
modernidad. Seguido de: Marx y el mercado. Ediciones El cielo por Asalto.
Buenos Aires, 1993.)S. 142 (spanische Ausgabe)
[2] Man kann diese ständige Bezugnahme auf die Gegenwart eines
Abwesenden bei Marx in seiner
Argumentaion
über die Arbeit zeigen:
“Nicht dass er nur eine Formveränderung
des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht
im Natürlichen zugleich seine Zweck, den
er weiss, der die Art und Weise das. Und diese Unterordnung ist kein
vereinzelter Akt. Ausser der Anstrengung
der Organe, die arbeiten, ist der zweckmaessige Wille, der sich als
Aufmerksamkeit äussert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und umso
mehr, je weniger sie durch den eigenen Inhalt und die Art und Weise
ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreisst, je weniger er sie daher als
Spiel seiner eigenen körperlichen und geistigen Kräfte geniesst.”(I,186
MEW, Bd 31, S.193)
Das Abwesende ist das “Spiel seiner
körperlichen und geistigen Kräfte”, das genossen werden kann, dessen abwesende
Gegenwart umso intensisver wird, je mehr die Arbeit das “Tuns al Gesetz
bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muss”.
[3] Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.
Einleitung. MEW, I, 385
[4] Patriarchat: als Gegenwart der Abwesenheit enthüllen seine
Herrschaftsstrukturen die Gleichheit von Frau und Mann. Man muss von dieser
Gleichheit wissen, um sie auf wirksame Weise unterdrücken oder leugnen zu
können. Deshalb ist seine Geschichte eine Geschichte seiner Widersprüche.
[5] “Hunger ist Hunger, aber Hunger, der sich durch gekochtes,
mit Galbel und Messer gegessnes Fleisch befriedigt, ist ein anderer Hunger als
der rohes Fleisch mit Hilfe von Hand, Nagel und Zahn verschlingt. Nicht nur der
Gegenstand der Konsumtion, sondern auch die Weise der Konsumtion wird daher
durch die Produktion produziert, nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv.
Die Produktion schafft also de Konsumenten.” Marx Karl: Einleitung zur Kritk
der politischen Ökonomie. MEW, 13 S. 624
[6] Karl Marx,
Das
Kapital, Bd. 1, MEW, 23, S. 528/530.
[7] “… Dada ist der höchste Ausdruck für das was George Steiner
“ das fehlende Wort” nennt, weswegen die Oesie nicht mehr in der Sprache zu
Hause fühlt sondern in einem
Gefängnis, Hugo Ball, einer der Gründer des
Cafes Voltaire in Zürich rechtfertigte seine “Verse ohne Worte” oder
“phonetische Gedichte:” damit: er wollte “ im Block auf die Sprache verzichten,
die der Periodismus korrumpiert und unmöglich gemacht hat”. Edgardo Dobry El
País 29.10.05
Dies ist das Gegenteil davon, was
Heidegger sagt, wenn er von der Sprache als Haus des Seins spricht. Daher
müsste auch für Heidegger der Körper das Gefängnis des Seins sein.
Max Weber spricht hingegen vom
Kapitalismus als “stählernes Gehäuse”. Aber im Namen seines Fatalismus zieht er
keine Konsequenzen daraus.
[8] Siehe Romero, José Manuel: Hacia una hermenéutica
dialéctiva. W. Benjamin, Th W. Adorno y F. Jameson. Sintesis.Madrid,
[9] “In grossen Umrissen können asiatische,
antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epoche
der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die burgerlichen Produktonsverhaltnisse sind
die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses,
antagonistisch nicht im Sinne von
individuellen Antagonismus, sondern eines aus dem gesellschaftlichen Lebensbedingungen
der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die in der bürgerlichen
Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die
materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus.
Mit dieser Gesellschaftsformation schliesst
daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab .” Marx, Karl: Zur
Kritik der politischen Ökonomie –
Vorwort. MEW, 13, S. 9
[10] “Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das
Arbeiten, das durch Not und aeussere Zweckmaessigkeit bestimmt ist,
aufhört; es liegt also der Natur der
Sache nach jenseits der Sphaere der eigentlichen materiellen Produktion. …. Aber es bleibt dies immer ein
Reich der Notwendigkeit. Jenseits
desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck
gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der
Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.”(MEW 25 Bd.
III,828) Hier ist keine keine Gegenwart einer Abwesenheit, sondern ein
Nebeneinander!
[11] Antonio Machado: Caminante,
son tus huellas
el camino, y nada más;
caminante, no hay camino,
se hace
camino al andar.
Al andar se hace camino,
y al volver la vista atrás
se ve
la senda que nunca
se ha de volver a pisar.
Caminante, no hay camino,
sino
estelas en la mar.
[12] Dies ist die Zeitauffassung, die bei Walter Benjamin
seinem Passagen-Werk unterliegt. In diesem Sinne interpretiert er die Produkte
von Gegenwarten, die vergangen sind. Sie objektivieren diese vergangene
Gegenwart mit ihrer jeweiligen Zukunft und ihrer Vergangenheit. Damit eben auch
ihre gescheiterten Hoffnungen. S.
Romero
[13] Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Lehrbuch, Berlin
1960, 825-826.
[14] F. J.
Tipler
Die Physik der Unsterblichkeit.
München:
Piper, 1994,
Clarke, Arthur C.: Im
höchsten Grade phantastisch. Ausblicke in die Zukunft der Technik,
Econ.Düsseldorf, 1963
Arthur C. Clark en especial su Profiles
of the Future. An Enquiry into the Limits of the Possible. London 1962
Arthur C. Clarke: Profile der Zukunft:
über die Grenzen des Möglichen. Heyne, München 1984
„According to Arthur C. Clarke any
sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.“
[15] Walter Benjamin schreibt zu diesen Zeitvorstellungen:
Die Kalender
zählen die Zeit also nicht wie Uhren. Sie sind Monumente eines
Geschichtsbewusstseins, von dem es in Europa seit hundert Jahren nicht mehr die
leisesten Spuren zu geben scheint. Noch in der Juli-Revolution hatte sich ein
Zwischenfall zugetragen, in dem dieses Bewusstsein zu seinem Recht gelangte.
Als der Abend des ersten Kampftages gekommen war, ergab es sich, dass an
mehreren Stellen von Paris unabhängig von einander und gleichzeitig nach den
Turmuhren geschossen wurde. Ein Augenzeuge, der seine Divination vielleicht dem
Reim zu verdanken hat, schrieb damals:
Qui le croirait!
on dit qu’irrités contre l‘heure De nouveaux Josués, au pied de chaque tour,
Tiraient sur les cadrans pour arrêter le jour. S. Benjamin, Walter: Über den
Begriff der Geschichte.
[16] Ich erinnere mich, dass Ende des II. Weltkrieg auf den
Lokomotiven der Züge folgende Aufschrift zu lesen war: Der Endsieg isr uns
sicher, wir haben das bessere Menschenmaterial. Heute ist der Endsieg sicher
für diejenigen, die das bessere Humankapital haben. Der Zynismus ist der
gleiche.
[17] Der schweizer Theologe Urs Eigenmann drückt das gleiche in
theologischer Sprache aus, wenn er von der Reich-Gottes-Verträglichkeit als
Kriterium der Praxis spricht.